BERLIN (BLK) – „Du sollst Bestie sein“ über einen afrikanischen Kindersoldaten von Uzodinma Iweala findet die „FAZ“ traurig und ohne Effekthascherei. Das Buch einer Annäherung von deutscher und französischer Sprache von Georges A. Goldschmidt gefällt der „NZZ“. Sehr verdienstvoll sei Steffen Möllers „Viva Polonia“, äußert die „SZ“. Außerdem in der Presseschau: Ein Roman über den Völkermord in Ruanda und eine Geschichte der Begräbnis-Violine.
„Frankfurter Allgemeine Zeitung“
Laut der „FAZ“ beschäftigt sich der Astrophysiker Owen Gingerich in seinem Buch „Gottes Universum“ mit der Entstehung des Lebens. Die Evolutionsbiologie werde zur Widerlegung der Religion benutzt. Das „Intelligent Design“ wiederum solle ein Gegenentwurf zur wissenschaftlichen Meinung sein. In seinem Buch ziehe Gingerich auf letztlich „umsichtige Weise“ eine Grenze. Einschlägig bekannte Themen wie Expansionskraft, bremsende Gravitationswirkung oder „die spezielle Bauart des Kohlenstoffatoms“ spreche er an, schreibt die „FAZ“. Dem Autor komme es darauf an, Raum sowohl für denn wissenschaftlichen Ansatz als auch für eine göttliche Initiation zu lassen. Dieses Buch sei ein Plädoyer für mehr Gelassenheit angesichts unserer reichen Welt, meint der Rezensent.
Das Romandebüt „Du sollst Bestie sein“ von Uzodinma Iweala bespricht die „FAZ“. Es behandele ein skandalträchtiges Thema, und zwar das der afrikanischen Kindersoldaten. Der neunjährige Erzähler bilanziere sein „soldatisches Martyrium“ in einem traurigen „Singsang“. Er sei zu jung und traumatisiert, um die Grausamkeiten wie Massaker, Vergewaltigungen „einordnen zu können“. Obwohl seine anfänglichen Hemmungen zu töten bald abnehmen, fühle man Mitleid mit dem Protagonisten, meint die Rezensentin. Der Roman zeige ohne „Voyeurismus und Effekthascherei“, wie aus einem „gottesfürchtigen Jungen ein Teufel werden konnte“.
Die „FAZ“ stellt Christiane Zschirnts Buch „Wir Schönheits-Junkies“ vor. Es gebe kein entkommen, ständig vergleiche man sich mit Idealbildern. Über Schönheitsoperationen, Diäten und das Altern werde ebenfalls räsoniert. Zum einen erinnere der Tonfall der Autorin an Frauenzeitschriften, zum anderen klinge er sarkastisch, schreibt die „FAZ“. Der Druck, immer schön sein zu müssen und deren gesellschaftliche Bedeutung werden seziert. Allerdings tendiere Zschirnt dazu, die kritisierten „Selbst-Verbesserungen“ noch zu befördern. Insgesamt sei das Buch wenig wissenschaftlich gehalten. Lieber werde Entspannung empfohlen, und die „Hautcreme beim Discounter zu kaufen“.
Einen Bildband des Fotografen Rainer Griese rezensiert die „FAZ“. In „Lesen ohne Worte“ porträtiere er Glasmännchen, Gartenzwerge, Bronzeprinzen und anderen Nippes. Eines sei allen gemein, sie lesen. Mal versinke eine Figur in einer Buchstabensuppe, mal gehe sie mit Siebenmeilenstiefeln voran. In dem farbenfrohen Band verfremde Griese Gemälde, Stiche, Skulpturen und Fotographien. Dadurch entstehe ein erstaunlicher Bezug zur Literatur sowie eine Anspielung auf bekannte Kunstwerke. Selbst ohne Text sei dieser Band ein Entzücken für „Liebhaber des Lesens“.
„Neue Zürcher Zeitung“
Georges-Arthur Goldschmidts jüngstes Buch „Die Faust im Mund“ sei eine Mischung aus Autobiografie und Kafka-Exegese, schreibt die „NZZ“. Es habe einen unerschöpflichen Einfallsreichtum bei der Charakterisierung der französischen und deutschen Sprache. Für Goldschmidt gebe es gewissermaßen zweierlei Deutsch: „das dunkle, pathetische, bisweilen gruselige Deutsch Martin Luthers, des Barock, der Romantik, der Brüder Grimm bis hin zu Nietzsche“ – und ein sehr viel selteneres Idiom, das „der Glätte und Geschmeidigkeit des Französischen näherkommt und das Goldschmidt namentlich bei Heinrich Heine und Joseph von Eichendorff“ ausmache. Goldschmidt bemühe sich – so der Untertitel – um eine „Annäherung“ der beiden Sprachen und mache Andeutungen. Dazu bediene er sich einer gloriosen Projektionsfigur: des Dichters Franz Kafka.
Dem Berufsstand der Trauerviolinisten widme Rohan Kriwaczek ein ganzes Buch, meint die „NZZ“. Seine „Unvollständige Geschichte der Begräbnis-Violine“ tarne sich geschickt als Sachbuch, sei aber tatsächlich ein „veritables Schelmenstück“. Kriwaczek erzähle vom Siegeszug der Trauerviolinmusik durch Europa, von „Trauerzweikämpfen“, bei denen zwei Totengeiger über ein vom Verstorbenen gewähltes Thema variierten, und von Intrigen zwischen Hofmusikern und Trauerviolinisten. Dabei arbeite sich der Autor höchst geschickt an der Geschichte entlang und ergänze sie, wo es ihm nötig erscheint. Kriwaczek habe ein „Lehrstück britischen Humors“ geschaffen: „tiefschwarz und voll Freude am eigenen Einfallsreichtum“.
Artemisia Gentileschi (1593–1654) gehöre zu den wenigen Künstlerinnen des 17. Jahrhunderts, deren Leben und Werk in den letzten Jahrzehnten auf großes Interesse gestoßen seien, behauptet die „NZZ“. Mit dem Jugendbuch „Ich will malen! Das Leben der Artemisia Gentileschi“ hätten der Schriftsteller Michael Hatry und die Kunsthistorikerin Susanna Partsch den Versuch gewagt, Kunst und Wissenschaft möglichst ansprechend unter einen Hut zu bringen. Die Kooperation habe sich gelohnt, befindet die „NZZ“. Als Fachfrau habe Partsch zunächst die kunsthistorische Sekundärliteratur intensiv studiert und damit für Hatry einen fruchtbaren Boden geschaffen, auf dem der „Künstlerroman“ dann habe wachsen können.
„Süddeutsche Zeitung“
Das habe es noch nie gegeben, informiert die „SZ“, ein Buch über Polen auf einer Spitzenposition der Sachbuch-Bestsellerlisten. Gelungen sei dies dem seit fast anderthalb Jahrzehnten in Warschau lebenden Wuppertaler Philologen und Theologen Steffen Möller. In seinem Buch „Viva Polonia“, für das er die „Form eines Nachschlagewerks mit ausführlichen Stichwortartikeln gewählt“ habe, beleuchte Möller die Problematik deutsch-polnischer Paare. Zwar bleibe das von ihm gezeichnete Bild der vielschichtigen und pluralistischen polnischen Gesellschaft unvollständig, dennoch handele es sich um ein „überaus verdienstvolles Buch, denn viele seiner Einzelbeobachtungen“ ließen sich auch als Gebrauchsanweisung lesen.
Der Schweizer Lukas Bärfuss habe mit „Hundert Tage“ einen Roman über den Bürgerkrieg in Ruanda geschrieben, schreibt die „SZ“. Afrika sei lange Zeit eine Projektionsfläche für Zivilisationsmüde und Abenteurer gewesen, Bärfuss’ Werk zeige hingegen, wie der Kontinent mit der Zeit ein Teil der globalisierten Welt werde. Um den Völkermord in Ruanda darzustellen, arbeite Bärfuss mit theatralischen, dramatischen Mitteln und suche prägnante und Momente und Motive, um den Stoff zu verdichten. Dies sei „gleichzeitig die Stärke und Schwäche des Romans“, meint der Rezensent. Nicht immer gelinge es dem Autor, den schmalen Grat, der ihn vom Klischee trennt zu umgehen, aber die zeitgeschichtlichen und historischen Hintergründe seien genau recherchiert. Der Kritiker Helmut Böttiger schließt mit den Worten: „ein hochinteressantes Buch“.
Die „SZ“ findet, dass der Historiker Michael B. Oren mit seinem Buch eine „meisterhafte“ Geschichte der amerikanischen Präsenz im Nahen Osten verfasst habe. Das Werk behandle die 200 Jahre von George Washington, dem ersten Präsidenten, bis zum 43., George W. Bush. Man könne dem Autor nur beipflichten: Amerikas Krise im Irak wurzele auch „im Mangel an Wissen über die eigene Historie in der Region“. Erst ab 1939 und ab 1989 dominiere Amerika die Weltpolitik im Nahen Osten, Orens Buch mache mit dem größten Teil „die Vorgeschichte erfahrbar“. Die kürzere Beschreibung der jüngeren Geschichte der amerikanischen Politik im Nahen Osten beruhe auf den edierten Quellen, bei denen es noch manche Lücke gebe. (sat/wip)
Literaturangaben:
BÄRFUSS, LUKAS: Hundert Tage. Roman. Wallstein Verlag, Göttingen 2008. 197 S., 19,90 €.
GINGERICH, OWEN: Gottes Universum. Nachdenken über offene Fragen. Übersetzt aus dem Amerikanischen von Wolfgang Rhiel. Mit einem Vorwort von Peter J. Gomes. Berlin University Press, Berlin 2008. 147 S., 19,90 €.
GOLDSCHMIDT, GEORGES-ARTHUR: Die Faust im Mund. Eine Annäherung. Aus dem Französischen von Brigitte Große. Ammann Verlag, Zürich 2008. 160 S., 17,90 €.
GRIESE, RAINER: Lesen. Ohne Worte. Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2008. 220 S., Farb-Abb., 15,90 €.
HATRY, MICHAEL: Ich will malen! Das Leben der Artemisia Gentileschi. Mit einem Anhang von Susanna Partsch. Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2007. 367 S., 16,90 €.
IWEALA, UZODINMA: Du sollst Bestie sein. Roman. Übersetzt aus dem Englischen von Marcus Ingendaay. Ammann Verlag, Zürich 2008. 160 S., 18,90 €.
KRIWACZEK, ROHAN: Eine unvollständige Geschichte der Begräbnis-Violine. Aus dem Englischen von Isabell Lorenz. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2008. 305 S., 34 €.
MÖLLER, STEFFEN: Viva Polonia. Als deutscher Gastarbeiter in Polen. Scherz Verlag, Frankfurt am Main 2008. 368 S., 14,90 €.
OREN, MICHAEL B.: Power, Faith, and Fantasy. America in the Middle East, 1776 to the Present. W.W. Norton & Co. New York 2007. 778 S., 35 $.
ZSCHIRNT, CHRISTIANE: Wir Schönheits-Junkies. Plädoyer für eine gelassene Weiblichkeit. Goldmann Verlag, München 2008. 255 S., 17,95 €.
Presseschau vom 29. April 2008
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