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Meine Freunde, die Beatles

Klaus Voormanns Erinnerungen an die Beatles und andere Freunde

© Die Berliner Literaturkritik, 29.05.06

 

MÜNCHEN (BLK) – Der Grafiker Klaus Voormann war seit 1960 mit den Beatles befreundet – von ihm stammte das berühmte Cover ihres Albums „Revolver“. Seine Erinnerungen an die Mitglieder der zunächst ärmlichen Rockgruppe, die bald zu Superstars wurden, erscheinen jetzt als Taschenbuch.

Klaus Voormann wurde 1938 in Berlin geboren; dort Studium der Kunst an der Meisterschule für Grafik und Buchgewerbe, später in Hamburg an der Meisterschule für Gestaltung; danach freier Grafiker, Designer, Illustrator; 1960 trifft er die Beatles und wendet sich der Musik zu; 1963 Gründung seiner ersten Band Paddy, Klaus & Gibson, Engagements im Star-Club; in den 70ern Session-Musiker in New York und Los Angeles; 1979 Rückkehr nach Deutschland, Zusammenarbeit mit Trio, Marius Müller-Westernhagen, Heinz Rudolf Kunze, Joachim Witt u. a. Klaus Voormann lebt mit seiner Frau Christina und seinen zwei Kindern in der Nähe von München.

© 2003 by Ullstein Heyne List GmbH & Co. KG, München

Taschenbucherstausgabe im Wilhelm Heyne Verlag 06/2006

„PROLOG

Ich befand mich auf den Weg zu George. Er hatte vor zwei Tagen plötzlich bei uns zu Hause angerufen. »Wir sind beim Stanglwirt in Tirol, hast du nicht Lust vorbeizukommen?« Es war wirklich kein Problem, ihn in Tirol zu besuchen, denn der Stanglwirt befindet sich in Going und das war mal gerade zwei Autostunden von unserem damaligen Haus in Holzkirchen entfernt. Also nichts wie hin. Ich hatte George lange nicht mehr gesehen, lediglich ein paar Telefonate geführt, und das auch erst wieder in regelmäßigen Abständen seit 1991, als er den Kontakt wiederherstellte. Davor war lange Sendepause. Aber das hatte nichts zu bedeuten. Wie das bei Freunden so ist, man hört und sieht ewige Zeiten nichts voneinander, und trotzdem hat man das Gefühl, sich ganz nahe zu sein. So war das auch immer mit George. Ich empfand zu allen vier Mitgliedern der Beatles seit unserem Kennenlernen in Hamburg ein tiefes Gefühl der Zuneigung und Bewunderung, und ich kann ehrlichen Gewissens behaupten, dass sich dieses Gefühl im Laufe der vielen Jahre, ja sogar Jahrzehnte zu einer mehr oder weniger tiefen Freundschaft entwickelte. John war für mich immer der sensible Rebell, dessen zynische und manchmal rüpelhafte Art nichts weiter war als eine Tarnkappe seiner verletzten Seele, die sich oftmals in einem verzweifelten Aufschrei der Wahrheit entgegenstellte. John wusste Bescheid. Er glaubte zu wissen, was auf diesem Planeten alles lief und vor allen Dingen nicht lief. Er durchschaute die unmenschlichen Geschäftspraktiken seiner Branche sehr schnell und wehrte sich bis zuletzt als Bitch of Rock ’n’ Roll gegen die knallharten und unmenschlichen Mechanismen. Und er war in der Position, sich wehren zu können.

Paul dagegen verführt nach wie vor mit seinem unverwechselbaren Lausbubencharme, seinem jungenhaften Charisma, das bis zum heutigen Tage nichts von seiner Wirkung eingebüßt hat. Im Gegenteil, wo immer Paul auftaucht, da entsteht so etwas wie Ehrfurcht. Ich habe das in den letzten Jahren immer wieder beobachtet und besonders fiel es mir wieder auf, als ich mit ihm zusammen auf der Bühne der Royal Albert Hall stehen durfte, anlässlich des »Concert for George«. Paul kommt auf die Bühne und stellt alle in den Schatten. Er ist ganz einfach »da«. Total und absolut füllt er jeden Raum. Aber ich glaube, das weiß er auch und genießt es. Ringo, ach Ringo. Er ist für mich nicht nur einer der besten und präzisesten Schlagzeuger, sondern ein unglaublich guter und lieber Mensch, mit einem riesengroßen Herzen, das warm und kräftig schlägt. Wenn ich Ringo sehe, dann möchte ich ihn am liebsten gleich fest an mich drücken. Es gab allerdings auch ein paar Momente, da hätte ich ihn am liebsten so fest gedrückt, dass ihm die Luft wegblieb. Ich denke da an meine erste Ausstellung in Los Angeles, wo er ständig hinter mir herrannte, um lautstark jedem mitzuteilen, dass er meine Bilder für viel zu teuer hält. Das war mir so peinlich. Ringo hatte es bestimmt nicht einfach und fühlte sich nicht selten wie das fünfte Rad am Wagen. Alles drehte sich um Paul und John, ja und dann kam George hinterhergehinkt, und irgendwo gab es dann auch den kleinen, großäugigen Ringo. Er wurde meines Erachtens in vieler Hinsicht unterschätzt. Doch halt, als Schauspieler, da hatte der Gute unter den Beatles die Nase vorn. Und das gönnte ich ihm wirklich von Herzen. Ich muss gestehen, zu George empfand ich die tiefste Freundschaft, aber das kam wohl auch daher, dass ich einige Jahre bei ihm in Friar Park wohnte. George war für mich der Philosoph und am Ende seines Lebens war er wirklich ein weiser Mann. Ruhig war er ja immer schon, mit einer kräftigen Portion guten englischen Humors, und zwar von der ganz trockenen Art. Ich bog gerade auf die Salzburger Autobahn kurz vor Irschenberg ein, als das Radio »Here Comes the Sun« spielte. Ich musste schmunzeln. »Yeah Georgie, here comes the sun und Klausi gleich hinterher!«

Wie gesagt, nach Jahren der Abstinenz meldete sich George im Herbst 1991 wieder. Meine Frau Christina war am Telefon, als er sich in deutscher Sprache meldete. »Kann ick bitta de Klaus spreckn?« »Klaus ist nicht da, ungefähr in einer Stunde kommt er zurück. Kann ich ihm etwas ausrichten?« »Ja, sag de Georg ruft nok mal an.« (Er benutzte die deutsche Aussprache für Georg.) »Weiß er denn, welcher Georg Sie sind?« »Ja, ja ... ik bin de Georg Harrison. He can call me back.« Er gab Christina die Telefonnummer des Hamburger Hotels, in dem er sich aufhielt. Ich habe mich riesig über diese unerwartete Nachricht gefreut und rief ihn gleich an. Er war in Hamburg, um Tom Pettys Konzert zu besuchen, und wollte mich bei der Gelegenheit sehen. Leider klappte es nicht. Aber von da an meldete George sich wieder in regelmäßigen Abständen. Georges Anrufe waren meist sehr speziell, allein wie er sich schon meldete. Er liebte es, in irgendwelche Rollen zu schlüpfen. Ich kann mich noch gut an einen ganz typischen George-Harrison-Anruf erinnern. Es war der Sommer, als dieses schreckliche Zugunglück in Eschede passierte. Meine Familie und ich verbrachten gerade einen geruhsamen Urlaub auf einem urigen Bauernhof in der Nähe von Murnau am Staffelsee. Als wir nach Hause kamen, war unser Anrufbeantworter voll besprochen mit Georges Anrufen. Es dürften wohl mindestens zwölf gewesen sein, auf drei Tage verteilt. George war auf der einen Seite ein ruhiger und besonnener Mann, der Hektik verabscheute, andererseits aber auch wieder schnell Ängstlichkeit und Überbesorgtheit an den Tag legen konnte. Er hatte beispielsweise über viele Jahre eine immense Flugangst, was zur Folge hatte, dass er über eine gewisse Zeitspanne in kein Flugzeug mehr stieg.

Aber zurück zu seinen Anrufen. Anruf Nummer eins wie immer im speziellen Georgie-Deutsch. »Hey, is de Klaus da? Hirr isst Herr Admiral von Hohensteen. Melde mick surück, später ... oder so.« Anruf Nummer zwei: »Ik mökte gern de Klaus spreckn. George’s here.« Nummer drei am nächsten Tag: »Klaus I don’t know if you are at home. Here’s George. Ah ... de guta alte Georg. You know, Mister van Schneider, ah ... Georg Schneiderrr.« Die nächsten Anrufe waren in ähnlichem Stil, wobei die Stimme immer höher und ungeduldiger wurde. Am dritten Tag vernahm man Georges Stimme mit gespielt hysterischem Ton. »Klaus!!!! Where are you? I hope you haven’t been at the train in Eschede. Klaus bitta melden. I’m worrying so much. Klaus call me ... Help, Hilfe!! Bitta! Call me any time, any day BUT PLEASE CALL ME BACK!« Als wir das Band abhörten, lagen wir beinahe alle am Boden vor Lachen. Wir spulten es immer und immer wieder zurück. Ich habe ihn dann sofort angerufen, wusste ich doch nur zu gut, dass er sich in seine Besorgtheit so hineinsteigern könnte, dass er wahrscheinlich als Nächstes einen Suchtrupp nach mir schicken würde. Ich wünschte, ich hätte dieses Band nicht gelöscht, was wäre das doch für eine witzige und auch typische Erinnerung an ihn. Ich näherte mich der österreichischen Grenze. Ich wusste, dass es bis nach Going gerade noch dreißig Minuten Fahrtzeit waren, und fragte mich, warum es George und Olivia ausgerechnet nach Tirol getrieben hatte. Dann fiel mir ihr Freund Gerhard Berger ein, und dass es zwischen Harrison junior und der hübschen Berger-Tochter seit geraumer Zeit romantische Schwingungen gab. Als ich auf den Hotelparkplatz fuhr, sah ich George schon am Fenster im ersten Stock. Er war ja immer schon ein neugieriger Kerl und konnte es offenbar nicht erwarten zu sehen, wie der smarte Klaus denn jetzt als Opa aussehen würde. Kurz vor Georges Einladung hatte ich in London bei Apple zu tun gehabt, wo ich auch den Geschäftsführer Neil Aspinall traf. Lachend erzählte der mir, wie ihn George kürzlich gelöchert habe, wie ich denn jetzt aussehen würde, ob meine Haare schon grau seien, ob ich fett geworden sei, ob ich noch echte Zähne hätte. George wollte alles wissen. Ich musste schmunzeln, als George das Fenster aufriss. »Was maken Se da!«, schrie er mit preußischem Gehabe.

»Aha«, dachte ich, »wieder Admiral von Hohenstein.« Ich stieg aus dem Auto aus und wollte mich zur Rezeption begeben. »Klaus, geh mal da nach rechts die Treppe rauf. Das ist ein kürzerer Weg, dann musst du nicht extra zum Empfang laufen.« Ich befolgte seinen Rat und fand auch bald die Tür zur Harrison-Unterkunft. Ich klopfte an, und von drinnen vernahm ich Georges verstellte Stimme. Diesmal spielte er nicht Admiral von Hohenstein, sondern er war Mrs. Harrison. »Ja bitte, wer ist denn da?« »Hier ist Klaus Voormann, ich habe eine Verabredung mit Herrn Harrison.« »Das geht aber nicht sofort. Erst das Passwort!«, säuselte George alias Mrs. Harrison. »Formel 1, Gerhard Berger«, antwortete ich, und schon ging die Tür auf. Sekunden später lagen wir uns in den Armen. Er betrachtete mich lange. »Verdammt noch mal, du siehst gut aus«, sagte er. Und schon folgte die nächste Umarmung. Er fühlte sich etwas rundlicher an, der gute George, und er sah wie ein gutmütiger älterer Herr aus mit seinen Lammfell-Latschen, den grünen Cordhosen, einer Lammfellweste und dem anthrazitfarbenen, schlichten Pulli. Wir gingen in einem der Hotelneubauten einen gebogenen Korridor entlang. Georges Appartement war nicht besonders groß, aber sehr gemütlich. Es bestand aus einem Wohnraum sowie einem Schlafzimmer für Olivia und ihn und einem kleinen Zimmerchen für Dhani. Die Einrichtung bestand aus geschmackvollen Naturholzmöbeln, von einheimischen Schreinern angefertigt, und überall lagen Wolldecken und Kissen. In Dhanis Bude lagen unzählige Grafikutensilien herum sowie viele Skizzen und Zeichnungen, die er mir später auch stolz vorstellte. Der Bursche hat wirklich Talent. Wir setzten uns ins Wohnzimmer und tranken Tee.

»Ich hab gehört, Astrid und du machen ein Buch zusammen mit Brian von Genesis Publications.« Brian Roylance und George waren seit langem gute Freunde, und so war es nicht verwunderlich, dass George über dieses Projekt bereits Bescheid wusste. »Stimmt, da will ich dir auch gleich etwas zeigen.« Ich holte aus meinem Aktenkoffer das Dia meines jüngsten Werkes. Es zeigte eines der sechs Ölgemälde, die ich seit langem für das geplante Genesis-Buch Hamburg Days angefertigt hatte. Es zeigte den kleinen, siebzehnjährigen Georgie in der Gefängniszelle der Hamburger Davidwache. Auf dem Weg zum Stanglwirt wusste ich noch nicht, dass dieses Motiv mein zeitaufwändigstes Ölbild werden würde. Das lag an der Tatsache, dass ich den falschen Beatle in die Zelle gesteckt hatte. Rechtzeitig, bevor die Bilder in den Druck gingen, wurde der Fehler durch George aufgeklärt, und ich konnte mich noch einmal drei Wochen an die Staffelei klemmen, um den Irrtum zu beheben. Denn als ich ihm ganz ergriffen, aber auch stolz, das Bild zeigte, und »do you remember?« fragte, übermannte auch ihn die Erinnerung.

»Oh, great picture ... but who is it?« George sah mich fragend an. Mein Gott, dachte ich, habe ich ihn so schlecht getroffen, dass er sich nicht erkennt? »That’s you. Das bist du, weißt du noch? Damals, als sie dich einlochten, den kleinen Georgie, gerade mal siebzehn warst du, einsam und allein hast du da auf deiner Gefängnispritsche gekauert, frierend, fern der Heimat. Was hab ich dich bedauert!« »Hast du das wirklich? Oh Klaus, finde ich toll. Du bist ein wirklicher Freund ... nur ... ich war nicht im Gefängnis.« »Was?« »No, it was Paul!« »Paul??!« Fast hätte ich losgeheult, weil ich daran denken musste, wie lange ich daran gearbeitet hatte und wie lange es wohl dauern würde, das Bild neu zu malen. Wie mache ich das bloß? Wie macht man aus George einen Paul? George kriegte sich vor Lachen nicht mehr ein, und nach einer Weile erzählte er mir die Geschichte, wie sie wirklich war. Das Gastspiel im Kaiserkeller war beendet, und alle fünf mussten ihr »nobles Quartier« im Bambi-Kino räumen. Das Verhältnis zwischen der Band und Koschmider, dem Wirt, war wohl etwas gestört, was nicht weiter verwunderlich war, wenn man sah, wie menschenunwürdig die Jungs untergebracht waren und er sich ihnen gegenüber verhielt. Kein Wunder, dass sie kein großes Interesse hatten, sich an die vertragliche Vereinbarung zu halten, nach Beendigung des Gastspiels im Kaiserkeller keine weiteren Angebote für eine bestimmte Zeit im Hamburger Raum anzunehmen, und stattdessen einem Engagement im Top Ten zustimmten. Sie hatten also gerade ihre Habseligkeiten zusammengepackt und hinterließen als kleines Rachesouvenir ein an der Flurwand hängendes Kondom, das sie kurz vor Verlassen des Bambi-Kinos dann auch noch anzündeten. Die Idee dazu hatte Paul, der in solch rachelustigen Streichen immer schon spitze war. Na, was kann so ein kleines harmloses brennendes Gummiding aber auch schon anrichten? Bruno Koschmider sah das alles doch als schwer wiegendes Vergehen an und rief sofort die Polizei. Er muss wohl total hysterisch geklungen haben, so als ob er soeben Opfer eines Attentats geworden wäre. Es war wohl weniger die Angst vor der Lebensbedrohlichkeit eines brennenden Kondoms als vielmehr die Absicht, den Jungs und dem bevorstehenden Top-Ten-Gastspiel in die Suppe zu spucken. Das gelang dem Schweinepriester auch! Die Jungs waren noch keine fünfzig Meter auf der Straße, als ein Polizeiauto heranpreschte und zwei der »gefährlichen Brandstifter« von den Polizisten gleich ins Auto geschubst und ins Gefängnis gesteckt wurden. Es waren Paul und Pete, die verhaftet wurden, während George bereits die Nacht davor infolge einer Ausweiskontrolle des Landes verwiesen worden war. Irgendjemand hatte ihn verpfiffen und der Polizei mitgeteilt, dass er noch nicht volljährig war. George war stinksauer, weil er sich auf den neuen Gig im Top Ten riesig gefreut hatte. Aber daraus wurde nichts und zwar für alle. Aber das wusste George damals noch nicht, als Astrid und Stu ihn zum Bahnhof brachten. Mutterseelenallein kehrte der kleine Bub nach Liverpool zurück.“

© 2003 by Ullstein Heyne List GmbH & Co. KG, München

www.randomhouse.de/heyne

Literaturangaben:
VOORMANN, KLAUS: „Warum spielst du Imagine nicht auf dem weißen Klavier, John“. Erinnerungen an die Beatles und viele andere Freunde. Wilhelm Heyne Verlag, München 2006. 328 S., 14 €.


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