Von Sven Appel
Von merkwürdigen Typen wimmelt es in den Büchern von Thomas Coraghessan Boyles geradezu – sei es der Sexualforscher Kinsey in „Dr. Sex“, Popstar Maclovio Pulchris in „Ein Freund der Erde“ oder der schottische Afrikaforscher Mungo Park in „Wassermusik“. Wenn es sich bei T.C. Boyles Protagonisten doch einmal um „Normalos“ handelt, dann befinden sie sich meist in einer üblen Situation. Diese – inoffizielle – Regel trifft auch auf Boyles neuen, vierten Erzählband „Zähne und Klauen“ zu.
Der Titel lässt es schon vermuten – Tiere spielen eine gewisse Rolle in den insgesamt 14 Geschichten. Doch es sind vor allem Erzählungen über Menschen in Extremsituationen, Geschichten über Grenzerfahrungen, die an der zivilisatorischen Schicht kratzen und das Animalische durchscheinen lassen. Da ist zum Beispiel der zum Vollzeit-Trinker mutierte Sportlehrer, der tut, was er tut, weil sein Sohn in einem außer Kontrolle geratenen Besäufnis unter High-School-Kumpanen zu früh den Tod fand.
Im „Vom raschen Aussterben der Tiere“ erzählt T.C. Boyle, der mit seiner Frau und drei Kindern in der Nähe von Santa Barbara lebt, von einer jungen Frau und einem jungen Mann, die sich ein paar Tage zuvor kennengelernt haben und nun – um einander näher zu kommen – gemeinsam in die Berge fahren. Sie entscheidet sich jedoch am Ende gegen ihn: Der junge Bursche versagt gewissermaßen unter darwinistischen Gesichtspunkten, weil er mit seinem Wagen völlig unvorbereitet – ohne Schneeketten und Schippe an Bord – während eines Schneesturms im Graben landet und sich als ziemlich hilflos erweist. Die schnöde Abfuhr ist ein auf das Animalische reduzierte Ende einer anfangs viel Romantik versprechenden Story – typisch Boyle eben.
Oft sind es letztlich selbst verschuldete Katastrophen, in die Boyles Figuren hineingeraten. So wie der junge Mann sich ohne passende Ausrüstung zum Rendezvous in die Berge begibt, hätte es auch die junge Vogelkundlerin Junie Ooley in „Windsbraut“ besser wissen müssen. Für ihre Studien begibt sie sich auf die Shetlandinseln. Schon bei ihrer Ankunft bläst ihr der Wind eine Katze in den Arm – ein Omen. Sie fällt ohnmächtig zu Boden, und ein junger, aber kauziger Einheimischer rettet sie davor, von einem Auto überfahren zu werden. Es gibt eine Liebesgeschichte, die von der Biologin beendet wird – was sie womöglich das Leben kostet, denn beim nächsten Rettungsversuch kommt der verlassene Robbie zu spät.
Man kann „Windsbraut“ als Schlüssel zu Boyles Büchern nutzen: Seine Protagonisten werden hin und her gezerrt zwischen Vernunft und Instinkt. Unabhängig davon, auf welche Seite es sie verschlägt, scheitern sie meistens. In der Schilderung solcher Tragödien liegt Boyles Meisterschaft, die er mit „Zähne und Klauen“ erneut beweist.
Literaturangaben:
BOYLE, T.C.: Zähne und Klauen. Erzählungen. Aus dem Amerikanischen von Annette Grube und Dirk van Gunsteren. Carl Hanser Verlag, 2008. 318 S., 19,90 €.
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