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Begnadeter Lehrer

Frank McCourt erinnert sich an seine New Yorker Zeit als Lehrer

© Die Berliner Literaturkritik, 29.12.06

 

„In der Welt der Bücher bin ich ein Spätzünder, ein Nachzügler, ein Frischling. Mein erstes Buch, Die Asche meiner Mutter, erschien 1996, als ich sechsundsechzig war, das zweite, Ein rundherum tolles Land, 1999, da war ich neunundsechzig. In dem Alter kann man von Glück sagen, wenn man überhaupt noch den Bleistift halten kann.“

Vielleicht brauchte es ja gerade all die vielen Jahre an Lebenserfahrung und Selbstreflexion, um dann endlich mit einer solchen Erzählkunst beglücken zu können – zumindest bei Frank McCourt scheint dies so zuzutreffen. Nach den ersten beiden autobiografischen Werken ist jetzt der dritte Teil seiner Erinnerungen an ein nicht eben geradliniges Leben erschienen. Und wieder ist es ihm gelungen, aus dem Wirrwarr an Erlebtem ein Buch voller Selbstironie und Selbstreflexion werden zu lassen – und sich dabei in der Rolle des Geschichtenerzählers zu gefallen. Frank McCourt inszeniert sein Leben als wunderbare Persiflage auf die schwere unglücklich irisch-katholische Kindheit.

Fundus an Anekdoten

„Es gibt dunkle Mächte. Wenn ich denn Schuld zuweisen soll, so tue ich es im Geiste der Vergebung. In diesem Sinne vergebe ich den Folgenden: Papst PiusXII., den Engländern im allgemeinen und König George VI. im besonderen, (...)“. 

In „Tag und Nacht und auch im Sommer“ bleibt McCourt seinem Stil treu und erzählt rückblickend die Schicksalsschläge seines Lebens genauso amüsant wie auch all die geglückten Momente. Nach über 30 Jahren als Lehrer an verschiedenen New Yorker Schulen verfügt McCourt über einen schier unerschöpflichen Fundus an Anekdoten und weiß diese auch mit geübter Leichtigkeit zu schildern. Häppchenweise erfährt der Leser, wie es Frank McCourt als Lehrer ergangen ist und wie er mit seinen manchmal recht unkonventionellen Mitteln die Schülerinnen und Schüler zu begeistern wusste.

So lässt er sie beispielsweise Entschuldigungen schreiben „von Adam an Gott“ oder von „Eva an Adam“, nachdem sie ihn mit ihren selbst verfassten Entschuldigungsschreiben wieder einmal überhäuft hatten. Obwohl die Schulbehörde nicht immer seinen situationsbezogenen Ansatz zu schätzen weiß, lässt sie ihn doch die meiste Zeit unbehelligt gewähren – zum Glück, denn Frank McCourt war wohl das, was man einen begnadeten Lehrer nennen würde, der seine Schülerinnen und Schüler ernst nahm in ihrem „So-Sein“ und nicht versuchte sie zu verbiegen.

Episoden aus dem Schulalltag

Der Leser erfährt viel über den kulturellen Schmelztiegel, der Amerika bis heute geblieben ist. Die Klassenzimmer, in denen McCourt gelehrt hat, weisen eine derartige Bandbreite an kultureller und ethnischer Vielfalt auf, dass es jedem multikulturellen Projekt zu Ehre gereichen würde. McCourt, selbst irischer Einwanderer, ist mit den gängigen Vorurteilen bestens vertraut und kann sich gerade deshalb über sie hinwegsetzen und so die Schülerinnen und Schüler in ihrer Vielschichtigkeit annehmen. Dabei drohen seine Geschichten jedoch nie in verkitschte Sozialromantik abzurutschen, dafür bleibt McCourt zu reflektiert und durch eigene Erfahrungen geprägt.

Neben diesem Haupterzählstrang bleibt dann immer noch ein bisschen Platz für Frank McCourts Leben außerhalb der Schulklasse und das schwankt zwischen harter Arbeit in den Hafendocks und von seiner Frau angeordneten Sitzungen beim Psychiater.

In „Tag und Nacht und auch im Sommer“ (weiß der Himmel, wie die deutsche Übersetzung das englische Original „Teacher Man“ zu diesem holprigen Textungetüm hat werden lassen) zeigt McCourt erneut, wie lesenswert seine episodenhaften Erzählungen über eine unglückliche irisch-katholische Kindheit sein können. Als Schwachpunkt bleibt einzig zu erwähnen, dass der Autor es nicht schafft, innerhalb all dieser zahlreichen Geschichten eine Art verbindende Kette zu schaffen, es sind eben mehr oder weniger chronologisch aufeinander abgestimmte Geschichten und Geschichten von Geschichten, so dass sich kein rechter Spannungsbogen entwickeln kann. Wahrscheinlich ist das unvermeidlich, wenn jemand Erinnerungen zu Papier bringt, ohne diese dann als einheitliche Gesamtgeschichte formulieren zu wollen.

Von Birte Sander

Literaturangaben:
McCOURT, FRANK: Tag und Nacht und auch im Sommer. Erinnerungen. Aus dem Amerikanischen von Rudolf Hermstein. Luchterhand Literaturverlag, München 2006. 332 S., 19,95 €.

Weblink zum Verlag:


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