Werbung

Werbung

Werbung

Alle Romane von Marguerite Duras

Die große französische Schriftstellerin schreibt, um dem Vakuum des Lebens einen Namen zu geben

© Die Berliner Literaturkritik, 24.10.08

 

Marguerite Duras schrieb viel und vor allem ihr Leben lang. Geboren in Indochina, aufgewachsen in tiefster Armut lernt sie früh das Leben aus einer klaren, unverblümten Perspektive kennen. Nicht zuletzt ihr literarisches Dasein versucht, diese Tristesse sichtbar zu machen. Indem Liebe zur Prostitution wird, indem Liebe auf materielle Obsession reduziert wird und indem der Mensch bloßer Körper wird, erscheint Literatur als Instrument der Entzauberung. Hinter alledem ist eine tiefe Kluft, ein Raum ohne Wörter und Farben. Eine Leerstelle, so könnte man sagen, für welche Marguerite Duras vielleicht am eindrucksvollsten eine adäquate Sprache gefunden hat. Denn ihr Thema ist ohne Zweifel der Verlust, der zum literarischen Konzept wird. Was fehlt, was als unmöglich auszusprechen gilt, erfährt im literarischen Entwurf der großen Vertreterin des französischen Nouveau Romans einen existenziellen Wert. Das Nichts wird erst in der Sprache wahrhaftig und spiegelt eine fast schon körperliche Qualität wider. Sie schreibt, um dem Vakuum des Lebens einen Namen zu geben.

„Das Nichts wird zur Statue. Der Sockel dazu: Der Satz.“ schrieb Duras einst in ihrem wohl für ihre Gesamtliteratur prägnantesten Roman „Die Verzückung der Lol V. Stein“. Schreiben als Lebenskonzept, um zu überleben. Nie bleibt jedoch ihr eigentliches Credo aus: Die Liebe. So insbesondere ihrem bekanntesten Weltbestseller „Der Liebhaber“, in dem ein junges Mädchen gegen Geld eine amouröse Beziehung zu einem Chinesen eingeht. Die Liebe stellt sich in ihren sämtlichen Facetten dar, wobei sie bisweilen an Obsession und Perversion grenzt. Dennoch ist „Der Liebhaber“ überschätzt, weil er lediglich einen Teil einer literarischen Gesamtheit bildet. Genau jene Gesamtheit kann nun neu gelesen werden.

Das jüngst erschienene Kompendium der Romane der französischen Schriftstellerin beim Suhrkamp Verlag stellt eine erfreuliche Wiederentdeckung der filmischen Autorin dar. Cineastisch seinen die Szenen ihrer Bücher aufgebaut. Eben richtig, um daraus dann einen Film zu machen. Dass Film, Perspektive und Blickwinkel eine wesentliche Rolle in ihrem literarischen Kosmos spielen, ist unbestritten. Nicht zuletzt in dem Weltbeststeller „Hiroshima mon amour“, eindrucksvoll verfilmt von Alain Resnais, verlaufen die Grenzen zwischen filmischer Darstellungsweise und literarischer Ästhetik fließend. Was die  Sammlung des Suhrkamp Verlages besonders qualifiziert, ist die sowohl wissenschaftliche als auch durchaus feuilletonistische Annäherung an das Durassche Gesamtwerk im Nachwort, welches die Sichtweise auf den dramaturgischen Gehalt ihrer Texte hervorhebt: „So verschiebt Duras ihre Figuren auf dem Parkett des Lebenstheaters, macht sie zu Ehebrecherinnen, Verrückten, zu Süchtigen und Ausgelieferten“, hält Ilma Rakusa reflektierend über die Anatomie der literarischen Gestalten Duras’ fest. Tatsächlich existieren alle Figuren zwischen Extremen. Nahezu jede ihrer Frauen stürzt sich, enthoben von alltäglicher Monotonie, ins Unglück und unterliegt einem unumgänglichen Fatalismus. Der Ausbruch, das Loslösen von der Konvention erweist sich als literarische Obsession, welche nicht selten im Alkoholsuff und Zigarettensucht ausartet.

Nicht das Normale steht für die Geschichten, vielmehr fasziniert sie der Exzess, gesteigert bis zum Ultimo, an dem das Individuum, eben der allein auf sich selbst zurückgeworfenen Mensch scheitern muss. Bitter und lakonisch. Innerlich zerrissen driften die Personen im Konflikt zwischen dem Inneren und einer Außenwelt, deren Gewalt in ihr Leben bricht und alles mit sich zu reißen droht. Es geht um Liebe und um die Unmöglichkeit zu lieben. Um Tod und Sehnsucht nach Leben. Und immer auch um Verarbeitung, indem die verdrängte Vergangenheit zur Gegenwart wird. Die „Symbolfigur“, so Rakusa, Lol V. Stein ist dafür beispielhaft, da sie die längst in sich verdrängte Zurückweisung ihrer großen Liebe Michael Richardson erst Jahre danach in einer amour fou mit dem Ich-Erzähler neu durchleben muss. Es ist in dieser Konsequenz erkennbar, dass bei Marguerite Duras die Projektion als filmisch-literarische Technik fungiert, sodass das Erinnern zum heiligen Glaubensgebot werden muss. Eine Welt, die die Gegensätzlichkeit als konstitutives Element in sich trägt, muss zwangsweise auseinanderbrechen, um einen neuen Schöpfungsraum zu gewährleisten. Nur wenn die Zeitebenen ineinander übergehen, wie es in „Hiroshima mon amour“ erfolgt, als die Hauptdarstellerin im Gespräch mit ihrem chinesischen Liebhaber sich ihrer erniedrigenden Vergangenheit während der Kollaboration in Frankreich klar wird, entsteht etwas, das zeitlich enthoben ist. Nur Gegenwart ist da, als Riva im gleichnamigen Drehbuch begreift, dass die Rasur ihrer Haare und der damit einhergehende Schuldspruch der Gesellschaft für die Liebschaft zu einem deutschen SS-Soldat im Moment des Erzählens gegenwärtig wird, kann sie den Schmerz überwinden. Die liebe zu dem Chinesen, dem sie allmählich ihre Vergangenheit eröffnet ist befreiend und zerstörend zugleich, weil Schmerz und Wunden unablässig werden.

Und der Leser? Ihm widerfährt in der Vielfalt der Motive zwischen Liebe und Erotik, zwischen Kampf und ruhiger Lakonie, ein wunderschöner, ja zärtlicher Voyeurismus. Denn die Quintessenz des Durasschen Stils liegt in der Kenntnis der menschlichen Psyche. Man erhält, insbesondere im Roman „Der Schmerz“ durch die einzigartige interne Fokalisation aus dem Blickwinkel des Ich-Erzählers heraus den Eindruck, man wäre gewissermaßen live dabei, Teil des Geschehens. Jeder geschriebene Gedanke wird gleichzeitig zum Gedanken des Lesers. Autor und Rezipient werden eins. Welchen biographischen Anteil die Figuren letzten Endes von Duras widerspiegeln, ist und muss nach ihrer Auffassung ungewiss bleiben. In einem Interview sagt die große Schriftstellerin Frankreichs noch zu Lebzeiten, sie wisse selbst nicht einmal, was in ihrer Literatur nun biographisch oder fiktiv sei. Jede Grenze ist durchbrochen. Sei es Konvention, Zeit oder Biografie. Und immer ist es die Liebe, welche die Personen ihrer teilweise avantgardistischen Romane und Filme umtreibt. Obwohl die Vision der Liebe in all ihren Texten mitschwingt, kann kein Wort darin über den Verlust und die Einsamkeit der Welt hinwegtäuschen. Der Fatalismus im Sinne einer nie zu erreichenden Erfüllung, ja als Formel der Unmöglichkeit, mündet in Melancholie und notwendiger Selbstdestruktion. Ohne Schmuck und Euphemismus kommt ihre knapp-metaforische Sprache aus. Sie ist so wie der Mensch denkt, nur lieblicher, nur sanfter.

Die neu herausgegebene Ausgabe ihrer Romane ist ein wegbereitender Anfang für eine neue Auseinandersetzung mit dem facettenreichen Werk einer Weltautorin. Trotz der Signalwirkung und des ausführlichen Nachworts fällt eingefleischten Duras Kennern allerdings sofort das Fehlen des Romans „Yann Andrea Steiner“ auf, ein nicht zu verschweigendes Manko, das die angebliche Gesamtausgabe jedoch etwas fragmentarisch erscheinen lässt; ist es doch immerhin eine Hommage an die letzte und vielleicht auch einzig große Liebe im Leben der Marguerite Duras.

Von Björn Hayer

Literaturangaben:
DURAS, MARGUERITE. Die Romane. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 1904 S., 25 €.

Mehr von „BLK“-Autor Björn Hayer

Verlag


Bookmark and Share

BLK mit Google durchsuchen: