Werbung

Werbung

Werbung

Enthüllung der Geliebten

„Der Ursprung der Welt“ von Jorge Edwards

© Die Berliner Literaturkritik, 19.08.05

 

„Die Ungewißheit frißt mich auf, ich kann kein Auge mehr zutun, und nur die Wahrheit, die ungeschminkte Wahrheit, aus dem Munde eines Freundes, dem ich vertraue, kann mir meine Ruhe zurückgeben…“ Patricio Illanes, fast siebzigjähriger Allgemeinmediziner und Psychologe, bedrängt seine Freunde, in Paris lebende Exilchilenen wie er selbst, seinen Verdacht zu bestätigen: Hat seine Ehefrau Silvia ihn betrogen?

Der neue Roman von Jorge Edwards, der mit dem Cervantes-Preis ausgezeichnet ist, trägt denselben Titel wie ein Gemälde von Gustave Courbet: „Der Ursprung der Welt“ zeigt einen weiblichen Akt mit verhülltem Gesicht, im Mittelpunkt des Bildes die gespreizten Schenkel. Als Edwards Protagonist mit seiner Frau im Pariser Musée d’Orsay vor diesem Kunstwerk steht, schießt ihm ein Gedanke durch den Kopf: „Es sieht dir ähnlich“, erklärt er der peinlich berührten Silvia.

Verrat des Freundes

In kriminalistischer Manier verfolgt Doktor Illanes die fixe Idee, die sich schon bald in einen konkreten Verdacht verwandelt. Bei seinem besten Freund, Felipe Díaz, Schriftsteller, einst entfesselter Don Juan und leidenschaftlicher Antikommunist, entdeckt Patricio eine Fotografie, die eine nackte Frau in derselben Pose abbildet, die Courbets Akt zeigt. Dahinter findet er ein altes Passfoto von Silvia.

Der Fall scheint klar. Nur Felipe kann er nicht mehr befragen, er ist vor kurzem gestorben. Und Silvia, „sie hätte ihm eine Erklärung gegeben, die ihn nicht überzeugt, aber neutralisiert, schwindelig gemacht hätte, und sie wäre gewarnt gewesen und hätte sich daran gemacht, die Spuren zu verwischen“ (S. 67f.). Patricios Misstrauen entflammt; bei seinen Nachforschungen vereint er nicht nur die Vorzüge einer bekannten Detektivfigur, sondern die von dreien: „So hatte Doktor Patricio Illanes als eifriger Nachfolger von Maigret, Sherlock Holmes und Hercule Poirot sich die Einzelheiten zusammengereimt“ (S. 65).

Literarische Anspielungen

Ein Psychologe verfällt der Eifersucht und sucht nach dem stichhaltigen Beweis, ein ehemals lebensfroher Frauenheld sorgt sich um seine Manneskraft, die offenbar den Alkoholexzessen anheim gefallen ist, und sucht Trost in der stoischen Literatur. Nicht nur die Charaktere sind ironisch angelegt in Edwards komischen Roman.

Übertreibungen und das Zusammenführen von scheinbar Unvereinbarem zeichnen den Witz im Roman „Der Ursprung der Welt“ aus. Der Eifer, mit dem namhafte Literaten wie Stendhal, Proust und Seneca immer wieder ins Spiel gebracht werden, steht der durchaus schnoddrigen Sprache des erzählenden Arztes gegenüber: „Silvia, die aus ihrer Leseecke unter der Lampe gern ihre Schmirgelpapierzunge zeigt, sagte, wir wären im Grunde Schwuchteln“ (S. 29).

Den Kapiteln stellt Edwards Zitate voran, von Seneca und Ovid. Sein Protagonist bezieht sich ebenso gern auf die Literatur: „Stendhal selbst, der sich mit einer Mischung aus Narzißmus und Verschleierung, mit dieser jedem literarischen Selbstporträt eigenen, ausweichenden, trügerischen, in gewisser Weise selbstgefälligen Zweideutigkeit selbst darstellt, und die aktuelle Inkarnation dieser Figur war, zumindest für mich, in meiner kleinen Welt, Felipe Díaz, wer sonst!“ (S. 40). Die Parallele zwischen Stendhal und dessen Alter Ego zu Ich-Erzähler und seinem Freund zeigt nicht nur das Misstrauen, das der Doktor Felipe gegenüber, sondern auch sich selbst gegenüber hegt. Geschickt nutzt Edwards die literarische Referenz hier als Projektionsfläche und erzeugt dabei gleichermaßen einen ironischen Bruch.

Die Leichtigkeit des Alters

Neben dem Gedankenfluss des vielleicht gerade wegen seines Spleens sympathischen Doktors verhindern Perspektivwechsel und spritzige Dialoge, in denen sich die älteren Exilchilenen über Politik, Sex, Frauen, Kunst und Tod ergehen, dass die Spurensuche Edwards’ Held langweilig wird. Als sich Patricios Freund über eine ältere Italienerin äußert, tritt neben dem erfrischend von Altherrenwitz entfernten Humor eine bemerkenswerte Leichtigkeit im Umgang mit Körperlichkeit im Alter zu Tage: „‚Mit ihrem vielen Geld hat sie sich alles neu machen lassen (…) Keines ihrer Körperteile ist echt‘, fügte er ohne jede Diskretion hinzu, ,aber es ist alles tadellos, perfekt‘“ (S. 91).

Erst am Ende kommt auch Silvia als Erzählerin zu Wort und leistet die Klärung des Falls, die hier nicht verraten werden soll. Nur so viel. Schon zu Beginn bekennt Patricio: „Ich kenne Silvia so lange, aber manchmal habe ich das Gefühl, sie überhaupt nicht zu kennen, nahezu dreißig Jahre an der Seite einer Unbekannten gelebt zu haben“ (S. 29). Alles in allem ist Jorge Edwards mit „Der Ursprung der Welt“ ein intelligenter, spannender, höchst unterhaltsamer und sehr empfehlenswerter Roman gelungen.

Daniela Peter

Literaturangaben:
EDWARDS, JORGE: Der Ursprung der Welt. Roman. Übersetzt aus dem chilenischen Spanisch von Sabine Giersberg. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2005. 164 S. 17,50 Euro.


Bookmark and Share

BLK mit Google durchsuchen: