BERLIN (BLK) -- Polar entgegengesetzt sind einige Themen der in der Belletristik-Presseschau versammelten Prosa. Ob sie aus ein und demselben Bedürfnis entspringen, mag der Leser entscheiden. Auf der einen Seite jedenfalls wird das kleine, das ungelebte Leben seziert, und dies -- so befinden die Rezensenten -- meisterhaft: Pierre Michon widmet sich bereits mit dem Titel seines Buches dem „Leben der kleinen Toten“. Während Michon von der Provinz erzählt, ist Véronique Olmis Roman „Eine so schöne Zukunft“ im großstädtisch-intellektuellen Milieu angesiedelt, was die Figuren allerdings nicht davor bewahrt, ein tausendfach vorgelebtes Leben mit ihrem individuellen zu verwechseln. Der andere Pol der Presseschau wird von Kriminal- und Detektivgeschichten besetzt, die ein aufregenderes Leben im Angebot haben, zumal ihre Protagonisten nicht selten in ebensolche Dinge involviert sind, wie etwa in Leonardo Paduras „Ein perfektes Leben“. Vom Mittel des politischen Mordes handelt Nicholson Bakers Roman „Checkpoint“, dessen Protagonist George W. Bush zu ermorden gedenkt.
„Frankfurter Allgemeine Zeitung“
Obgleich Leonardo Padura in seinem Roman „Ein perfektes Leben“ eine Geschichte innerhalb des Detektivgenres entwickle, seien die Abenteuer seines Mario Conde mehr als nur ein l´art pour l´art der Kriminalistik, urteilt die „FAZ“. „Conde ist eine Metapher“, sage der Autor selbst über seinen Helden, „denn ein Polizist kommt überall hin. In den Luxus der Nomenklatura und in die schäbigen Häuser der normalen Leute.“ Diese Mischung aus Spannung, Erotik, Gesellschaftskritik und einer Spur Exotismus kenne freilich auch noch einen weiteren Zielort: die Verkaufsregale westlicher Buchmärkte. Doch es sei vielleicht gerade das unverhohlene Schielen auf den wirtschaftlichen Erfolg, welches Paduras Romanen ihren eigenartigen Reiz verleihe. Durch sein Lavieren zwischen Kommunismus, Kommerz und Korruption sichere Padura seinem Protagonisten Mario Conde einen Platz unter den Antihelden des vergangenen Jahrhunderts.
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„Berliner Zeitung“
„Checkpoint“ von Nicholas Baker sei ein Roman, der deutsche im Gegensatz zu amerikanischen Lesern wenig Nerven kosten würde, schreibt die „Berliner Zeitung“. Das Vorhaben des Protagonisten Jay sei es, George W. Bush umzubringen, jedoch nicht, ohne vorher der ganzen Welt die Gründe des geplanten Attentats darzulegen, weshalb Jay sich mit seinem Freund Ben treffe, damit dieser das Gespräch auf Tonband aufnehme. Hier beginne der Roman und damit die Langeweile für den deutschen Leser, „weil Hassreden gegen Bush zum guten Ton an Stammtischen und in Hörsälen gehören“.
„Neue Zürcher Zeitung“
Ein sonderlich geruhsames Leben habe Manuel Vázquez Montalbán seinem Helden, dem Privatdetektiv Pepe Carvalho, nie gegönnt, findet die „NZZ“. Vom ersten, 1972 erschienenen Roman „Ich tötete Kennedy“ bis zu dem im Original 1997 veröffentlichten „Quintett in Buenos Aires“ habe er ihn wieder und wieder in die Wirren seiner Zeit geschickt, ihn vom US-amerikanischen Geheimdienst bis zu argentinischen Folterknechten mit Ideologen verschiedenster Couleur in Berührung kommen lassen. Mit dem „letzten Bolero“ habe Vázquez Montalbán einen teils ironischen, teils nachdenklichen Kommentar zu den großen und kleinen Verrücktheiten des katalanischen Nationalismus verfasst. Wer wolle, könne den Roman als Einführung in das verzerrte Weltbild dieser Bewegung lesen, sich insbesondere einen Eindruck von dessen jüngsten, auf die Effekte der Globalisierung setzenden Theorien verschaffen. Wer dies aber nicht wolle, der könne eintauchen in die milde Melancholie des Buches, Carvalhos sanfte Alterswehmut, die elegische Stimmung eines mittlerweile Sechzigjährigen, der nach jahrelangem Fernbleiben wieder in seine Heimatstadt zurückkehre und nun durch ein dank der Olympischen Spiele von 1992 rundum erneuertes, ihm allerdings zu großen Teilen fremd gewordenes Barcelona streife.
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„Die Zeit“
Die glanzlose Erscheinung gesellschaftlich abgesicherter Lebensmodelle rücke Véronique Olmi in ihrem dritten Roman „Eine so schöne Zukunft“ ins Licht. Dazu begegneten sich zwei ungleiche Liebespaare aus dem Pariser intellektuellen und Künstlermilieu anfangs noch ganz ihren Konventionen entsprechend. Die Risse unter der Oberfläche seien subtil aber deutlich zu spüren. Es komme zu einer manifesten Krise in beiden Beziehungen, worauf hin sich die beiden Frauen einander annäherten. Die Krise nutze Olmi, um eine Schicht tiefer in die weiblichen Protagonisten zu dringen, deren ungelebtem Leben ebenso wie dem ihrer Männer kein Happy End beschieden sei. Der Roman verdeutliche, „wie schnell man aus dem Leben eine Bühne gemacht, sich selbst in einer dargebotenen Rolle versteckt hat“.
Ein „außergewöhnliches Buch“ urteilt „Die Zeit“ über Pierre Michons Roman „Leben der kleinen Toten“, der im französischen Original bereits 1984 veröffentlicht worden sei. Michons Stil, die Kombination von poetischer und reflektierender Sprache seien, so Michon selbst, „die beste Waffe gegen den armen, alten Roman“. Mit den „kleinen Toten“ portraitiert Michon das Leben in der Provinz, dasjenige Leben, welches „näher an der Erde dran ist und schneller wieder von ihr verschluckt wird“. Der Erzähler changiere dabei beständig zwischen Feier und Sarkasmus.
„Nicht neue Argumente, nicht Analyse“, sondern „klassische Gefühle des Ekels, der Wut“, kämen in Nicholsons Bakers Roman „Checkpoint“ zu Wort, der die Vorteile und Nachteile eines Attentats an dem US-Präsidenten George Bush erörtere, so „Die Zeit“ von heute: Das Ausgangsmaterial des Romans bilde ein fingierter Mitschnitt eines Gesprächs zwischen zwei Freunden, von denen der einen davon besessen sei, den Präsidenten zu töten. Der andere versuche, den Freund von seinem juristisch bedenklichen Vorhaben abzubringen und argumentiere gleichzeitig gegen Bush. So lehre der Thesenroman, dass „Bush weg“ müsse, aber „ein tatsächlicher Mord trotzdem nicht zu empfehlen sei. Am Ende des Romans komme es zu einer Voodoo-Exekution an Bush, damit sich der Freund mit den Mordgelüsten wenigstens „für einen Mörder halten“ könne.
„Ein wunderbar wirbeliger Kaffehaus-Roman“ sei Deszö Kostolányis „Ein Held seiner Zeit - Bekenntnisse des Kornél Esti“, so „die Zeit“ von heute. Deszö Kostolányi, der sich unter anderem als der ungarische Übersetzer von Thomas Mann und Rilke hervorgetan habe, gelte als der „eleganteste ungarische Schriftsteller“ Auch inhaltlich orientierten sich die „Bekenntnisse des Kornél Esti“ an Thomas Manns „Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ - Wie letztere sei auch Kostolányis jüngstes Werk zugleich „Divertissement und Experiment, Maskerade und Konfession, Jugenderinnerung und Altersresümee.“ Wie Thomas Manns „Bekenntnisse“ handelten auch die Bekenntnisse des Kornél Esti vom Reisen. Insbesondere die Stationen, die der Kornél Esti in Deutschland verbringe, seien für den deutschen Leser ein Genuss und den besten Texten deutschsprachiger Erzähler „ebenbürtig“.
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Literaturangaben:
BAKER, NICHOLSON: Checkpoint. Roman. Übersetzt von Eike Schönfeld. Rowohlt, Reinbek 2004. 144S., 12,90 €.
KOSZTOLÁNYI, DESZÖ: Ein Held seiner Zeit. Die Bekenntnisse des Kornél Esti; aus dem Ungarischen von Christina Viragh, mit einem Nachwort von Péter Esterházy; Rowohlt Berlin, Berlin 2004; 297 S., 19,90 €
MICHON, PIERRE: Leben der kleinen Toten. Aus dem Französischen von Anne Weber. Suhrkamp, Frankfurt/Main 2004. 244S., 19 90 €.
MONTALBÁN, MANUEL VÁZQUEZ: Der letzte Bolero. Roman. Übersetzt aus dem Spanischen von Theres Moser. Piper, München 2004. 286 S., 18,90 €.
OLMI, VÉRONIQUE: Eine so schöne Zukunft. Roman. Aus dem Französischen von Claudia Steinitz. Verlag Antje Kunstmann, München 2004. 196S., 19,90 €.
PADURA, LEONARDO: Ein perfektes Leben. Roman. Erster Band des „Havanna-Quartetts“. Übersetzt aus dem kubanischen Spanisch von Hans-Joachim Hartstein. Unionsverlag, Zürich 2003. 286 S., 18,90 €.
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