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Platzende Fabulierlust von der Grünen Insel

"Aus Dalkeys Archieven" von Flann O'Brien

Von: MARTIN FALBE - © Die Berliner Literaturkritik, 10.12.03

 

Gehört Flann O’Brien zu den unentdeckten Perlen der irischen Literatur? Es gibt Leute, die durchaus dieser Meinung sind. Harry Rowohlt, langjähriger Übersetzer nicht nur der Werke Flann O’Briens und der Kein & Aber Verlag gehören dazu. Letztere schließen mit "Aus Dalkeys Archiven" die deutsche Neuedition des irischen Schriftstellers ab. Aber auch der irische Volksmund – oder vox populi, um dem Sprachgefühl des sich polyglott gebenden Iren gerecht zu werden – wird gerne mit der Meinung zitiert, das Flann O’Brien so schreibe, wie Joyce hätte schreiben müssen. Wenn Joyce nicht "bescheuert" gewesen wäre. Joyce spielt für das Buch "Aus Dalkeys Archiven" noch eine Rolle, aber die Meinung des Volksmundes scheint diesem doch durch Flann O’Brien in den Mund geschrieben worden zu sein.

Flann O’Brien, als Brian O’Nolan 1911 in Strabane (County Tyrone) geboren, verdiente seinen Lebensunterhalt von 1937 bis1953 als Beamter im irischen Staatsdienst. Daneben schrieb er lange Jahre als Myles na gCopaleen (gälisch, heißt wohl so viel wie "Myles von den Pferdchen") die Kolumne "Cruiskeen Lawn" in der "Irish Times", aus der das Beste, ebenfalls von Harry Rowohlt übersetzt, auf deutsch als "Trost und Rat" bei Kein & Aber erhältlich ist. Neben seiner Tätigkeit im Staatsdienst schrieb Flann O’Brien seit Ende der 1930er Jahre mehrere Romane, verschiedene Kurzgeschichten und ein Theaterstück. Er verstarb am 1. April 1966 und wünschte sich für die Nachwelt nicht viel mehr als eine Statue in Dublin, nicht zu groß. Aber natürlich mit dem Rücken zum Trinity College. Immerhin hatte er erfolgreich Gälisch, klassische Philosophie und Deutsch studiert. "Aus Dalkeys Archiven" ist das letzte zu Lebzeiten veröffentlichte Buch.

Experimentelle Theologie an der irischen Küste

Die Beleuchtung des Werdegangs des Autors ist durchaus von Belang für das Buch. Ort der Handlung ist ein kleines Städtchen, circa 12 Meilen von Dublin an der Küste gelegen. Hier treffen der Held des Buches (oder Protagonist, aber wer sagt das denn schon in der Öffentlichkeit?) Michael "Mick" Shaughnessy und sein Kumpan Hackett auf den Wissenschaftler (Fachbereich: Physik, Chemie und experimentelle Theologie) De Selby. Letzterer scheint doch eher dem Klischee des "Mad Scientist" als dem des "Professor Hastig" aus der Sesamstraße verpflichtet zu sein. Getrieben von einer tiefgehenden Unzufriedenheit mit dem Stand der Dinge im Allgemeinen und dem Lauf der Welt im Besonderen plant De Selby nämlich nicht mehr als die Vernichtung allen irdischen Lebens.

Im Zuge der Unternehmungen, die Mick und Hackett zusammen mit dem örtlichen Repräsentanten der Staatsgewalt, Sergant Fottrell, etlichen hochgeistigen Getränken, einem Jesuitenpater und allerlei anderen Personen durchführen, begegnen ihnen sehr überraschend verschiedene Geistesgrößen der ferneren und näheren Vergangenheit. Und zwar nicht nur James Joyce, der inzwischen als Wirt in Skerries lebt und "Finnigans Wake" für ein Lied seiner Jugend hält. Sondern auch anderen, leicht skurilen, aber sehr wortgewaltigen Figuren.

Mick heiratet schließlich seine Verlobte Mary und die Welt wird auch gerettet. Aber eigentlich ist das, wie die ganze Handlung um De Selby, die Existenz des Raumes ohne die Zeit, die Erinnerungslücken von Weltrangliteraten oder urchristliche Kirchenväter, nicht von Belang. Die Handlung ist eher Nebensache und dient nur dem einem: den Rahmen zu setzen für die Akrobatik des Absurden, wie atomaren Austausch zwischen Mensch und Fahrrad oder den Zustand jesuitischer Unterwäsche. Das alles kommt daher mit einer vor Fabulierlust fast platzenden und blumenreichen Sprache, die immer erkennen lässt, was der Autor einst studierte. Lateinische Einsprengsel sind die Regel, auch Griechisch kommt vor. In den Dialogen entfaltet sich Absonderliches oder auch Unglaubliches, das wohl in jeder Beziehung schon die Figuren selber auch überfordert. All das scheint nur einem Zwecke zu dienen – dem Spott.

Spott mit Holzhammer und A-Wörtern

Dabei ist der Spott bisweilen derbe und unflätig und jederzeit unter Einbeziehung der verschiedensten A-Wörter geschrieben, kommt also mit dem metaphorischen Holzhammer daher. Und er ist hinterhältig-subtil, ins Detail nicht der Wortwahl, sondern ihrer Bedeutung zurückgezogen. Auf wen zielt der Spott? Wer weiß, wahrscheinlich auf alles und jeden zwischen Cork und Dublin, zwischen Dalkey und Skerrie, zwischen dem heiligen Augustinus und James Joyce. So richtig sicher kann sich bei Flann O’Brien niemand sein, weder hinsichtlich der Intention noch darüber, ob man nicht auch irgendwie selber Adressat gewesen ist oder gewesen sein könnte.

Flann O’Brien schrieb 1964, dem Jahr, in dem das Buch erschien, an seinen Verleger, es sei weniger Roman oder dergleichen, sondern "eine Studie des Spotts" mit den unterschiedlichen Schriftstellern, ihren stilistischen Eigenheiten und sonstigen Moden als Gegenstand. Und das findet sich auf den 255 Seiten des Textes. Neben zahlreichen Beispielen für die Wirkungen hochgeistiger Getränke. In Schankwirtschaften und Apotheken. Unter medizinischer und polizeilicher Aufsicht.

Literaturangaben:
O’BRIEN, FLANN: Aus Dalkeys Archiven. Übersetzt aus dem Englischen von Harry Rowohlt. Kein & Aber, Zürich 2003. 255 S., €15,90.

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Martin Falbe arbeitet als freier Journalist für dieses Literaturmagazin


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