Leonard Cohnen, der große Songwriter und Melancholiker, ist wieder zurück. Doch sein literarischer Auftakt nach fünfjähriger Abstinenz in einem buddhistischen Zen-Kloster wird dem alten Cohen nicht gerecht. Seine Neuveröffentlichung „Buch der Sehnsüchte“ erweckt im ersten Moment den Eindruck eines zärtlichen Kleinods, in dem sich die Erfahrungen eines ganzen Lebens zusammenfinden. Man sollte meinen, dass die Zeit der religiösen Kontemplation tiefe Spuren hinterlassen haben müsste.
Doch dieser scheinbare Anspruch ist bei Weitem verfehlt. Vielmehr stellt das Buch mit dem romantisch klingenden Titel ein wildes Kompendium zusammenhangloser Notizen und Zeichnungen dar. Obgleich zahlreiche Gedichte, Short Storys und Essays bisweilen durchaus sinnhaft und ästhetisch wertvoll erscheinen, wirkt das Werk konfus und für den Leser undurchsichtig. Zu Recht verweist das Buch mehrfach auf die Textgenese, die vor dem Hintergrund der Erfahrungen als Zen-Mönch zu verstehen ist. Man erhält den Eindruck, es müsse eine bedeutende Erkenntnis, ja eine Art Epiphanie jenseits der Fassade der Lettern stehen.
Jedoch befinden sich neben den stets lakonisch-minimalistischen Niederschriften, wie beispielsweise „Wahres Selbst“ oder „Meine Zeit“, welche zumindest die Intention einer Sinnsuche offerieren, wiederum trivial-semantische Entwürfe, zu denen „Butterdose – Darling, ich hab jetzt eine Butterdose in Form einer Kuh“ gehören. Zwischen Ironie und fast sentimentaler Pseudoempfindsamkeit driftet die inhaltliche Substanz der Texte ins Beziehungslose ab, weil der Leser sich verliert, keinen festen Punkt sieht, an dem er sich entlanghangeln kann. Zwischen erotischen Skizzen und Bildern von faltenüberzogenen Senioren, zwischen jüdischen Symbolen und mystisch verklärten Gedichten wie „Durchsage in einem Flugzeug über Europa“ bleibt Unverständnis und Orientierungslosigkeit.
Was will der Dichter uns beispielsweise mit diesem Gedicht mitteilen? „Hey, Leonardos, / ich bin nicht länger einsam. / Ich werde ihre Freundschaft jetzt annehmen, / wenn Sie irgendwas / Wahres über mich sagen können. / Ja, stimmt, / ich besaß tatsächlich eine rote Strickjacke, / die ich gewöhnlich / am Abend trug. / Mit den Jahren wuchsen wir zusammen. / Klappen Sie jetzt ihren Sitz hoch. / Wir landen in wenigen Minuten in Wien, / wo ich mich / umgebracht habe / neunzehnhundertzweiundsechzig.“
Wer redet hier? Wie ist ein metaphysisches Ich zu verstehen, das in einem Flugzeug, einen Dialog über den eigenen Tod anstimmt? Und wer ist der Dialogpartner? Übrig bleibt nur eine Pseudoschwere, die in fast allen Texten zu erkennen ist. Die Lebensweisheiten hinter den Silben gehen nicht über die eines esoterischen Standardwerkes hinaus. Fast ähnlich einem Lebensratgeber finden sich innerhalb des Buches zahlreiche Floskeln und Phrasen, die keine lyrische Sprachfertigkeit beweisen. Leider. Man hätte mehr erwarten können von dem einst umjubelten Cohen.
Zwar sind zwischen all den Zeichnungen, die wild die Seiten säumen, ab und an fantasievolle Metaphern vorzufinden. Allerdings tauchen diese in den zahlreichen Alltagsfloskeln unter. So würde kaum einer bestreiten, dass Sätze wie „Der Himmel über Paris ist strahlend blau“ oder „Die Liebe wird nicht dürfen, was Sehnsucht immer darf“ doch altbekannt, abgelutscht sind. Genauso gut könnten jene Sätze aus dem Federhalter irgendeines Groschenromanautors stammen. Es ist wohl Traumfängerei zu denken, man könnte in diesem Werk einer grundlegenden Weisheit des Seins begegnen.
Um dem Leser eine Idee zu vermitteln, ist die Beziehung zwischen dem, was geschrieben ist, und dem Lesenden unabdingbar notwendig. Eben hier offenbart sich die Unzulänglichkeit in der diffusen Anatomie des Buches. Zudem ergeben handwerklich oftmals schlecht formulierte Verse in ihrer Gesamtheit nicht gleich ein Gedicht, wenn man die Zeilen nach einem lyrischen Muster anordnet. Die gebundene Sprache – man sucht sie vergebens in den vielfachen (Schein-)Gedichten. Nichtsdestoweniger ist das Werk in seiner Ganzheitlichkeit betrachtet keineswegs verfehlt. Beispielsweise werden erotische Motive sehr spannungsreich und körperlich erfahrbar präsentiert. Sogar die Aktzeichnungen zeugen von ästhetischem Duktus. Nur bleibt ebenso hier die erwartete Einheit von Bild und Wort aus. Wilde Unordnung kann nicht der Anspruch einer klaren Lebensweisheit sein.
Was Leonard Cohen trotz allem versteht, ist die Einsamkeit. Sie gewinnt eine authentische Bedeutung in den Schwarz-Weiß-Zeichnungen von Frauen, die mal lachen, mal geheimnisvoll-süffisant den Beobachter verführen oder einfach nur ihre zarten Rundungen vor Scham verbergen. Auch die zahlreichen Texte sprechen in ihrer bildlichen Klarheit, der leider die Schwäche der Trivialität anhaftet, die Sprache von Einsamkeit und vergeblicher Suche nach dem Sinn. Dennoch sind nicht die primitiven Sätze, nicht die hermeneutisch verschlossenen Botschaften, noch die methodischen Fehler der Gedichtschreibung entscheidend. Nein, zerstörerisch ist zuletzt einzig und allein die Antithetik aus Melancholie und Blödsinn. Es ist nicht zuletzt dilettantisch.
Wer Gedichte über die Schönheit des Weiblichen, über den Traum von Liebe, das Antlitz von Sinnsuche und Vergänglichkeit schreibt, kann nicht in einer komischen Art und Weise gleichzeitig über Butterdosen und Zigaretten schreiben. Die Gradwanderung zwischen süffisanter Ironie und Ernsthaftigkeit der Motive Liebe, Leben und Tod ist bei dem Literaturdebüt nach über 20 Jahren unglücklich gescheitert. „Meine Zeit läuft ab / und immer noch / hab ich ihn nicht gesungen / den einen wahren Song / den einen großen Song“ lautet der Beginn des Gedichts „Meine Zeit“ – Er ist auch ein guter Abschluss für dieses Buch, das versucht, zu finden und doch nur im großen, literarischen Motivkosmos umherstochert.
Von Björn Hayer
Literaturangaben:
COHEN, LEONARD: Buch der Sehnsüchte. Aus dem Englischen von Karl Bruckmaier u.a.. Blumenbar Verlag, München 2008. 233 S., 19,90 €.
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