MÜNCHEN (BLK) – Im Carl Hanser Verlag ist Lars Brandts neuer Roman „Gold und Silber“ erschienen. Das Buch des Sohnes des ehemaligen Bundeskanzlers Willy Brandt ist sowohl Künstlerporträt als auch Liebesgeschichte, verkündet der Verlag.
Klappentext: Eine mittelgroße deutsche Stadt am Ende des 20. Jahrhunderts. Hier gibt es eine Gruppe jüngerer und nicht mehr ganz so junger Leute, die sich als Künstler fühlen und sich fragen: Wie finde ich das richtige Leben in dieser so komplizierten und schlecht organisierten Welt? Sie wissen, was sie wollen, aber sie wissen nicht wirklich, wie sie es machen sollen. So auch der Erzähler, der sich weigert zu begreifen, dass die von ihm verehrte Ginger bereits vergeben ist und nichts von ihm wissen will. Seine Hartnäckigkeit führt ihn mit Umwegen nach Rom, zum Sehnsuchtsort aller Künstler, der nun auch seiner Liebe aufhelfen soll. Lars Brandt bringt auf leichte, assoziative Weise das Schwerste zur Sprache: Sein Künstler- und Liebesroman erzählt von Menschen auf der Suche nach dem richtigen Leben.
Lars Brandt wurde 1951 in Berlin geboren. Er studierte dort Politologie, Soziologie, Philosophie und Japanisch. Seit Mitte der 70er ist er Freier Künstler; er arbeitet an der Schnittstelle von Bild und Wort. Lars Brandt macht Filme, Texte, Bilder. Mit seinem Dokumentarfilm „Momente des Glücks – H.C. Artmann“ (2000 WDR/ARTE) und seinem Buch „H.C. Artmann – ein Gespräch“ (2001 im Residenz Verlag Salzburg erschienen) setzte er dem Dichter, der kurz nach der Arbeit an diesem Projekt verstarb, ein Denkmal. Lars Brandt lebt in Bonn. (mik/tan)
Leseprobe:
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Ginger aber wollte in den Wald. Mitternacht, draußen goß es in Strömen. Der Wein des Portugiesen kam uns langsam zu den Ohren heraus. Und Hans sagte, in dem Fall müsse er natürlich erst noch sein Saxophon holen. Der harte Hans mit seiner langen Nase und den finsteren Knopfaugen – eine zierliche Marionette aus Pappmaché, so stakste er wackelnd im Sturzregen vor uns her. Er überraschte einen damit, sich nicht aufzulösen wie ein Zuckerstück.
Zwischen schwarzen Bäumen unser schwarzer Reigen durch die Nacht, eine Silhouette schwarz auf schwarz. Auch das Weiß meiner Jacke war nun schwarz. Sandkörner prickelten unter den krummen Ledersohlen der Stiefel, die Hans nie spitz genug sein konnten. Links hielt er das Köfferchen mit dem Saxophon, rechts die obligate filterlose Zigarette, deren Glut Mal um Mal eisig unter seiner Nase aufleuchtete.
Als wir zu dem Punkt gelangt waren, von dem wir tief unter uns den Strom nicht sahen, dudelte Hans durch die nasse Nacht. Raucharabesken schlängelten sich aus dem krächzenden Instrument hin zu der Salami, von der wir regentriefende Scheiben säbelten und dann mit Grappa wegspülten. „Skål!“ rief Paavo mit ausgebreiteten Armen, als wolle er die Welt umfangen, und ließ einen gellenden Pfiff los. „Skål“, flüsterte Jarl. Ich bin weniger schwärmerisch angelegt. Trotzdem – plötzlich begann alles zu schweben, und ich mittendrin. Eine Leichtigkeit und Beweglichkeit, an der man ebenso wenig teilnimmt, wenn zuviel, wie wenn gar nichts geschieht. Einen leisen Trinkspruch ist es allemal wert, wenn weder das eine noch das andere einen behindert, wenn sich der Traum Bahn bricht, falls es das war, was Jarl gemeint hatte.
Am nächsten Abend, der Regen hatte aufgehört, und wir waren wieder drinnen beim Portugiesen, der sich als Spanier ausgab, saß ich neben Jarl. Er redete gerade auf Sebastian ein: „Wörter taugen nicht viel. Dann schreibe ich erst recht. Bilder sind auch nichts wert. Also mache ich Filme.“ Es war eine Art Selbstgespräch, er kaute auf Gedanken herum, die für ihn brisant zu sein schienen. Sebastian hörte nur halb zu und schaute ihn aus kleinen Augen müde an. Aber Jarl ließ sich nicht bremsen: „Ich habe keine Lust, es mir im Kino bequem zu machen oder pompös Bücher aus meinem Regal zu ziehen und bei alledem immer neu zu finden, wie großartig die Welt ist. Eine Welt, in der Filme und Bücher alle ihren rechten Platz haben. An die falschen Plätze gehören sie, wo sie stören. Heraus aus den vorgesehenen Kästchen, in denen sie nichts mehr durcheinanderbringen können.“
Jarl war noch nicht am Ende: „Einer plappert dem anderen nach“, sagte er, ohne sich von Sebastians Desinteresse ablenken zu lassen: „Filme zeigen Bewegungen, heißt es, und keiner denkt nach, ob es überhaupt stimmt. Nein. Um Veränderungen geht es. Das Bild verändert sich. Nicht einmal das muß sein. Vielleicht vergeht nur Zeit. Bilder mit Zeit versehen, das ist ein Film, und ob sich auf ihnen auch etwas ändert oder gar bewegt, soll man erst einmal abwarten.“ Ich mußte zugeben, daß es auch mir bislang so vorgekommen war, als handele es sich um bewegte Bilder beim Film. Das spielte aber keine Rolle, beunruhigend fand ich etwas anderes: Wie viele solcher ungeprüft übernommenen Vorstellungen ich wohl noch in meinem Kopf mit mir herumtragen mochte, ohne mir dessen bewußt zu sein?
„Warten. Pause“, sagte Jarl. „Warten, was geschieht. Ob überhaupt etwas. Wie die Zeit verstreichen wird, die dem Bild gehört. Alles, worauf es ankommt, das sind die Pausen. Dunkle, geheimnisvolle Höhlen, in denen sich versteckt hält, was anders zu bleiben vorhat. Was sich nicht einfach untermischen läßt. Da beginnt es interessant zu werden. Filme, die es sich zu machen lohnt, organisieren Pausen. Sie tun, als ob sie Aktionen feierten, und packen damit doch nur die kostbaren Pausen ein. Für sich gibt es sie allerdings nicht – auch das ist eigentlich aufschlußreich. Erst das, was sie nicht sind, ihr Gegenteil, macht sie möglich. Das ganze Getöse und Getümmel drum herum, das sie nährt und umspült. Sonst sind sie nicht vorhanden. Man kann ja nicht einfach alles sein lassen, so entsteht keine Pause, sondern gar nichts.“ „Das wäre wiederum schlecht, oder?“ fragte Sebastian verständnislos.
„Im Schlamm auf dem Grund des Grunewaldsees lebt seit Menschengedenken ein gewaltiger Wels“, meinte Jarl jetzt unvermittelt. „So etwas kommt vor.“ Sebastian blickte etwas hilflos über den Tisch. „Hast du schon einmal einen Wels gefangen? Am besten geht es mit einem dicken Bündel Tauwürmer. Aber der Wels im Grunewaldsee läßt sich nicht fangen, er fängt selber“, sprach Jarl weiter, der sich nicht darum kümmerte, ob Sebastian sich für Fische interessierte oder nicht. „Es gibt viele Schwäne auf dem Grunewaldsee. Die Naturisten geben acht, ihnen nicht zu nahe zu kommen, ein aufgebrachter Schwan kann einem nämlich gefährlich werden. Wenn man noch nicht einmal Hosen anhat, erst recht. Dabei regen die Schwäne sich über die Falschen auf. Sie haben vor den Falschen Angst. Immer wieder nämlich ist plötzlich einer der Vögel weg. Aber weil ihn der Wels zu sich hinabgeholt hat.“
Sebastian fiel auch hierzu nichts ein, er betrachtete sein Glas, das er nachdenklich in Augenhöhe schaukelte, und es hatte nicht den Anschein, als dringe Jarls Rede überhaupt zu ihm vor. Fürs erste war sie auch abgeschlossen. Jarl konnte zufrieden sein, in Sebastians Kopf hatte er unverkennbar eine Pause gepflanzt. Er räusperte sich, und sein Finger wies auf dessen Weinglas. „Halbvoll“, konstatierte er. Sebastians Züge belebten sich wieder. Seine roten Wangen hätten ihm etwas von einem Putto gegeben, aber für ein weichbackiges Engelchen war er zu männlich. Und anstelle blonder Locken wuchsen auf seinem Kopf die flaumigen Reste farblich unbestimmbarer Stoppeln.
„Oder sind wir vielleicht Zyniker?“ insistierte Jarl. Und als der Kellner mit dem glänzenden Großportemonnaie im Hosenbund das nächste Mal vorbeihetzte, rief er ihm hinterher: „Zwei Glas Portwein!“ „Deine Ausstellung ist wieder einmal sehr schlecht – übrigens keineswegs meine Privatmeinung, darin stimmen wir alle überein“, jubelte mir Parkland vom anderen Ende des Tischs und quer durch das Stimmengewirr zu, das in die Kaschemme gestopft war wie Abfall in den Müllsack. Alle? Wer sollte das denn sein? So etwas gibt es doch gar nicht.
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Literaturangaben:
BRANDT, LARS: Gold und Silber. Roman. Hanser Verlag, München 2008. 304 S., 19,90 €.
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