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Sehnsuchtsräume – Ein Buch über die 68er

„1968. Die Revolte“, herausgegeben von Daniel Cohn-Bendit und Rüdiger Dammann

Von: JENNY SCHON - © Die Berliner Literaturkritik, 08.02.08

 

Der Titel „1968. Die Revolte“ täuscht, denn nach damaliger Lesart implizierte dieser Begriff eher eine „bewaffnete Empörung, Aufruhr, Aufstand“ (Duden 1960), was für Frankreich, woher Cohn-Bendit stammt, zugetroffen hat, für die Bundesrepublik Deutschland eben nicht, hier war es eine „Rebellion“ (Widerstand, Aufruhr), die Waffen kamen erst in den siebziger Jahren ins Spiel, und es geht erfreulicherweise in dem Buch mal kaum um die RAF.

Von den elf Autoren und Herausgebern des Bandes sind immerhin sieben Zeitzeugen. Das Gros der 68er Generation lebt ja noch, und Zeitzeugen sehen doch einiges anders. So gelingt es Spätergeborenen selten, die Zeit vor den 68ern angemessen zu beurteilen.

Wer damals noch ein Kind war, wie Reinhard Mohr (1955 geboren), muss sich natürlich darauf verlassen, was er in Büchern findet. In seinem Beitrag „Die Liebe zur Revolution – Vom Richtigen und vom Falschen“ fängt er mit dem sogenannten „Schwabinger Aufstand“ 1962 in München an, der viele Verletzte hatte und deren Ursache die harmlose Lust an lautstarker Musik war. Dann landet Mohr gleich bei dem „Wirtschaftswunder“ und der Sattheit der Bundesbürger.

„…der VW-Käfer (rollte) vom Band. Und rollte…Die ersten Deutschen fuhren mit dem knatternden Ding in den ersehnten Sommerurlaub nach Rimini an ‚Germanenstrand’ und ‚Teutonengrill’ - Andere ackerten in ihren Schrebergärten und putzten die Gartenzwerge blank, während drinnen die Hausfrau den rheinischen Sauerbraten einlegte.“

Ganz so bieder war es lange nicht. In den 50ern gab es „Die Halbstarken“ (ein identitätsstiftender Film mit Horst Buchholz), ebensoviel galten vielen deutschen Jugendlichen die Aufmüpfigkeit eines James Deans und die Rock’n’Roll-Rhythmen von Bill Haley und Elvis Presley. Auch der nachfolgende Twist war eine Rebellion gegen die biederen Erwachsenen. Die intellektuellen Jugendlichen hatten sich den Existenzialisten Sartre und Camus verschrieben.

Die protestierende Jugend stand seit dieser Zeit in den Startlöchern und ist nicht 1968 vom Himmel gefallen, wie viele Autoren suggerieren.

Auch gegen die noch in Amt und Würden vorhandenen Ex-Nazis gab es bereits vorher Protest. Was wirklich neu hinzukam waren die weltweiten Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg und die sich heftig artikulierende Frauenbewegung. Zu diesem Bereich kommen zwei Autorinnen zu Wort.

Eine Aktivistin der Frauenbewegung, die Filmemacherin Helke Sander, Jahrgang 1937, und damit die Zweitälteste in der Runde, gründete 1968 mit anderen Frauen den „Aktionsrat zur Befreiung der Frauen“.

Viele Frauen hatten bereits Erfahrung in den Kämpfen der frühen 60er Jahren gegen die Paragraphen 218 und 175 gesammelt. Auch andere antiemanzipatorische Paragraphen im BGB wurden angegriffen.

In Form eines Briefes an eine spätere Enkelin Brief an Sani berichtet Helke Sanders allerdings recht bieder von dieser Zeit und dem Verhältnis der Geschlechter zu einander. Der Spruch, bei ihr der Untertitel, Ob schwarz, ob braun, ob Henna, wir lieben alle Männer, kann auch verstanden werden als Antwort auf die provozierende Behauptung der Kommunarden „Wer zweimal mit der gleichen pennt, gehört zum Establishment“.

Gabriele Gillen, als Jahrgang 1959 quasi eine Nachgeborene, ist in ihrer kleinen „Geschichte der sexuellen Revolution“ dem „Quäntchen Wahn“ (Theodor W. Adorno) auf der Spur. „1967. Überall in der westlichen Welt hatte die Geschichte des Ungehorsams begonnen…Es war der schöne und schonungslose Traum von der Neugestaltung der Welt; der große Einspruch in den Lauf der Dinge, gegen den Skandal des Verschweigens und Unterdrückens, der Ungerechtigkeit und der Ausbeutung; für die Bekämpfung der herrschenden Sexualmoral als Herrschafts- und Unterdrückungsinstrument des autoritären Systems.“

Aber sie zeigt auch die negativen Folgen der Sexualisierung der Gesellschaft auf. „Mit Beginn der sechziger Jahre hatte sich eine ‚Sexwelle’ in den Medien erhoben. Zentimeter für Zentimeter nackter Haut wurden in zähem Ringen mit der Zensur erkämpft. Sexartikel füllten die Illustrierten. Das meiste davon kam schwitzig und stammtischlustig daher, aber die Umwertung der Werte war nicht mehr aufzuhalten“

1963 war der fast alle Tabus brechende Bergmann-Film „Das Schweigen“ in unsere Kinos gekommen. Die „Aktion saubere Leinwand“ hatte viel zu tun. Gillen stellt ganz richtig fest, dass Lehrlinge eine größere Freiheit in sexueller Hinsicht hatten. „Im Proletariat, wo früh verdient und nichts geerbt wurde, war die Macht der Eltern und Lehrer beschränkt. Eine stille Identifikation unangepasster Oberschüler mit gleichaltrigen Proleten-Kindern ging der lauten linken Protestbewegung der Studenten voraus.“ (S. 124)

Aber sie kommt zu dem Resultat, dass „viele der Ende der 60er Jahre entstandenen sexualemanzipatorischen Experimente gescheitert (sind)… Dennoch: In der Geschichte der sozialen Bewegungen ist es nur selten versucht worden, die Gesellschaft und sich selbst von Grund auf zu verändern, soziale Gerechtigkeit und persönliches Glück zu verwirklichen, staatliche und familiäre Autorität zu bekämpfen. Aber genau das wollten die Protagonisten der wahren sexuellen Revolution…“

Ergo: „Nichts brauchen wir heute dringender als eine neue sexuelle Revolution, eine neue 68er Bewegung, eine neue Kommune 1, die unsere neue Trägheit und unsere wieder erschreckend gewachsene Anpassungsbereitschaft in Frage stellen; den modernen Untertanengeist im Zeitalter von Hartz IV und anderen Bürgerrechtsabbau. Eine Revolution, die uns außerdem Mut macht gegen die heute verbreitete Angst vor sexueller Überforderung, davor, im Kampf um Liebe und Sex nicht mithalten zu können. Die einschüchternde und Lust tötende Pornographisierung der Gesellschaft ist eine Folge der Kommerzialisierung von Sexualität, ist das Erbe von Beate Uhse und kapitalistischer Marktwirtschaft, ist Folge der Sexwelle – und keineswegs ein Gespenst der 68er.“

Dem Veteran der 68er, dem Perser Bahman Nirumand (Jahrgang 1936), ist das Schlusskapitel überlassen worden. In „Sehnsuchtsräume – Warum die Revolution ausblieb“ gibt er noch mal eine Zusammenfassung der Bewegung aus seiner Sicht. Auch er sieht die internationalen Zusammenhänge für die 68er, und auch er resümiert mit melancholischem Tonfall: „ Viele jener Werte, die uns damals so teuer waren, haben inzwischen ihre Geltung verloren. Statt der ersehnten Solidargemeinschaft von autonomen, freien Menschen hat uns die Entwicklung eine Ellbogengesellschaft beschert. Offensichtlich ist der Weg zu jenen Regionen, von denen wir auf unserem‚ langen Marsch’ träumten, unendlich länger, als wir es uns in den euphorischen Jahren vorstellen konnten.“

Hilfreich sind die roten Kästchen, die Zeitgeschichte in Kurzform liefern, die für jene, die dabei waren, noch mal kurz und bündig die Fakten nennen; und jene, die nach Aussage einiger Autoren/innen in Zukunft noch viel zu tun haben werden, haben die Möglichkeit, sich zu orientieren.

Literaturangaben:
COHN-BENDIT, DANIEL / DAMMANN, RÜDIGER (Hrsg.): 1968. Die Revolte. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2007. 255 S., 14,90 €.

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Jenny Schon ist Publizistin und Schriftstellerin, lebt in Berlin und Trutnow/Tschechien und arbeitet als freie Journalistin für dieses Literatur-Magazin


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