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Marcel Reich-Ranicki: Berlin und er

Marcel Reich-Ranicki erhält die Ehrendoktorwürde der Freien Universität Berlin

© Die Berliner Literaturkritik, 11.01.06

 

BERLIN (BLK) – Im überfüllten Auditorium der Freien Universität Berlin empfing Marcel Reich-Ranicki am vergangenen Montag, den 09. Januar 2006, die Ehrendoktorwürde des Fachbereichs für Philosophie und Geisteswissenschaft. Eine solche Verleihung mag für den heute 85jährigen „Literaturpapst“, wie die „Süddeutsche Zeitung“ schreibt, „mittlerweile zur Routine geworden sein“. Seine erste Ehrenpromotion in Uppsala 1972 liegt über dreißig Jahre zurück, die achte, von der Universität Tel Aviv am 02. Februar, steht unmittelbar bevor; vor dem Hintergrund von Reich-Ranickis Leben jedoch erscheint die Berliner Auszeichnung als eine besondere. Wegen seiner jüdischen Herkunft hatte die Friedrich-Wilhelm-Universität  das Immatrikulationsgesuch für Germanistik des Abiturienten Reich-Ranicki am 07. April 1938 abgelehnt. Universitätspräsident Lenzen nennt das eine „Ungeheuerlichkeit“. Eine „Ungeheuerlichkeit“, die man freilich nicht rückgängig machen kann, aber vielleicht ist die Ehrung durch die Freie Universität eine kleine Wiedergutmachung, eine „Genugtuung“, wie Reich-Ranicki selber sagen wird.

Im Elfenbeinturm der Kultur

Während der Laudatio, in der sich Rolf Peter Janz, Professor des Fachbereichs für Philosophie und Geisteswissenschaften, „am Verhältnis der Literaturwissenschaft zur Literaturkritik abarbeitete“ („SZ“), wirkte Reich-Ranicki bisweilen gelangweilt. Nachdem der Dekan des Fachbereichs „den wortgewaltigen und streitbaren Kritiker“ für sein Lebenswerk und sein „Engagement für das literarische Leben in Deutschland“ geehrt hatte und dieser selbst das Wort ergreifen durfte, verschwand jede Spur von Müdigkeit aus seinem Gesicht. Im Sitzen und ohne Manuskript, „als Freund, nicht als Lehrer des Publikums“ („FAZ“) setzte er zu seiner Dankrede mit dem Titel „Berlin und ich“ an. Er erzählte zunächst von seiner Prägung durch das Theater der Weimarer Republik. Zwar habe er vor Hitlers Machtergreifung nur ein einziges Stück gesehen, nämlich Fehlingers „Wilhelm Tell“ - Inszenierung, aber der Geist der zwanziger Jahre habe im Berlin der Dreißiger fortgelebt, in den Stimmen von Marlene Dietrich, Lotte Lenya und Ernst Busch, in Büchern und Programmheften, in Hilperts Deutschem Theater und vor allem in Gustaf Gründgens Theater am Gendarmenmarkt. In Gründgens Hamlet; dem lesesüchtigen und morbiden Zweifler, dem „Anti-Typ“ der Nazi-Ära, erkannte er sich selber, - sein Schicksal als Jude im Dritten Reich. Ebenso fasziniert habe ihn ein Brief Thomas Manns von 1937, mit welchem dieser auf die Aberkennung seiner Ehrendoktorwürde der Universität Bonn reagierte. Durch Manns offene Opposition zum Dritten Reich habe er, Reich-Ranicki, zu ahnen begonnen, „dass Deutschland im 20. Jahrhundert in zwei Figuren personifiziert wird: Adolf Hitler und Thomas Mann. Keinen von beiden darf man vergessen oder verdrängen. Ich glaube, ich habe beide begriffen, und ich weiß, was ich Berlin zu verdanken habe.“ Was der junge Reich-Ranicki in Büchern fand und auf der Bühne sah, wurde ihm zur „Gegenwelt“, „zum Elfenbeinturm des halbwüchsigen Jungen, mitten in Berlin“. Die Literatur ist ein existentielles Element in seinem Leben gewesen, und vor diesem Hintergrund muss auch seine Biographie und „seine Besonderheit als Kritiker“ („SZ“) begriffen werden.

Es mag ein wenig befremdlich erscheinen, dass es die in den Nachkriegsjahren gegründete Freie Universität ist, die die „Ungeheuerlichkeit“ der Abweisung Reich-Ranickis an der Friedrich-Wilhelm-Universität 1938 nachträglich zu mildern versucht und nicht deren „Nachfolgerin“, die Humboldt-Universität. Diese jedoch lehnte einen diesbezüglichen Vorschlag des Herausgebers der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, Frank Schirrmacher, ab. „Keiner hat mich dort gewollt – bis heute hat sich daran nichts geändert“, äußerte sich Reich-Ranicki zu diesem Umstand, mit seiner Einstellung zu Berlin aber hat das wenig zu tun. Im Hörsaal der FU sagte er abschließend: „Wenn ich in München, Wien oder Zürich aufgewachsen wäre, wäre ich auch Kritiker geworden. Doch ich wäre ein anderer Kritiker geworden“.

(Eva Zimmermann)


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