Werbung

Werbung

Werbung

Jonglieren, nur jonglieren

Reinhold Batberger porträtiert den Artisten Francis Brunn

© Die Berliner Literaturkritik, 22.12.08

 

Wer hätte jemals gedacht, dass aus Franzl Brunn aus Aschaffenburg, dem nicht übermäßig groß gewachsenen Sohn eines lange Jahre wenig erfolgreichen Gastwirts, nach 1945 der Welt bester Jongleur würde, Auftritte in New York, Las Vegas, Paris und Hongkong inklusive? Als Francis Brunn eroberte der als legitimer Nachfolger des sprichwörtlichen Wunder-Jongleurs Rastelli gefeierte Artist (1922–2004) weltweit Erfolge, er trat in Südamerika und Skandinavien auf, in Zirkusarenen und Varietés und war ebenso zu Hause auf den großen Showbühnen, zusammen mit Marlene Dietrich, Frank Sinatra oder auch mit Judy Garland, die einmal darauf insistierte, ihn auf eine ihrer Touren mitzubuchen.

Am Ende seines Lebens nach Paris zurückgekehrt und später dann nach Deutschland, war Brunn Spiritus Rector und inspirierende Kraft des Tigerpalast-Varietés in Frankfurt am Main, wo er in hohem Alter erstmals überhaupt eine eigene Show kreierte. „Incognito“ nannte er sie so aufschlussreich wie programmatisch. Denn worauf es Brunn zusehends und mit wachsendem Alter und wachsender Erfahrung immer stärker ankam, waren nicht Athletik und Rasanz, sondern vielmehr das Aufgehen des Lebens in, wie er es nannte, lebenslanges „Probieren“. Das Aufheben der Zeitlichkeit, das Einfrieren der Vergänglichkeit vollzog sich ihm im Akt des hoch konzentrierten Moments des Jonglieraktes.

Der seit 20 Jahren vom Suhrkamp Verlag betreute Frankfurter Schriftsteller Reinhold Batberger, bisher eher bekannt für dichte bis hermetische Prosa, die eine sehr überschaubare Zahl von Lesern gefunden hat, war mit Francis Brunn befreundet und konnte mit ihm im Lauf vieler Jahre zahlreiche Gespräche führen, erst ohne Hintergedanken, dann konkret sich fokussierend auf ein Porträt. So ist diese buchlange Darstellung ein subtiles, mit zahlreichen Fotografien illustriertes und ungewöhnlich schön gestaltetes Porträt dieses faszinierenden Artisten. Und eine Hommage an eine mit äußerster Willens- und Kraftanstrengung ausgeübte Unterhaltungsform.

Es ist keine klassische Biografie, die chronologisch vorgeht, dafür nimmt sich Batberger, glücklicherweise, zu viele dramaturgische und stilistische Freiheiten. Und dafür unterläuft er absichtlich jedes Kriterium, das an Biografen gestellt wird. Vielmehr handelt es sich um eine in Duktus wie Temperament subjektive Annäherung, um eine Umkreisung. Voller Respekt und voller Poesie. Denn Batberger erweist sich als ein außerordentlich respektvoller, dezenter, präzise formulierender Impressionist, der auch sich selbst aus dem Buch nicht ausblendet.

Aufgrund des Verzichts auf scheinbar fugenlose, scheinbar journalistisch sauber recherchierte, scheinbar akkurate und doch so häufig illusionistische Faktizität zugunsten einer formal und psychologisch freizügigeren Methode ergibt sich eine faszinierende, hochliterarische, höchst lesenswerte Charakterzeichnung dieses Jahrhundertjongleurs und einer fast gänzlich untergegangenen Varietékunst.

Literaturangaben:
BATBERGER, REINHOLD: Der Jahrhundertjongleur Francis Brunn. Ein Porträt. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2008. 296 S., 22,80 €.

Verlag


Bookmark and Share

BLK mit Google durchsuchen: