„Ich suchte nach einem ruhigen Ort zum Sterben.“ Mit dieser Aussage des Protagonisten Nathan Glass beginnt der neue Roman „Brooklyn Revue“ von Paul Auster. Eine Ouvertüre eines zum Tode geweihten Mannes, vermutet man. Doch statt eines Todesgesanges entwickelt sich die Geschichte zu einem Buch prall gefüllt mit Leben. Denn Brooklyn ist nicht der Ort, an dem man sich ruhig niederlegt und darauf wartet, dass einen schließlich der Tod findet. Brooklyn ist bei Auster ein Ameisenhaufen, in dem es von Menschen aus unterschiedlichen Kulturen wimmelt.
Im Königreich Brooklyn
Die Geschichte nimmt ihre erste Wendung, als Nathan seinen verlorenen Neffen Tom zufällig in einem Antiquariat trifft. Dort steht dieser an der Kasse. Aus seiner viel versprechenden Karriere als Literaturwissenschaftler ist nicht mehr geworden als das einsame Leben eines fett gewordenen Junggesellen, der mit dreißig schon tief in einer Midlife Crisis steckt. Gemeinsam brechen die beiden Männer zu einer Reise in das Leben auf. Im „Königreich Brooklyn“ treffen sie auf andere Außenseiter; jeder Erzähler einer anderen Geschichte. So lernt der Leser die „schöne und perfekte Mutter“ aus der Nachbarschaft, den exzentrischen Besitzer den Antiquariats, die Dragqueen Tina Hot und Verwandte aus Nathan Glass‘ Sippe kennen. Der Zufall spielt mir diesen Figuren wie der Wind mit Herbstlaub; treibt sie hier und dort hin. Der Leser ist Zuhörer, wenn sie sich bei ausgiebigen Abendessen von ihren Schicksalsschlägen und glücklichen Momenten erzählen. Der Protagonist versucht sogar, in einem „Buch der menschlichen Torheiten“, die amüsantesten Geschichten festzuhalten. Zu Beginn des Romans teilt Nathan Glass auch einige Episoden mit dem Leser. Doch dann verliert Auster dieses Projekt aus den Augen, überlässt seinem Protagonisten aber immer mehr Raum, um das Geschehen zu kommentieren und zu bewerten. Manchmal wünscht sich der Leser, Nathan würde auch mal andere Figuren zu Wort kommen lassen.
Doch von einem Schriftsteller wie Paul Auster darf der Leser einen vielschichtigeren Roman erwarten als die Anekdoten eines alten Mannes. Manchem wird „Brooklyn Revue“ weniger kunstvoll und brillant erscheinen als andere Werke Austers wie z.B. die „New York Trilogie“. Jedoch sind die Geschichten der Figuren nicht nur unterhaltsam; sie regen zum Nachdenken an und enthalten eine kaum versteckte Kritik an der Politik eines Präsidenten, der 2000, das Jahr in dem der Roman stattfindet, nur durch ein Urteil des Obersten Gerichts an die Macht kam. Die Kritik am Machtgewinn der religiösen Fundamentalisten, des fragwürdigen Ausgangs der Wahl und eine allgemeine Abneigung gegen die Republikanische Partei werden immer wieder thematisiert.
Suche nach einem paradiesischen Ort
Eine weitere Dimension des Romans entfaltet sich in den Referenzen an die amerikanische Literatur der „American Renaissance“ vor dem Amerikanischen Bürgerkrieg. Wie einst Thoreau sich in seinem Projekt „Walden“ auf die Suche nach einem Ort begab, der eine Alternative zu der sich immer schneller verändernden Gesellschaft ist, brechen Nathan und Tom auf, um das „Hotel Existenz“ zu suchen und es schließlich in Vermont zu finden. Doch Nathan muss erkennen, dass „es vor dem Elend der Welt kein Entrinnen gibt. Nicht einmal auf dem abgelegensten Hügel im hintersten Vermont. Nicht einmal hinter den verschlossenen Türen und Toren einer heilen Zuflucht, wie das Hotel Existenz uns vorspiegelt“. Zudem scheitert der Traum eines Ortes der Ruhe und des Rückzugs an finanziellen Problemen. Denn der millionenschwere Coup, in dem das Manuskript des „Scharlachroten Buchstaben“ von Nathaniel Hawthorne – „zufällig“ ein Zeitgenosse Thoreaus – gefälscht werden sollte, scheitert kläglich.
Was ist also aus Amerika, dem Paradies der neuen Welt, der „City upon a hill“, zu der die ganze Welt aufschaut, geworden? Es scheint, als gäbe es in diesem Land tatsächlich nur „Imaginäre Paradiese“ wie es der Titel von Toms Magisterarbeit andeutet. Und dennoch: Nathan und Tom finden zurück in das Leben, sie dürfen sich noch einmal verlieben, raufen sich mit ihrer Familie zusammen, lösen Probleme. Doch sie haben ihre Rechnung ohne den Zufall gemacht. An einem sonnigen Morgen verlässt Nathan das Krankenhaus und ist froh, dass sich die Diagnose eines Herzinfarktes als falsch erwiesen hat. Nathan, früher ein griesgrämiger Vertreter für Lebensversicherungen scheint das Leben lieben gelernt zu haben und die Schönheit der kleinen und einfachen Dinge zu sehen. Alles könnte so gut ausgehen, wäre jener Tag nicht der 11. September 2001.
(Von Laura Seifert)
Literaturangaben:
AUSTER, PAUL: Die Brooklyn Revue. Roman. Übersetzt aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2006. 352 S., 19,90 €.
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