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Dschungel Literaturbetrieb

Klaus Modicks Roman „Bestseller“

Von: ANETT KRAUSE - © Die Berliner Literaturkritik, 27.10.06

 

Dass Literatur und Moral stets als zusammengehörig gedacht werden, zeigte kürzlich in ausufernder Detailgenauigkeit mal wieder die Debatte um Günter Grass. Man darf wohl erwarten, dass die Geschichte kein einhelliges Urteil über den „Fall Günter Grass“ wird überliefern können, zu schwierig scheint es zu sein, Stellung zu beziehen. Ein hervorragendes Beispiel für das Unbehagen an einer Positionierung in diesem Fall lieferte kürzlich „Die Zeit“, die in der üblichen, politisch korrekten Gleichberechtigungsmanier beide sich gegenüberstehenden Positionen in einer Ausgabe abdruckte.

So verdammt auf der einen Seite Ulrich Greiner den Moralisten Grass ob seiner „unerträglichen Selbstgerechtigkeit“, während gleich daneben Christof Siemes erklären darf, dass es sich bei dem medial hochgepuschten Skandal um den Nobelpreisträger doch im Grunde um nichts anderes handelt als um ein „weiteres Paradebeispiel für die vertrackte Dialektik, dass wir den engagierten Intellektuellen wollen, uns seine Einmischung und seinen Rat erhoffen, ihm das Megafon in Form von Sendezeit und Zeitungszeilen in die Hand drücken – und dann seine Selbstgerechtigkeit geißeln“.

Biografisch ist wirtschaftlich

Dass es sich bei Grass’ spätem „Geständnis“ um einen clever terminierten Werbefeldzug für sein aktuelles Buch handelt, ist keine besonders provozierende Vermutung, trifft aber gleichwohl nur eine Seite der Medaille. Denn nicht nur die Tatsache, dass alle Welt über Grass spricht, dürfte für den Verkaufserfolg seines Textes maßgeblich verantwortlich sein, es ist gleichermaßen die Richtung, die er mit seinem Geständnis eingeschlagen hat und die als besonders marktfähig gilt: Die Vermischung von literarischem und (auto-)biografischem Erzählen. Dass sich dieses Genre besonders gut verkaufen lässt, wenn es sich thematisch an der Bewältigung der deutschen Vergangenheit abarbeitet, verdeutlichen nicht zuletzt Filme wie „Der Untergang“ (teilweise basierend auf den Erinnerungen der Hitler-Sekretärin Traudl Jung) oder die ZDF-Serie „History“ von und mit dem Chef-Erklärer der deutschen Geschichte, Guido Knopp, die zu weiten Teilen aus Interviews mit „Zeitzeugen“ besteht.

Vor dem Hintergrund des aktuellen Romans von Klaus Modick mutet die Grass-Debatte wie ein Treppenwitz an. Erschienen ist „Bestseller“ kurz vor Grass’ Bekenntnissen über seine Vergangenheit, was die Ironie, die ohnehin auf jeder Buchseite des Romans lauert, noch verstärkt. Modick nimmt hier quasi vorweg, was in der Debatte um Grass zwar bedauerlicherweise keine Rolle spielt, möglicherweise jedoch zur Erhellung der Angelegenheit hätte beitragen können: die Frage nach der Funktion des Schriftstellers auf dem schwer umkämpften Markt gut verkäuflicher literarischen Produktionen.

Geerbter Makel

Wie bereits in anderen Romanen Modicks, trägt der Protagonist den Namen Lukas Domcik, ist mittelmäßig erfolgreicher Schriftsteller und finanziell am Rande des Ruins. Sein Verleger, der in jeder Hinsicht überaus eloquente Ralf Scholz, drängt ihn, seine schriftstellerische Praxis mehr an die Markterfordernisse anzupassen. Der Markt verlange nach Authentizität, am besten thematisch mit der Aufarbeitung der deutschen Schande verbunden, die „zu einem kulturindustriellen Faktor ersten Ranges geworden ist, zu einer multimedialen Bonanza“. Zunächst hat Lukas Domcik nicht die geringsten Ambitionen, den Aufforderungen des Verlagsleiters zu folgen, schließlich ist er Jahrgang 51 und dieses Thema nicht seins, dank der Gnade der späten Geburt. Doch dann brechen zwei Dinge in Domciks Leben ein: eine unerwartete Erbschaft und die schöne Theaterpraktikantin und Kneipenbedienung Rachel.

Im Nachlass seiner ihm weitgehend unbekannten Großtante stößt der Schriftsteller auf ein umfangreiches Konvulat literarisch ambitionierter Aufzeichnungen. Tante Thea, einst glühende Anhängerin der Nationalsozialisten und nach Kriegsende infolge des missionarischen Eifers ihres zweiten Gatten zum Brachialkatholizismus konvertiert, hat eine lückenlose literarische Aufarbeitung ihrer verschiedenen Lebensphasen hinterlassen. Zwar sind ihre schriftstellerischen Ergüsse, die sich im Laufe der Zeit von Gedichtzyklen zum Thema Lebensborn („Im Horte meiner deutschen Schenkel/empfange ich denn, oh mütterlicher Schoß/des Führers Saat, Kinder und Enkel/kraft deutscher Lende eisenhartem Stoß“) zu prosaischen Legitimationen ihrer Nazivergangenheit („Erbsünde des Deutschtums“, „Verführte und vom Antichrist Irregeleitete“) verdichteten, ohne jeden Zweifel ungenießbar.

Domcik jedoch hat die Ermahnungen des Lektors im Ohr und die Ungerechtigkeit der Welt vor Augen: telegene Debütantinnen, die mit den zu Büchern geronnenen Erinnerungen ihrer Großmütter bekannt geworden sind und nun allabendlich durch die Talkshows gereicht werden. Doch vor allem die erotischen Anziehungskräfte der ebenfalls literarisch ambitionierten Kellnerin Rachel bilden den Nährboden für die perfide Idee: Domcik, beschließt, das ihm in den Schoß gefallene Material gewinnbringend zu verwursten, wobei allerdings sein eigener Name unter allen Umständen aus der Sache herausgehalten werden muss.

Hier präsentieren sich dann die finsteren Markterfordernisse als ein ungeahnter Glücksfall, denn eine junge, gutaussehende Engländerin mit jüdischer Nase und multikultureller Familiengeschichte ist verständlicherweise viel besser im Markt zu positionieren als ein inzwischen diverse Gebrauchsspuren aufweisender Schriftsteller mittleren Alters. Mit dem Angebot zu einem gemeinsamen Literaturprojekt, so Domciks Idee, kann er sich neben der erhofften finanziellen Sanierung die Dankbarkeit Rachels in Form sexueller Zuwendung auf hoffentlich ewig sichern.

Aus der fixen Idee gerinnt schließlich der Plan, dessen Umsetzung ganz wie erwartet in den literarischem Markt einschlägt wie eine Bombe. Dann allerdings entwickeln sich die Dinge doch etwas anders als vom Dichter Domcik vorhergesehen und mehr und mehr verliert der Strippenzieher die Gewalt über die immer glitschiger werdenden Fäden...

Gefälschte Wahrheit

Klaus Modicks Bestseller ist eine wunderbare Parabel über die Frage nach der Funktion des Dichters im Dickicht des ökonomischen Dschungels namens Literaturbetrieb. Was seinen Protagonisten antreibt – und nicht nur das Namensanagramm Lukas Domcik verdeutlicht das Alter ego des Autors hinter dem Helden der Geschichte – ist im Grunde eine Auseinandersetzung mit Wahrheit: Ist es unmoralisch, gar unseriös, wenn der Dichter gefälschte Authentizitäten produziert, weil er weiß, dass die Leser nach solchen Geschichten gieren? Und wann ist eine Geschichte eigentlich wahr? „Um wahr zu wirken, muß die Wirklichkeit gefälscht werden. Das ist das ganze Geheimnis der Literatur“, sagt dann auch Ich-Erzähler Domcik und wiederholt damit die Position seines Autors.

Insgesamt werden dem Schriftsteller im Text eine ganze Menge Aussagen des Schriftstellers Modick in den Mund gelegt; eine Strategie, die in der Literaturwissenschaft gern als „postmodern“ bezeichnet wird, weil auf diese Weise die angeblich so sonnenklare Grenze zwischen Autor-Ich und Erzähler-Ich verwischt wird. Einsprengsel dieser Art (so erklärt Schriftsteller Domcik seiner Gattin auf eine Lesung des Autors Klaus Modick gehen zu wollen, was diese verwundert, da er mit diesem Modick doch eigentlich verfeindet ist) oder auch köstliche Passagen, in denen jede literarische Institution der Bundesrepublik nebst ihrer Funktionsträger ihr Fett wegbekommt, machen die Lektüre von „Bestseller“ zu einem Vergnügen.

Klaus Modick, Jahrgang 1951, zeitweise auch als Übersetzer, Literaturwissenschaftler und -kritiker tätig, hat sein umfangreiches Erzählwerk durch einen Text bereichert, der sein eigenes schriftstellerisches Programm in beispielhafter Manier umgesetzt hat – was ja bekanntlich nicht immer so ganz einfach ist. Dieses Programm war im letzten Jahr in einem längeren Aufsatz mit dem Titel „Dichter wollte ich nicht werden“ unter anderem im „Titel-Magazin“ und der „Neuen Zürcher Zeitung“ nachzulesen. Lukas Domcik wiederholt in Bestseller diese Positionen: „Was mich interessierte und immer noch interessiert, sind gut erzählte Geschichten, und mit ,gut erzählt’ meine ich eine unprätentiöse Schreibweise, die auf stilistische Effekthascherei verzichtet und zugleich Abstand zum Trivialen hält. Das ist eigentlich alles.“

Und das ist Klaus Modick erneut ganz hervorragend gelungen. Nicht zuletzt sollte das als Beleg dafür gelten, dass das Spannungsfeld zwischen Dichtung und Wahrheit sich nicht in langweiligen Feuilletondebatten über Moral und Integrität des Dichters entfaltet, sondern am gekonntesten noch immer in der Literatur selbst verhandelt wird.

Literaturangaben:
MODICK, KLAUS: Bestseller. Eichborn Verlag, Frankfurt/Main 2006, 272 S., €19,90.

Zur Kurzvorstellung:

Weblink zum Verlag:

Anett Krause ist Literatur- und Kulturwissenschaftlerin und arbeitet als freie Journalistin und Buchkritikerin in Halle (Saale) für dieses Literatur-Magazin


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