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Europäische Liebesläufe

Neue Bücher von Goliarda Sapienza und Roger Willemsen

© Die Berliner Literaturkritik, 25.05.05

 

Zwei Bücher über die Liebe, beide im März 2005 in deutscher Sprache erschienen, in beiden steht eine Frau im Mittelpunkt, die die Tiefen der Liebe ergründen will und beide Bücher sind so perfekt geschrieben, dass man sie erst dann zur Seite legen möchte, wenn die letzte Seite dem Leser neue Fragen zur Liebe ins eigene Denken gesetzt hat.

Allerdings gibt es einen entscheidenden Unterschied. Das eine Buch ist das Werk eines männlichen Intellektuellen, geboren 1955, der in seinen Büchern, Filmen und Fernsehmoderationen stets seinen analytischen Verstand bewiesen hat. Das andere Buch schrieb eine 1924 in Catania auf Sizilien als letztes von acht Kindern geborene Schauspielerin, die mit 15 Jahren ein Stipendium für die Schauspielschule „Reale Accademia d`Arte Drammatica“ in Rom bekam und nach dem Krieg die Gruppe „teatro 45“ gründete. Sie kämpfte, wie ihre Eltern, im Untergrund gegen die italienischen Faschisten. Nach ihrer gescheiterten Ehe mit Citto Maselli lebte sie viele Jahre in absoluter Armut und starb 1996. Die Veröffentlichung ihres ersten Romans erlebte sie nicht mehr.

Mischungsverhältnisse

In Roger Willemsens Geschichte spürt man den erfolgreichen Weltbürger, für dessen Buchfrau Valerie die Entfernung zwischen Tokio, wo sie als Kunstexpertin arbeitet und Wien, wo ihr Geliebter ebenfalls als Kunstexperte lebt, aber nun komatös in einem Krankenhaus liegt, schnell überbrückt ist. Valerie bespricht für diesen Mann eine Kassette, mit der sie hofft, ihn ins Leben zurückholen zu können. So entsteht ihr Monolog über die Liebe.

„Liebe ist die fehlende Vokabel, ist das, was nicht anders gesagt werden kann und was nicht gesagt werden muss, weil es sich selbst ausspricht“, lautet eines ihrer Statements. An anderer Stelle fragt sie: „Die Liebe mag ein Gefühl sein, das wir teilen, aber heißt das schon, dass es sich um dasselbe Gefühl handelt?“ Stets ist, bei allem Wunsch, sich der Liebe ganz hinzugeben, die Angst der Weltbürgerin vor der Liebe zu spüren, die ja stets auch Lösung von egoistischen Selbstverliebtheiten beinhaltet. So relativiert sie ihren gesprochenen Satz „Ich gebe mich dir“ gleich wenige Zeilen später, um festzustellen, dass es eigentlich „weder Liebe noch Freundschaft, sondern Mischungsverhältnisse“ gibt.

Doch dann wird Valerie plötzlich wieder leidenschaftlich. „Die Liebe ist eine Steigerungsform, ihr geht es um alles,“ stellt sie fest, um auch diesen Gedanken sogleich wieder zu relativieren. „Wie viele Lebensläufe haben ihren Knacks bekommen durch die Liebe. Wenn sie so ist, kann ich gut darauf verzichten, das hätte ich wissen sollen.“ Valeries Glück: endlich einen Menschen auf der Welt gefunden zu haben, der ihre „lieblose Zeit“ beendet, in der sie nur ein Bild von sich hatte, aber nicht wusste, wer sie wirklich war. Jene Zeit in einer Männerwelt, in der die einen Sex mit Leibesübungen verwechseln und die anderen aus ihrer Arbeitswelt torkelnd glauben, „die Liebe sei ein Tempowechsel, rollen sich in eine Umarmung herein und schwappen hin und her wie dicke Suppe“.

Liebe in den 20er Jahren

In dieser, von Liebe entfremdeten Welt, die Valerie besonders auffällig in Japan erlebt, fragt sie in recht traurigem Tonfall: „Wann hat sich das eigentlich verändert, dass das Zarte kein Vorzug mehr ist, sondern das Gegenteil von cool?“ Willemsens monologisierende Frau zeigt, indem sie ihren Geliebten mit den Worten „Die Realität ist profan“ zitiert, dass sich ihr Autor vor der Wirklichkeit in die geistige Welt des philosophischen Existentialismus flüchtet. Dort wird jeder Mensch vereinzelt und vom großen Schicksal geprägt in die Welt geworfen, in der er sich nur selbst aus dem Sumpf der so genannten Vermassung zu ziehen vermag.

Ganz im Gegensatz dazu lebt das Buch der Sizilianerin Sapienza von der leidenschaftlichen Darstellung wirklich agierender Menschen in den Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts, deren Liebe zueinander nur gedeihen kann, wenn sie die gesellschaftlichen Verhältnisse bewusst erkennen. Eine Epoche, in der die Schwarzhemden Mussolinis willkürlich töten und morden, Familien zerstören und die Liebe zwischen Frau und Mann daher nur schwerlich von den Akteuren gelernt werden kann.

Modesta heißt die Liebende ihres Romans, die aus dem Elend der elterlichen Holzhütte über ein Leben im Kloster schließlich als Fürstin an die Spitze eines uralten Adelsgeschlechts drängt. Jetzt erlangt sie endlich die Freiheit, mit allen überkommenen Traditionen und Zwängen der Gesellschaft zu brechen. Als Fürstin unterstützt sie den Widerstandskampf gegen Mussolini und liebt dennoch den Gutsverwalter Carmine, der, wenn auch mit Skepsis, wegen dessen sizilianischer Fremdheit, Mussolini als entschlossenen Mann akzeptiert. Gleichzeitig liebt Modesta Carlo, den Kommunisten, der ihre Freundin Beatrice heiratet und der am Ende von den Schwarzhemden ermordet wird.

Die Liebe zum Baum, zum Schwein, zur Frau

„Ich liebe Carlo“, sagt sie zu Carmine, „aber mein Körper will dich. Ich habe gelernt, nicht gegen meinen Körper zu handeln: ihn zu befriedigen, aber ihm nicht meine Seele zu geben, wie du es ausdrückst. Ich befriedige ihn mit deinen Küssen, ich sättige ihn, und wenn er satt ist, werden meine Gedanken frei sein, um dich zu verjagen. Was glaubst du, weshalb ich dich habe zurückkehren lassen?  Um für immer deine Goldmine zu sein, wie du vielleicht in deinem Stolz als Herr gedacht hast? Nein! Um das Gespräch zu beenden, das du nach eigenem Gutdünken unterbrochen hast. Um dir das zu nehmen, was mir zusteht, und dich dann gehen zu lassen.“

Sapienzas Roman zeigt, indem er das wirkliche Leben der Menschen aufsaugt, dass Liebe nicht vom Himmel fällt, sondern sich nur dort enthüllt, wo sich Menschen nicht täuschen lassen. „Die Liebe ist jedoch weder absolut noch ewig, sie existiert nicht nur in ihrer vielleicht geweihten Form zwischen Mann und Frau. Man kann einen Mann lieben, eine Frau, einen Baum und möglicherweise sogar einen Esel, wie Shakespeare sagt. Das Wort Liebe ist ebenso verlogen wie das Wort Tod.“

Zur Enthüllung dieser Lüge sind beide Bücher zu empfehlen.

(Von Jürgen Meier)

Literaturangaben:
SAPIENZA, GOLIARDA: In den Himmel stürzen. Roman. Aus dem Italienischen von Constanze Neumann. Aufbau-Verlag, Berlin 2005. 443 S., 22,90 €.
WILLEMSEN, ROGER: Kleine Lichter. Monolog. S. Fischer, 2005. 206 S., 26,80 €.


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