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Schwergewichtiges Daumenkino

Die Neuauflage von „Jazzlife“

© Die Berliner Literaturkritik, 07.12.05

 

1961 erschien „Jazzlife“ im Burda Verlag. Im Vorwort  bekannte einer der Autoren, dass den 268 Seiten noch das Vierfache hätte folgen können. Dies ist mit der Neuausgabe des Bandes fast wahr geworden. Auf 696 Seiten in A3 hinterlassen die Berichte von Joachim E. Berendt und die Fotos von William Claxton bleibende Eindrücke und Abdrücke. Berendt war Deutschlands dienstältester Jazzredakteur und Autor wegweisender Monographien zum Thema. Dies bescherte ihm den Titel ‚Jazz-Papst’. Er selber habe das nie gemocht, heißt es auf seiner Homepage. Der Papst swinge nicht.

William Claxton ist nicht weniger bekannt. Der US-Amerikaner ist der Urheber zahlreicher Fotografien, die den zum Künstler gehörenden ganzen Menschen erfassen wollen. Sein Name findet sich ob seiner engen Beziehung zur Jazz-Szene sogar in den Titeln einiger Stücke wieder. Eine CD mit Sessions, die während der Reise aufgenommen wurden, liegt der limitierten Sonderedition von „Jazzlife“ bei. Die Stücke wurden auf den heutigen Qualitätsstand gebracht, ohne dabei den warmen Klang der alten Tonbänder unnötig zu kühlen.

1960 – Odyssee im Jazz

Ihre „Jazzodyssee“ führt die beiden von Manhattan über Philadelphia und Washington an der Ostküste entlang bis nach New Orleans und Biloxi. Mit dem Mississippi nach Memphis, Chicago und St. Louis, das voll gestopft von deutschstämmigen Blaskapellen Reste von Marsch und Klassik hochleben lässt. Kansas City, Quelle von Swing und Bebop, löst Motown Detroit ab, um dem Duo schließlich Los Angeles, Hollywood, San Francisco und Las Vegas zu öffnen

William Claxton schildert im Vorwort, wie „Jo“ Berendt sämtliche rote Ampeln ignorierte, nachdem sie die Staatsgrenze zwischen North- und South Carolina passiert hatten. Berendt meinte, dass die Ampeln immer oben Rot zeigen. Er wusste nicht, dass dies von Bundesstaat zu Bundesstaat variabel ist. Auf den Hinweis, er sei rotgrünblind, habe Berendt geantwortet: „Woher weißt Du das?“ Dieses Schulterklopfen zwischen dem Autor und seinem Fotografen erwidern die Musiker. Die Vergütung riss den Lichtbildner vom Hocker. Seine Frau durfte wegen des trotzdem knappen Budgets nicht mit. Das Buch begrüßt seine Leser mit diesen sympathischen Einsichten in das Projekt „Jazzlife“. Dass eben nicht immer alles so glatt und glanzvoll daherkommt wie die großformatigen Fotos, ist hier kein Geheimnis. Wo andere groß angelegte Berichte jeden Fortschritt mit einem Fingerschnipsen erreichen, zeigt sich dieser reflexiv.

Dr. Harry Oster, damals an der Universität von Louisiana beschäftigt, wies die beiden Entdecker auf ein Gefängnis hin, das zahlreiche erstklassige Musiker beherbergte. Unter Osters Fittichen erschienen mehrere Tonträger – recorded live in jail. Die Straßenmusik und das Leben jenseits der edel verräucherten Clubs haben Platz gefunden. Dass dieser in einem so dekadenten Medium bereitgestellt wurde, macht froh und nachdenklich. Das Format ist eine Art Zwischenwelt, in der die Zurückgelehnten und die Gekrümmten zueinander finden.

Genrespezifik

Berendt hinterlässt ein Diktum: Blues und Gospel sollten uns einfallen, wenn vom Jazz die Rede ist. Wer diese Verbindung 1960 nicht berücksichtigte, dessen Verhältnis zum Jazz habe jeder Tiefe entbehrt. Vom lebhaften Einfluss der Kirchenorgeln zehrt der Hammond-Kult. ‚Soul’ sei nichts weiter als das Produkt von Naivität, Stärke und Ursprünglichkeit. Die Pfarrer predigten, man solle Jesus auch telefonisch anrufen und beichten. Niemand fragt nach seiner Telefonnummer, aber das Gotteshaus wackelt – so einfach?

Den geistigen Antrieb für die Improvisation kann man nicht erlernen. Genauso vermessen ist der nicht verstummende Hinweis, irgendjemand habe was im Blut. Studieren lassen sich nur Methoden, die auf der Tonleiter den nächsten Abzweig erkennbar machen. Alles andere werden die Hände regeln. „Dixieland kann jeder spielen. Dazu braucht man doch nichts von Musik zu wissen“, wird der Direktor der Berklee Music School Boston zitiert. Es ist plausibel, dass ein Sinfonieorchester und Sonny Rollins die gleiche Sequenz völlig verschieden spielen. Erklären und beweisen muss das niemand.

Grabenkämpfe in Schubladen hat hier niemand im Sinn. Lebendigkeit, heißt es, wenn Stile sich wechselseitig beeinflussen und Verdrängung oder Transformation anheim fallen. Nur gilt das nicht für einen Stil allein. Den hier abgesteckten Jazzkosmos verhandelt der Text als äußerst dynamisch und polyphon. Der Austausch zwischen Pop und Jazz hingegen schwebt als bedrohlicher Vorgang hinter den Worten. Irgendwie klingt das, als habe der Jazz seinen natürlichen Platz nie verlassen dürfen. Wenn überhaupt Schubladen aufgemacht werden, dann geografische. West Hollywood klingt anders als Southside Chicago. Banal. Interessanter ist die Einsicht, dass die Musiker ihre Herkunft mitnehmen und so identifizierbar bleiben.

Yankees und Schlimmere

William Claxton, der Yankee, und Berendt, der etwas „noch viel Schlimmeres“ war, hatten auf der Suche nach den afrikanischen Wurzeln des Jazz im Süden der USA Kontaktschwierigkeiten, deren Ursachen ihnen schonungslos aufgezeigt wurden. Sie besuchten Mose Allisons Eltern am Mississippi. Allisons Vater gibt dem schwarzen Hausmädchen einen Klaps auf den Hintern und sagt: „Wir lieben unsere Nigger!“ Vom Neger ist nicht nur in den Zitaten die Rede. In solchen Episoden scheint die Reise länger her, als sie ist. Das war 1960. Und 2005? „Die deutsche Erstausgabe des Buches Jazzlife [...] wurde nun behutsam überarbeitet und ergänzt.“ Das englische Vorwort meint „slightly reworked“. Die Überarbeitung umfasst vor allem die Fotografien. Der Autor der Texte verstarb leider 2000. Einen Sprachgebrauch, der sich heute als politisch korrekt bezeichnen ließe, wird man deshalb missen. Wermutstropfen ist dies, weil es nicht um fiktive Charaktere, sondern um reale Akteure einer als so fortschrittlich betitelten Zivilisation geht.

Es ist aber ein fruchtbarer Wermutstropfen, der dem ausgeschlafenen Konsumenten die nackte Wahrheit über die Rezeption schwarzer Musik aufzeigt. Es wird Zeit, sich von der Aufteilung in weiße Rationalität und schwarze Vitalität zu verabschieden. Mit „Jazzlife“ werden all jene zufrieden sein, die die Oliven im Martini bedudeln. Es werden aber auch all jene zufrieden sein, die Fortschritt, Leidenschaft und Schmerz in den Synkopen zu finden wissen. Umsehen müssen sich sowieso beide Fraktionen.

(Kay Ziegenbalg)

Literaturangaben:
CLAXTON, WILLIAM / BERENDT, JOACHIM E.: Jazzlife. Taschen Books, New York u.a. 2005. 696 S., Audio CD. 150,- €.

Weblinks


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