„Und wie heißen Sie?“ „Warten Sie, ich hab’s auf der Zunge.“ So beginnt Umberto Ecos fünfter Roman „Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana“. Eco versucht den Historiker und den Sprachwissenschaftler in sich durch dieses Werk gleichermaßen zu befriedigen. Die Geschichte ist viel weniger geheimnisumwittert, als es der Titel vermuten lässt.
Auf der Suche nach dem Ich
Der Protagonist Giambattista Bodoni, von Beruf Antiquar, hat nach einem Schlaganfall seine persönliche Geschichte verloren. Er weiß zwar alles über Julius Cäsar und Alexander den Großen und kann stundenlang aus dem allgemeinen Bildungsschatz zitieren – seine Enkel und seine Frau erkennt er jedoch nicht. Erinnerungen an persönliche Beziehungen sind in Bodonis Gedächtnis nicht mehr existent.
Um seine unbeschriebene Gefühlstafel wieder zu finden, fährt er allein nach Norditalien in das Haus seines Großvaters, das er sehr genau aus seiner Kindheit kennt, und begibt sich dort auf Spurensuche. Schritt für Schritt versucht Bodoni mit Hilfe des Dachbodenfundus seine eigene Geschichte zu rekonstruieren. Nach und nach entdeckt der Antiquar, der seit seiner Kindheit Yambo genannt wird, den kleinen Jungen, der er mal war – und sein eigentliches Ich.
Umberto Eco lässt den Leser an der biographischen Rekonstruktion bildhaft teilhaben. Er führt uns ein in die Welt von Mickey Mouse, Flash Gordon, Buffalo Bill, Sherlock Holmes und Co. Original-Auszüge zeigen uns das Bild einer typischen Kindheit im Italien der dreißiger Jahre, über der das Damoklesschwert der faschistischen Diktatur Mussolinis bereits aufblitzt. Schulaufsätze, italienische Liedertexte und Propagandaplakate setzen Bodonis Lebensgeschichte wie ein Puzzle zusammen.
Für Sprachwissenschaftler und Querleser
Für Freunde spannender Lektüre ist dieses Buch weniger geeignet. Es fehlt ein klar erkennbarer, roter Faden. Die Geschichte wird von Eco in gewohnter Manier sehr gemächlich aufgebaut und plätschert so dahin. Sein Können, historische Stoffe für den Leser interessant und verständlich aufzuarbeiten, zeigt Eco in seinem fünften Roman nur am Rande. Im Mittelpunkt steht vielmehr die eigene Lebenswirklichkeit des Autors. Der Sprachwissenschaftler in ihm setzt sich durch. Er präsentiert dem Leser diverse Auszüge aus der Literatur, die ein italienischer Intellektueller wohl gelesen haben sollte. Dank Eco kann so auch ein Nichtitaliener seinen Bildungshorizont erweitern.
Ein Studium der Geisteswissenschaften und Fremdsprachenkenntnisse sollten Interessierte aber schon mitbringen, zumindest eine sehr gute Allgemeinbildung hilft, um den Gedanken Bodonis folgen zu können. Er schwelgt in Alliterationen und kleinen Geschichten während er spazieren geht, liest, stöbert und sich in Erinnerungen verliert. Abgesehen von den Ausflügen in die Welt des Comics ist der Roman von Anspielungen, fremdsprachigen Zitaten etc. durchzogen und verführt leicht zum Querlesen, da ein erkennbarer Spannungsbogen fehlt. Ein Liebhaber von Literatur und stilistisch gelungenen, ausgefeilten Beschreibungen kann in dem Stoff, durch den die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana als Schlüssel der Geschichte schimmert, träumen und abtauchen. (Sacia Meghriche)
Literaturangaben:
ECO, UMBERTO: Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana. Übersetzt aus dem Italienischen von Burkhardt Kroeber. Hanser Verlag, München 2004. 504 S., 25,90 €.