Werbung

Werbung

Werbung

Verflucht und heilig: Giorgio Agambens „Die Beamten des Himmels“

Für Giorgio Agamben sind Engel die „Beamten des Himmels“

© Die Berliner Literaturkritik, 12.11.07

 

Das Buch „Die Beamten des Himmels“, das als Neuerscheinung frisch gedruckt vorliegt, ist in gewisser Weise eine Mogelpackung. In seinem Vorwort entschuldigt sich der Autor Giorgio Agamben dafür, dass er dem Wunsch des publizierenden Verlages der Weltreligionen entsprach, „das den Engeln gewidmete Kapitel meines Buches ‚Die Macht und die Herrlichkeit’ vorab separat zu veröffentlichen“. Agamben erscheint diese Vorgehensweise höchst problematisch. Schließlich ist die deutschsprachige Veröffentlichung von „Die Macht und die Herrlichkeit“ seit langem für Dezember 2007 für die angesehene Reihe Edition Suhrkamp als Band 2520 angekündigt (allerdings unter dem Titel „Das Reich und die Herrlichkeit“).

Der Verlag der Weltreligionen scheint seinerseits selbst Skrupel mit der Veröffentlichung zu haben, da er „Die Beamten den Himmels“ gar nicht erst bewirbt. In der „ZEIT“ (4.10.2007) und in der „FAZ“ (6.10.2007) inseriert der Verlag auf zwei Halbseiten (Anzeigenwert: jeweils circa fünfzigtausend Euro) zwölf Titel seines neuen Programms, allerdings nicht „Die Beamten des Himmels“. Stattdessen wird ein Slogan Giorgio Agambens vorangestellt, offensichtlich mit schlechten Gewissen von Verlagsseite und ohne Hinweis auf dessen Buch. Das Agamben-Zitat lautet: „Ich denke, nur wer sich mit dem metaphysischen, religiösen, theologischen Paradigma auseinandersetzt, erhält wirklich Zugang zur gegenwärtigen auch politischen Situation.“ So pauschal funktioniert also Werbung.

Das in Kürze bei Suhrkamp erscheinende Buch „Die Macht und die Herrlichkeit“ gehört zu einem umfangreichen Projekt des Philosophen Agamben. Nach und nach lässt er es unter dem Haupttitel „Homo Sacer“ erscheinen. In deutscher Sprache liegen die Bände „Die souveräne Macht und das nackte Leben“ (Homo Sacer I), „Was von Auschwitz bleibt. Das Archiv und der Zeuge“ (Homo Sacer II), „Ausnahmezustand“ (Homo Sacer II.1) und folgend „Die Macht und die Herrlichkeit“ (Homo Sacer II.2) vor.

Das Frankfurter Verlagshaus hat vor wenigen Monaten in Verbindung mit der Udo Keller Stiftung Forum Humanum den Verlag der Weltreligionen gegründet und gibt ihm mit seinen bekannten Autoren und deren Werken eine Heimat. Die Stiftung selbst möchte „in einer Zeit des zunehmenden Zugriffs von Technik und Ökonomie auf das Humanum an die Bedeutung des geistigen und religiösen Erbes der Weltkulturen erinnern.“ Das klingt überzeugend.

Giorgio Agamben ist ein Autor mit einem Lebensthema, das in beinahe jedem seiner Bücher aufleuchtet. Er selbst bezeichnet es als „homo sacer“, indem er sich auf ein altrömisches Rechtsinstitut beruft. Wer zum „homo sacer“ erklärt wurde, sah sich zweifach rechtlos geworden, denn er war sowohl von der religiösen Rechtsordnung (ius divinum) als auch von der weltlichen Rechtsordnung (ius profanum) ausgeschlossen. Leichtfüßig ließe sich sagen, ein „homo sacer“ sei vogelfrei und damit straflos von jedermann zu töten. Die archaische Figur des „homo sacer“, den jeder töten, aber keiner opfern darf, erinnert streng daran, dass immer und allerorten eine Macht über Leben und Tod besteht.

In seinem Aufsatz „Lebens-Form“ (1994) definiert Agamben es so: „Ein Leben, das von seiner Form nicht getrennt werden kann, ist ein Leben, in dem es, in seiner Lebensweise, um das Leben selbst, und in dem es, in seinem Leben, vor allem um seine Lebensweise geht.“ Im Leben eines jeden geht es demnach vor allem um die Möglichkeiten des Lebens.

Einerseits ist die enigmatische Figur des „homo sacer“ deutlich zu sehen – andererseits ist sie historisch mit einem Tabu belegt. Darauf hat indirekt vor knapp hundert Jahren Sigmund Freud in „Totem und Tabu“ (1913) aufmerksam gemacht. Eine Art Widersprich zwischen Verehrung und Furcht umgibt diesen heilig Verfluchten oder verflucht Heiligen. Genau hier setzt Giorgio Agambens Geschichte seiner „Theorie der Ambivalenz des Heiligen“ an.

Der Autor verfällt in seinem Engelbuch „Die Beamten des Himmels“ der Idee, sich auf mittelalterliche Engellehren zu konzentrieren, denn hier sieht er eine detailreiche Form der Reflexion über eine bestimmte Form der Macht. Diese Machtform bestimme uns bis heute, nur unter einem modernen Namen – genannt „Regierung“. In „Lebens-Form“ sagt Agamben: „Die politische Macht, die wir kennen, gründet dagegen in letzter Instanz immer auf der Trennung der Sphäre des bloßen Lebens vom Kontext der Lebensformen.“

Klare Aussagen wie diese fehlen leider im Engelbuch. Von der Engellehre des Heiligen Thomas von Aquin bis zu den Texten über die Gouvernementalität von Michel Foucault entpuppt Agamben statt dessen eine Verschwörungstheorie, die kaum greifbar ist. Der Einsatz heutzutage ist nach Michel Foucault das Leben selbst und die Politik ist in diesem Sinne zur Biopolitik geworden. Das passt ins Bild, wo sich doch Giorgio Agamben selbst als Theoretiker des Ausnahmezustands sieht, denn „die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, dass der ‚Ausnahmezustand’, in dem wir leben, die Regel ist“.

Darum stellt der „homo sacer“ eine doppelte Ausnahme von zwei Rechtsordnungen dar, die den dazu erklärten Menschen schutzlos beiden Mächten (der Religion und der Welt) ausliefert. In Person des „homo sacer“ treten göttliche und weltliche Rechtsordnung so auseinander wie Naturzustand und Rechtszustand. Diese Figur ist darum für den Autor die Urszene einer jeden politischen Gemeinschaftsbildung. Auch deshalb ist der „homo sacer“ nicht zu verwechseln mit dem Sündenbock. Er ist für Agamben das Urbild des nackten Lebens, auf dessen Absonderung sich alle Macht gründet. An diesem Punkt ist er ganz nahe bei Foucaults Analyse der von ihm so genannten „Biopolitik“ und eben der eigenen Theorie des „Ausnahmezustands“.

Die Einflüsse auf das Werk Giorgio Agambens sind erstaunlich überschaubar und klar zu benennen. Sein erstes Buch „Stanzen“ (1977) ist Martin Heidegger gewidmet. Dieser hat ihm schnell klargemacht, dass Zeitgeschehen mit Seinsgeschehen nicht zu verwechseln ist – wie Heidegger selbst es während seiner Amtszeit als Rektor der Freiburger Universität 1933-1934 getan hat. Agamben verwandelt mit Heidegger Biopolitik in Lebensform und unterscheidet wie er die Begriffe Recht und Faktum. Bei Heidegger werde der „homo sacer“ zur „untrennbaren Einheit von Sein und Seinsweisen, Subjekt und Eigenschaft, Leben und Welt“, so Agamben.

In seinem zweiten Buch „Kindheit und Geschichte“ (1978) bezieht Agamben sich ausdrücklich auf Walter Benjamin und dessen Aufsatz „Zur Kritik der Gewalt“ (1921). Auch Agambens Buch „Idee der Prosa“ ist Benjamin verpflichtet. Von hier aus ist es für den Autor nicht weit zu Carl Schmitt und dessen „Politischer Theologie“ aus dem Jahr 1927, dessen „Hobbes-Buch“ (1938) und vor allem dessen „Nomos“-Begriff. Es ist bekannt, wird aber gern verdrängt, dass sich Benjamin und Schmitt gegenseitig intellektuell schätzten.

Als kontrafaktische Anspielung auf Carl Schmitts „Nomos der Erde“ (1950) betont Agamben mit seiner Formulierung vom (Konzentrations-)Lager als dem „Nomos der Moderne“ eine historische Zäsur, die die Verortung des Ausnahmezustands im Lager darstellt. Mit den ersten Lagern entstand, so Agamben, ein neuer Rechtsraum auf dem Boden einer nationalstaatlich organisierten Welt. Schmitt hatte seinerzeit unter „Nomos“ den „raumteilenden Grund-Vorgang“ verstehen wollen als die eigentliche „Ortung“ oder die „Landnahme“ – als den Ur-Akt des Rechts. War also der „homo sacer“ die Figur der Konstituierung des Politischen, so sieht Agamben im Lager den realen Ort wo „homines sacri“ systematisch hergestellt und vernichtet werden.

Das Buch über die Engel „Die Beamten des Himmels“ scheitert aus editionspolitischen, textkritischen und inhaltlichen Gründen. Weil es aber Teil des „homo sacer“-Projekts ist, bleibt zu hoffen, dass das vollständige Projekt schließlich doch noch überzeugt. Denn die Figur des Engels könnte tatsächlich ein schlüssiges Paradigma für Agamben bedeuten.

Von Michael Fisch

Literaturangaben:
AGAMBEN, GIORGIO: Die Beamten des Himmels. Über Engel. Gefolgt von der Angelologie des Thomas von Aquin. Aus dem Italienischen übersetzt und herausgegeben von Andreas Hiepko. Verlag der Weltreligionen, Frankfurt am Main und Leipzig 2007. 153 S., 15,80 €.
---: Lebens-Form. In: Gemeinschaften. Positionen zu einer Philosophie des Politischen. Herausgegeben von Joseph Vogl. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1994.

Verlag


Bookmark and Share

BLK mit Google durchsuchen: