Es wird eine Reise ans Ende der Welt, ein aberwitziger Höllenritt. Der serbische Schriftsteller Svetislav Basara schickt seinen Ich-Erzähler in die innere Mongolei – ins wilde Absurdistan ex-kommunistischer Zeitrechnung. Nach dem Selbstmord eines Freundes – „ganz klassisch: fläschchenweise Barbiturate, aufgeschnittene Adern“ – erreicht Basaras Helden dessen posthumer Auftrag, eine Reportage zu schreiben über dieses „Am-Arsch-der-Welt-Land“, die Volkrepublik Mongolei, „ ... abgelegenes Land Zentralasiens, bevölkert von den Nachfahren Dschingis Khans, ein paar wenigen Gespenstern und noch selteneren europäischen Siedlern“.
Es soll so etwas wie ein Baedeker werden, für eine neu gegründete Zeitschrift, dessen erste Nummer in ein paar Jahren erscheinen könnte, falls sich Geldgeber fänden, diese Publikation zu lancieren. Was unwahrscheinlich ist. Doch was soll’s? Besser in Ulan-Bator abhängen als an dem beschissenen Ort, an dem Basaras schriftstellerndes Alter Ego ohnehin nichts anzufangen weiß, außer rumzuhängen im freudlosen Grau verregneter Tage und Material zu sammeln für künftige Prosa: „haufenweise Ekel, ganze Ladungen von Ängsten, Container voll Vergeblichkeits- und Reuegefühl, das ganze ausgediente Repertoire moderner Erzählungen“.
Der „trip to Mongolia“ wird zum furiosen Spektakel, zur Entdeckungsreise in ein Land, in dem die Grenze zwischen Wirklichkeit und (Alb-)Traum aufgehoben scheint. „Die Menschen gehen auf Reisen, um Abenteuer und Schönheit zu finden ... was erzähle ich da? Sie reisen lediglich auf Teufel komm raus, und dieser erscheint ihnen regelmäßig.“ Dieser erscheint Basaras Erzähler zwar nicht, dafür aber andere Spukgestalten, darunter ein protestantischer Bischof aus Holland, der in einem nahe gelegenen Bordell missioniert, eine leibhaftige Charlotte Rampling, die in der Hotellobby einen Cappuccino schlürft und im „Time“-Magazin blättert, und ein gewisser Chuck, seit Jahren US-Berichterstatter der längst eingestellten „Boston Evening News“.
Basaras Ich-Erzähler, an der Hotelbar in Ulan-Bator reichlich mit Wodka abgefüllt, wohnt einer öffentlichen Hexenverbrennung bei, trifft den Lama Tichonow, der als Spitzel zum KGB übergewechselt ist, lauscht dem Traktat eines gewissen M. Mercier („der Kerl war in Wirklichkeit schon fünf Jahre tot“) über die drei Arten der inneren Zeit und legt sich bei Dr. Andreotti, der sein Zimmer im Hotel Dschingis Khan zur psychoanalytischen Praxis umfunktioniert hat, auf die Couch. Doch ebenso plötzlich wie in der VR Mongolei angekommen schreckt der Reisende aus dem Halbschlaf auf und findet sich zurück im verregneten Alltag serbischer Gegenwart. Chuck, der Lama, Herr Mercier, der holländische Bischof, das alles nur fantastisches Material?
„Du musst Realist werden. Schreiben wie Maxim Gorki ...“, rät sein toter Freund. Nur wie? „Ein Spiegel, die Kindheit, mehrere Personen ... Wenig, sehr wenig. Wie soll man aus diesem Kack einen Roman machen?“ Der zweite Teil der „Reise in die innere Mongolei“ wird so zur Pilgerfahrt in die Vergangenheit des Autors, zur Forschungsreise im Archiv seiner Erinnerungen – und zur Reflexion über das Schreiben und die strategischen Ziele seines noch zu schreibenden Romans: „ein Werk zu schaffen, das praktisch keinerlei Referenzen zur staatlichen Wirklichkeit besitzt“ und „in diese Welt, mittels literarischer Manipulation eine bestimmte Anzahl Dinge, Begriffe und Wesen einzuführen, die in ihrer Ordnung nicht vorkommen.“
Svetislav Basara zieht alle Register, und das gekonnt. Sein „Reiseführer in die innere Mongolei“ ist eine furiose, satirisch-komische Tour de Force durch die Innenwelten eines gepeinigten Zeitgenossen, ein archaisches, kurz ein verrücktes Buch, bei dem Lachen und Verzweiflung, Realität und Fiktion sich untrennbar in der „Räuberhöhle der Sprache“ vermengen. Der 1953 in Bajina Basta Geborene gilt übrigens als einer der großen serbischen Autoren der Gegenwart, über 20 Romane und Erzählungen hat er bereits veröffentlicht, viele von ihnen wurden mit renommierten Literaturpreisen ausgezeichnet und in mehrere Sprachen übersetzt. Basara, der sich als von Kafka, Beckett und Borges beeinflusst nennt, ist ein literarischer Grenzgänger – und eine Entdeckung für deutsche Leser.
Er wandelt auf den Pfaden der Postmoderne und des magischen Realismus. Raum und Zeit sind aufgehoben, ebenso wie die Grenze zwischen Tod und Leben. Svestilav Basaras Ich-Erzähler erkundet die „dicken Schlammablagerungen der Seele“, raucht eine Zigarette nach der anderen, ergibt sich häufig Delirien, „den Höhepunkt(en) der Sublimation aller Sinne, in der uns die Welt in ihrer wahren Gestalt erscheint“. Er wandelt an der Decke, wohl wissend, das er jederzeit runterlaufen, sich an den Schreibtisch setzen und schreiben kann: „das Ende der Literatur! Punkt.“ Dank sei Svetislav Basara, seinem Übersetzer Patrik Alac und dem Antje Kunstmann Verlag, dass dem nicht so ist und wir mitreisen können auf diesem genialen Höllenritt durch die „innere Mongolei“.
Literaturangaben:
BASARA, SVETISLAV: Führer durch die innere Mongolei. Roman. Aus dem Serbischen von Patrik Alac. Antje Kunstmann Verlag, München 2008. 141 S., 16,90 €.
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