Von Miriam Bandar und Jürgen Hein
Seine surreal-schwermütigen Geschichten lassen Millionen Schüler im Deutschunterricht rätseln, sein stechender Blick auf Fotos verstört und in seinem ehemaligen Wohnort Prag wandern tausende Touristen auf seinen Spuren. Auch zu seinem 125. Geburtstag umgibt den Autor Franz Kafka immer noch eine geheimnisvolle Aura. Zwei neue Biografien versuchen nun, ihn als Schriftsteller und Menschen erfahrbar zu machen.
„Bei den Kafkas“ heißt eines der ersten Kapitel in Reiner Stachs zweibändiger Biografie. Der schlicht klingende Titel hat es in sich, denn er verspricht ja gleichsam einen privaten Besuch bei der jüdischen Kaufmannsfamilie in Prag zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts. Und Stach löst dieses Versprechen ein, nicht nur in diesem einen Kapitel, sondern über beide Bände hinweg. Er verwendet alle Fakten und Zeugnisse, die er bekommen kann, um sich in die Menschen und ihre Zeit einzufühlen, und er verfügt über den Erzählstil, um die Leser Zeugen werden zu lassen.
Aber über diese gesicherten Fakten geht er nicht hinaus, erfindet nicht hinzu, und sagt offen, was er nicht weiß. Nach „Kafka. Die Jahre der Entscheidungen“ vor sechs Jahren folgt nun, pünktlich zum 125. Geburtstag des Dichters, „Kafka. Die Jahre der Erkenntnis“. Stach nimmt sich den Platz – und verlangt vom Leser die Zeit – in die Tiefe zu gehen. Gerade deshalb werden die insgesamt 1400 Seiten über den weltberühmten Dichter an keiner Stelle langweilig.
Deutlich schlanker kommt der Band „Die ungeheure Welt, die ich im Kopf habe“ von Louis Begley daher. Der Autor, der wie Kafka selbst jüdischer Herkunft und Jurist ist, nähert sich seinem Protagonisten auf sehr persönliche Weise. Beschreibungen der Gefühls- wie Lebenswelt Kafkas werden immer wieder durch Auszüge aus Briefen, Tagebuchaufzeichnungen oder Aussagen von Freunden und Weggefährten unterbrochen. Fast auf jeder Seite lässt er Kafka sprechen, wodurch der Leser fast den Eindruck hat, mit der Familie selbst am Tisch zu sitzen.
Etwa das letzte Drittel der 335 Seiten widmet Begley den Werken Kafkas und interpretiert sie vor dem Hintergrund von dessen Geschichte. Insgesamt bietet „Die ungeheure Welt, die ich im Kopf habe“ eine gut lesbare und spannende Einführung in Leben und Werk des Dichters. Einen neuen Blickwinkel bietet Begley, dessen Biografie nach eigenen Angaben der Kafkas sehr ähnelt, jedoch nicht. Denn ob Mammutband oder persönliche Annäherung – ganz wird das Rätsel um den Versicherungsangestellten, der nachts dunkle Erzählungen schrieb, wohl nie gelöst werden.
Literaturangaben:
BEGLEY, LOUIS: Die ungeheure Welt, die ich im Kopf habe. Über Franz Kafka. Aus dem Englischen von Christa Krüger. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2008. 335 S., 19,95 €.
STACH, REINER: Kafka. Die Jahre der Erkenntnis. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008. 729 S., 29,90 €.
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