Martin ist in den 1960ern verheiratet und nimmt an dem Erwachsenenmikrokosmos einer abgelegenen Kleinstadt in New Hampshire teil. In den 1970ern lassen er und seine Frau sich deswegen scheiden. David Kern kehrt seit 40 Jahren alle fünf Jahre zu den Treffen seines Highschooljahrgangs zurück in seine Heimatstadt. Stan trifft sich mit seinem "New York Girl", als zwischen dem modernistischen Big Apple und dem heimatlichen Buffalo noch eine Tagesreise und ganze Welten liegen.
John Updike hat insgesamt ein Dutzend Geschichten unter dem Titel "Wie war's wirklich" versammelt, der bei Rowohlt erschienen ist. Der deutschen Leserschaft verkürzt das Buch die Wartezeit auf die deutsche Ausgabe der "Early Stories". Und zeigt daneben, dass John Updike wie kaum ein zweiter amerikanischer Gegenwartsautor ein Chronist der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist.
Elf der zwölf Erzählungen sind als nostalgisch missverstehbar. Darin kommen eheliche und außereheliche Interaktionen auf's Tableau, aber trotz des zu reißerischen Klappentextes ist es nicht alleine die Sehnsucht des vermeintlichen Viagrapatienten nach der Exstase der 1960er, so es diese denn gab. Die Vielfalt der Charaktere ist größer als die Verklärung der besseren und promiskuitiveren alten Zeit. John Updike erforscht mit den Geschichten eher die Bereitschaft des Menschen, seine Vergangenheit zu idealisieren.
Keine Disneyverkitschung
An die Fragilität dieses Ideals erinnert die Geschichte "Mein Vater am Rand der Schande", die die Kindheit des Erzählers in Roosevelts "Great Deal" wieder aufstehen lässt. Aber nicht als rosarote Disneyverkitschung von Smalltown, USA. Der Titel der Erzählung ist Programm: Der namenlos bleibende Ich-Erzähler ruft sich in Erinnerung, mit welcher Robustheit sein Vater als Highschoollehrer die pekuniären, juristischen und sozialen Wirrnisse zwischen "Great Depression" und der Präsidentschaft von Harry S. Truman meisterte. Während die Mutter immer mit mindestens einem Bein im Gefängnis und mithin endgültig im Aus gesehen wird.
Idealisierung und ihre Zerbrechlichkeit funktionieren aber auch andersherum, wie der Collegeprofessor David in der Erzählung "Die Katzen" erfährt. Selbst junger Großvater wird ihm beim Auflösen des Haushalts der verstorbenen Mutter bewusst, wie wenig sein nach seinen Maßstäben erfolgreiches und erfülltes Leben mit den Vorstellungen seiner Mutter und ihrer Zeit zu tun hat. Nicht dass er direkt der Illoyalität beschuldigt werden würde, aber die Nachbarn und auch er selbst sind sich darüber im Klaren, dass seine Mutter niemals den Gedanken hatte, dass die elterliche Farm nach ihrem Tod nicht in der Familie bleiben könnte.
Melancholischer Rückblick
Ständiger Wegbegleiter der Protagonisten des Updikeschen Dutzends ist eine sehr eigene Form von Melancholie. Aber nicht als ein "Früher-war-die-Welt-viel-besser"-Rückblick. Die Figuren, die John Updike erschafft, vergewissern sich des eigenen Weges aus der Vergangenheit in die Gegenwart. Und dabei geraten sie ins Staunen darüber, wie sehr der Weg von ihren Vorstellungen abgewichen ist und wie wenig Gradlinigkeit die Wege des Menschen durch die Zeit bestimmt.
Die Figuren entwickeln also eine Form von Distanz zu sich selbst (was man mit Ironie verwechseln kann, aber nicht muss), zu ihrer Herkunft und ihrer Geschichte. Diese Distanz findet sich im Duktus, der Sprache und der Haltung von John Updike zu seinen Figuren wieder. Wer Harry Angström kennt, John Updikes Alter ego der Rabbite-Romane, weiß um die Distanz von Autorenperspekitve und den Figuren. Harry Angström ist gerade deswegen das Vehikel der Chronistenpflicht, weil seine normale und in gewisser Weise beschränkte Weltsicht es ermöglicht, ein Abbild seiner Gegenwart zu geben. John Updike zeigte durch den Spiegel seines Alter ego dem Leser die eigene Beschränktheit.
Im Auge des Erinnernden
Ähnlich sind die Figuren der zwölf Erzählungen geraten. Wobei aber alle weniger auf den "common man" zugeschnitten sind als die Updike'sche Hauptfigur. Eine beschränkte Sicht auf ihre Realität bekommen sie aber dennoch vom Autor in die Wiege gelegt. Und in der Einsicht in die eigene Fehlbarkeit liegt der Kern der Geschichten. Unvollkommene, obgleich im Erfolg zufriedene Männer blicken zurück und blinzeln im Angesicht ihrer Vergangenheit über die Wege der Schöpfung.
Unhinterfragte Nostalgie, die Beschwörung einer überschaubaren und geordneten guten, alten Zeit ist ein mächtiger sozialer, aber auch kommerzieller und politischer Mechanismus. Sei es als Retro-Trend der Mode, als rituelle Referenz an das Jahr 1989, 1968 oder aktuell 1954. John Updike gibt seinen eigenen Kommentar dazu ab. Die Einfachheit der Vergangenheit liegt einzig im Auge der Erinnernden. Und wie seine Erzähler zeigen, ist der Mensch in seiner Erinnerung eben zutiefst fehlbar.
Literaturangaben:
UPDIKE, JOHN: Wie war’s wirklich. Rowohlt, Reinbek 2004. 251S., €19,90.