Gerade mal sechs Wochen ist es her, dass sich etwa 50 Schreibschulenautoren und Autodidakten zum Prosanova, dem „Festival für junge Literatur“, in Hildesheim trafen. Dazu war neben etablierten Autoren wie Thomas Meinecke und Kathrin Röggla auch der Nachwuchs geladen: Absolventen des Deutschen Literaturinstituts Leipzig (DLL) trafen auf heimische Kreativschreiber. Was Teilintention des Festivals war, nahmen Feuilletonisten jedweder Couleur dankbar auf: die Frage nach der Lehrbarkeit literarischen Schreibens. Der Tenor der negativen Kritiken: zu wenig literarische Tiefe, zuviel „unreflektierte Kleinmädchenprosa (...), in der junge Frauen an ihren Fingern schnuppern, um das Sperma vom Vorabend zu riechen“, wie die „Frankfurter Rundschau“ schrieb. Helmut Böttiger verstieg sich jetzt in einem „SZ“-Artikel dazu, der überwiegend durch Schreibschulen dominierten Gegenwartsliteratur mangelnde Handlungstiefe zu attestieren. Es werde immer jemand anderes geküsst, so Böttiger, was vornehmend daran liege, dass die Autoren direkt nach dem Abitur an die Universität gingen, ohne etwas zu erleben, was sie zum Gegenstand ihrer Literatur machen könnten.
Keine Kleinmädchenprosa
Martina Hefter, Jahrgang 1965, Absolventin des Deutschen Literaturinstituts in Leipzig, gehört allein schon ihres Alters wegen nicht zur Kleinmädchenprosa. In ihrem neuem Roman „Zurück auf Los“ wird auch kein anderer geküsst. Und doch ist die Thematik verwandt: Die Ich-Erzählerin wird von ihrem Freund verlassen. Und wie das so ist, wenn man verlassen wird, will man es nicht wahrhaben und geht noch einmal die gemeinsame Zeit, die Erinnerungen durch: Katharsis durch Eintauchen in den Schmerz eben. So auch Hefters Ich-Erzählerin. Sie hilft am Abend der Handlung an der Rezeption des Hotels ihrer Mutter aus und schaut durch die verglaste Hotelfront natürlich auf ihr Haus, das Haus, in dem ihr Exfreund Raimund sitzt und darauf wartet, am Morgen zu fahren.
Familiengeschichte als Erinnerungsmosaik
Hefter lässt ihre Ich-Erzählerin aber nicht nur die Partnerschaft mit Raimund erinnern, sondern ihr ganzes Leben und, anhand der Geschichte des Hotels, die Lebensgeschichte der gesamten Familie. Natürlich ist es keine glückliche Familie, der Großvater kehrt aus dem Krieg nicht heim, der Vater zieht sich in eine Berghütte zurück, Großmutter und Mutter sind mit dem Hotel auf sich allein gestellt. Jetzt, zeitgleich zum Ende der Beziehung der Tochter, soll auch das Hotel verkauft werden. Wenn letzteres auch etwas zu konstruiert wirkt, eine derartige Familiengeschichte könnte als Erinnerungsmosaik gut funktionieren.
Eigenartige Metaphorik
Hefter jedoch verwendet eine eigenartige Metaphorik, in welcher der Leser sich verliert. Für die Ich-Erzählerin sind „Sätze“ und „Wörter“ greifbare Gegenstände, zugleich aber auch diffus und nicht fassbar. Und sie sehnt sich nach Ordnung: „Wenn es wirklich einen Satz gibt, der auf alles zutrifft. Wenn es nur einen Satz gäbe, einen einzigen Satz, der alle weiteren Sätze enthält (...)“ Die an sich interessanten Bilder werden aber durch die gebetsmühlenartige Repetition bald einfach nur enervierend. Darüber hinaus hält Hefter diese Sprache nicht konsequent durch. Immer wieder bricht diese kryptische Art der Beschreibung zugunsten vollkommen klarer Äußerungen ab, die nichts von der enigmatischen „Wort-Satz“-Metaphorik haben.
Weder tiefgehende Erfahrung noch schreiberisches Können
Wenn es stimmte, dass, wie Böttiger in seinem Artikel schreibt, Schreibschulabsolventen zwar respektable Autoren seien, aber aufgrund mangelnder Erfahrung keine wichtigen Themen verarbeiten könnten, würde Martina Hefter zwar ein belangloses Thema bearbeitet haben, dafür aber schreiberisch wenn schon nicht glänzen, dann zumindest nicht verstaubt sein. Aber sie hat, so sei unterstellt, mehr Lebenserfahrung als der Postabitur-Schreibschulenstudent, vor ihrem Studium am DLL arbeitete sie nach einer Ausbildung zur Tanzpädagogin als Tänzerin und Tanzlehrerin. Und doch spricht aus „Zurück auf Los“ weder tiefgehende Erfahrung noch schreiberisches Können. Es wird zwar nicht an Spermafingern geschnuppert, dafür verirrt sich der Leser im Labyrinth aus zauberischer Befindlichkeitsprosa und reduziert realistischer Alltagsbeschreibung. Und das durchaus verwertbare Thema „Liebe“ geht nicht nur in der Handlung, sondern auch dramaturgisch vor die Hunde.
„Wer heute über die Liebe schreibt, kann es eigentlich nur so machen“ schrieb die SZ 1997 über das literarische Debüt des amerikanischen Schauspielers Ethan Hawke. Wer heute über die Liebe schreiben will, würde Böttiger schreiben, sollte nicht auf eine Schreibschule gehen.
Literaturangaben:
HEFTER, MARTINA: Zurück auf Los. Roman. Wallstein Verlag, Göttingen 2005. 132 S., 16,- €.