BERLIN (BLK) – Erstmals wird die „Welt der Hetären“ des Altertums ausführlich dargestellt, meint die „FAZ“. Die „SZ“ bespricht Nancy Hustons preisgekrönten Roman „Der winzige Makel“. Außerdem in der Presseschau: die gesammelten Fußball-Glossen von Walther Bensemann und eine Anthologie arabischer Dichtung der Gegenwart.
„Frankfurter Allgemeine Zeitung“
Die „FAZ“ bespricht das Buch „Die Welt der Hetären“ des Konstanzer Althistorikers Wolfgang Schuller. Von der griechischen bis zur römischen Antike werde die Welt der Hetären erstmalig dargestellt, meint der Rezensent. Hetären seien Frauen, unbelastet von „bürger- oder familienrechtlichen Zwängen“, die „erotische Beziehungen mit mehren Männern eingingen“, wobei die Gegenleistungen nicht nur materieller Natur seien. Problematisch sei einzig der durchgängig männliche Blickwinkel, doch könne man dies dem Autor nicht zur Last legen. Mit dem ihm zur Verfügung stehenden Material habe Wolfgang Schuler ein „informatives, verlässliches und lesenwertes Buch“ verfasst, urteilt der Rezensent.
Dem Göttinger Lektor und Verleger Bernd-M. Beyer werde das Verdienst zuteil, die Fußball-Glossen des deutschjüdischen Fußballpioniers Walther Bensemann (1873-1934) wieder zugänglich gemacht zu haben, schreibt die „FAZ“. So habe Bensemann, der Gründer des Sportmagazins „Kicker“, gehofft, dass Spannungsverhältnis zwischen den Nationen auf dem „grünen Rasen“ auflösen zu können. Beyer gelinge es, durch seine „kluge Auswahl“ den Charme der Texte zu erhalten, trotz des oft selbstgefälligen biedermeierlichen Tons. Das Verdienst Bensemanns sei aus „sportpublizistischer“ Sicht nicht zu unterschätzen, der mit „untrüglicher Analyse“ jeder Form von Nationalismus widersprochen habe.
Die „FAZ“ bespricht das Sachbuch „Zielgruppe Ärzteschaft“ von Francesca Weil. Die DDR-Führung habe auch das Gesundheitswesen nach ihrem Willen auszurichten versucht, schreibt der Rezensent Reiner Burger. So habe sich zwar die Mehrheit der Ärzte von Stasi und SED ferngehalten, dennoch sei der Anteil an Inoffiziellen Mitarbeitern höher gewesen als in der Gesamtbevölkerung. Zwar führten preisgegebene Informationen zu Verhaftungen von Patienten, doch in erster Linie seien Informationen über Kollegen und das Gesundheitswesen weitergegeben worden. Dennoch seien „nach der Wende“ kaum Ärzte zur Rechenschaft gezogen worden.
Bernd Sösemann stellt in der „FAZ“ das Sachbuch deutsche „Presseanweisungen im zwanzigsten Jahrhundert“ von Jürgen Wilke vor. Sowohl in Diktaturen wie auch in freien Gesellschaften werde die Presse beeinflusst, meint der Rezensent. Der Unterschied liege in „Form und Umfang“ der „Verbindlichkeiten“. Die Zeit des Ersten Weltkriegs, des Nationalsozialismus und der DDR solle näher betrachtet werden. Mit „weiterreichenden Erkenntnissen“ könne diese Studie nicht aufwarten, doch liege der Verdienst in ausführlich ausgewerteten Akten aus der Zeit des Ersten Weltkriegs und der DDR.
Sandra Pott bespricht in der „FAZ“ Ilma Rakusas und Mohammed Bennis’ Textsammlung arabischer Gegenwartsdichtung „Die Minze erblüht in der Minze“. Darin sind Texte von Dichtern aus sieben arabischen Ländern zu finden, die im Rahmen eines 2000 begonnenen Autorenprojekts mit deutschen Kollegen der Darmstädter Akademie entstanden sind. Ausgewählte Essays würden die Chancen des lyrischen Dialogs besprechen, meint Pott. Außerdem hätte der 11. September den Bedarf an Lyrik geradezu gesteigert. Formbeherrschung und hoher Ton würden nach wie vor zum dichterischen Ethos gehören, die erhabene Bildlichkeit würde jedoch nicht mehr tragen.
„Süddeutsche Zeitung“
Jean-Michel Berg bespricht in der „SZ“ das von Gerlinde Reinshagen in freirhythmischen Versen geschriebene Langgedicht „Die Frau und die Stadt“ über die deutsch-jüdische Lyrikerin Gertrud Kolmar (1894-1943). Berg meint, Kolmar hätte zwar lange als „große Stimme des Jahrhunderts“ gegolten, und stehe gleich neben Annette von Droste-Hülshoff und Else Lasker-Schüler, sei aber kaum bekannt gewesen. Das Gedicht ist ein fiktiver Monolog der in Auschwitz ums Leben gekommenen Dichterin, den sie in ihren letzten Lebensjahren hätte halten können. Nicht das lyrische, sondern das private Ich der Dichterin solle zur Sprache kommen, „stille Töne“ und „beklemmende Höhen“ seien gleichermaßen zu hören, schreibt der Rezensent.
Maike Albath rezensiert in der „SZ“ Nancy Hustons Familienroman „Ein winziger Makel“, für den die aus Kanada stammende Schriftstellerin in ihrer Wahlheimat Frankreich mit dem „prix femina“ (2006) ausgezeichnet wurde. Das mit vier verschiedenen Ich-Erzählern, einer Umkehr der Zeitenfolge und weltweiten Handlungsorten operierende „Familienpanorama“ kreise um Judentum und Kindsverschleppungen während des Dritten Reichs, die „transgenerationelle Traumatisierung“ werde zum Kern der Geschichte. Die Autorin bewerkstellige den eigenen Anspruch ganz gut, die Geschehnisse würden nicht übermäßig aufgeladen, so die Rezensentin. Der Nationalsozialismus hätte in den letzten Jahren in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, anders als in Frankreich, allerdings „Hochkonjunktur“ gehabt, beim deutschen Leser „mag eine gewisse Übersättigung eingetreten sein“.
Herfried Münkler rezensiert in der „SZ“ Harald Welzers Buch „Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert gekämpft wird“, worin mögliche Katastrophen einer drohenden Klimaveränderung beschrieben werden. Die prognostizierten sozialen Folgen, Gewalt im Überlebenskampf um versiegende Ressourcen und daraus resultierende Migrationswellen, seien in ihren einzelnen Elementen nicht neu, meint Münkler. Bei Welzer würden sie aber durch die Verknüpfung eine Intensität erlangen, wie sie selten zu finden sei. Vieles würde dafür sprechen, dass Welzer ein realistisches Zukunftsszenario entworfen hat, das man laut Münkler aber nicht fatalistisch, sondern als Herausforderung begreifen solle. (dan/fri/sat)
Literaturangaben:
BEYER, M. BERND (Hrsg.): Der König aller Sports. Walther Bensemanns Fußball-Glossen. Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2008. 256 S., 22,90 €.
HUSTON, NANCY: Ein winziger Makel. Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Uli Aumüller und Claudia Steinitz. Rowohlt Verlag, Hamburg 2008. 368 S., 19,90 €.
RAKUSA, ILMA / BENNIS, MOHAMMED: Die Minze erblüht in der Minze. Arabische Dichtung der Gegenwart. Anthologie. Carl Hanser Verlag, München 2007. 197 S., geb., 21,50 €.
REINSHAGEN, GERLIND: Die Frau und die Stadt. Eine Nacht im Leben der Gertrud Kolmar. Lyrik. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 58 S., 14,80 €.
SCHULLER, WOLFGANG: Die Welt der Hetären. Berühmte Frauen zwischen Legende und Wirklichkeit. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2008. 303 S., 24,50 €.
WEIL, FRANCESCA: Zielgruppe Ärzteschaft. Ärzte als Inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit. Verlag V & R Unipress, Göttingen 2007. 308 S., 32,90 €.
WELZER, HARALD: Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008. 321 S., 19,90 €.
WILKE, JÜRGEN: Presseanweisungen im zwanzigsten Jahrhundert. Erster Weltkrieg – Drittes Reich – DDR. Böhlau Verlag, Köln 2007. 348 S., 42,90 €.
Presseschau vom 11. April 2008
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