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Tragikomische Scharade

Der Briefwechsel zwischen Wolfgang Koeppen und Siegfried Unseld

Von: ROLAND H. WIEGENSTEIN - © Die Berliner Literaturkritik, 17.07.06

 

Ein Gespenst geistert durch die deutsche Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts, das eines „großen Romans“, der „Die Scherzhaften“ heißen und eine Trilogie sein sollte, dann – mit anderem Inhalt - „Im Staub mit allen Feinden Brandenburgs“ und schließlich, wieder thematisch verändert „Tasso“. Dieser Roman ist nie erschienen, vom ersten Entwurf gibt es nur wenige Bruchstücke, vom zweiten außer den paar Seiten, die der Autor einige Male vorlas, Kapitelanfänge und die Titeländerung, statt des „In“, im letzten Satz von Kleists „Prinzen von Homburg“ ein „Im“, das aus einem Gedicht Brechts stammt. Als man nach dem Tod dieses Autors 1996 - der 1906 geborene wurde fast neunzig Jahre alt – in seinem Nachlass forschte (denn er hatte alles aufgehoben, was er geschrieben hatte), fanden sich zu den drei großen Projekten nur Splitter, Sätze, Kapitelanfänge, Weniges, das über einige Seiten hinausging. Derweil war er, Wolfgang Koeppen, längst selbst zu einer Art literarischem Widergänger geworden, den sein Verlag, besser sein Verleger Siegfried Unseld, mit unendlicher Geduld und erheblichen finanziellen Zuwendungen am Leben erhalten hatte. „Denn dieser Autor, der seit bald einem halben Jahrhundert den Beruf eines freien Schriftstellers ausübt, dessen Romane in den fünfziger Jahren längst zu den wichtigsten Dokumenten der deutschen Epik nach 1945 gehören, schreibt, so will es scheinen, nur wenn er muss, jedenfalls aber sehr ungern“, konstatierte 1981 Marcel Reich-Ranicki, der Herausgeber einer klugen Auswahl von Koeppens wunderbaren literarischen Aufsätzen und Essays.

Das Schaf an der Kette

Diese Geschichte von einem, der schreiben wollte, dem Seiten einer unvergesslich reinen Prosa gelangen, und der dann doch nicht das schrieb, was alle von ihm erwarteten, eine Geschichte, die Unseld mehrfach eine Strindbergsche genannt hat, sie hatte schon merkwürdig angefangen: Koeppen war nach dem Krieg mit drei zwischen 1951 und 1954 wie in einem schöpferischen Rausch geschriebenen Romanen „Tauben im Gras“, „Das Treibhaus“, „Der Tod in Rom“ und drei zwischen 1958 und 1961 veröffentlichten Reisebüchern bekannt geworden, als sensibler Beobachter der „Stimmung der Nation“ in den frühen Jahren der Republik, als aufmerksamer Weltreisender und als ein eminenter Stilist. Er war schon über fünfzig Jahre alt, als sein Verlag, Goverts, in eine Krise geriet und verkauft wurde. Koeppen brauchte einen neuen, er verhandelte mit mehreren, entschied sich 1961 (nach zweijährigen Gesprächen) für Suhrkamp. Nicht ohne eine bereits 1959 ausgesprochene Warnung: „Ich fürchte nicht, dass Sie versuchen könnten, mich an eine Kette zu legen. Aber vielleicht werden Sie mir beweisen, dass ich ein Schaf bin. Den Richterspruch werde ich schwer nehmen; doch es könnte sein, dass mir nicht zu helfen ist.“ Es sollte noch weitere zehn Jahre dauern, bis Koeppen wirklich mit allen Rechten ein „Suhrkamp-Autor“ geworden war. Und dieser Verlag erhielt im Laufe der Lebensjahre Koeppens nur noch einen einzigen längeren Prosatext „Jugend“, der 1976 erschien. Danach konnte er nur mehr von Zeit zu Zeit die Bücher des Autors neu herausbringen, auch die, die Koeppen vor den drei großen Romanen geschrieben hatte, zwei schon während der Nazizeit entstandene Romane „Eine unglückliche Liebe“ und „Die Mauer schwankt“, später die freie Bearbeitung der Aufzeichnungen eines Überlebenden des Holocaust und solche Texte, die Koeppen als Brotarbeiten für Zeitungen und Zeitschriften geschrieben hatte, etwa die in dem Band „Die elenden Skribenten“ gesammelten literarischen Essays, dazu Texte zu Fernsehfilmen, Nachworte zu Büchern anderer Autoren und dergleichen.

Ein fataler Angsttraum

Gleichwohl, so Alfred Estermann, einer der beiden Herausgeber des nun vorliegenden Briefwechsels zwischen Koeppen und Unseld in seinem Nachwort: „Hinterlassen hat er ein imposantes Œuvre aus Essays, Feuilletons, Kritiken, auch an Briefen, über dreitausend. Das beweist, wie falsch es ist, ihn immerfort an seinem eigenen, niemals von ihm reflektierten ‚Roman’ zu messen. Es gab keinen ‚Fall Koeppen’. Seine häufigen Andeutungen in Interviews, die mehrfachen Ankündigungen des Verlags, denen niemals ein Buch folgte, begannen sich schon früh in den Feuilletons, später auch in Dissertationen zu einer öffentlichen Meinung zu verdichten: Koeppen, der dreifach Leidende, der Verstummende, der Schweigende, der Zornige, der alles gesagt hatte, der nur noch weltabgewandt und introvertiert sein könne, der sich der Restauration in Deutschland systematisch verweigere. Alle diese Rollenvorstellungen treffen den Schriftsteller Koeppen nicht.“ Wohl aber das, was er in seinem Chamisso-Essay über den Romantiker geschrieben hatte - und was ihn genauso selbst meinte: „Es war ein Angsttraum, in dem er lebte, fatal und schön, im Gefühl, ausgestoßen und zugleich erwählt zu sein.“

Estermanns Feststellung hat sich diesem auch nach der Lektüre der über vierhundert Briefe und Karten aufgedrängt, die Koeppen und Unseld zwischen Dezember 1957 und August 1995 wechselten. An der Schimäre des ‚Romans’ haben beide über viele Jahre hin festgehalten und noch lange nach Unselds melancholischer Einsicht, dass es damit nichts mehr werden würde und Koeppens Abtauchen in eine Phantasiewelt von immer neuen Entwürfen und Versprechungen, die er nicht nur seinem Briefpartner vortrug, sondern sich selbst als Überlebensmaxime verordnete, findet sich zuweilen noch das Wort „Wunder“, auf das beide hofften.

Überredungskünste gegen den Alltag

Zunächst tut Unseld vor allem das, was gute Verleger, die einen bedeutenden Autor an sich gebunden haben, zu tun pflegen: Er wirbt und setzt Termine, er unterrichtet ihn über die Pläne des Verlags und die Rolle, die er Koeppen darin zudenkt und er sucht dessen Schwierigkeiten wegzudiskutieren. Er versucht, mit den Krisen umzugehen, die den Autor schütteln und die der zum ersten Mal in aller Breite im August 1967 schildert. Da ist von Schreibblockaden die Rede, von den furchtbaren Szenen, die er mit seiner depressiven, alkoholkranken (und geliebten) Frau Marion zu überstehen hat, seinen Krankheiten (Koeppen war ja schon 61 Jahre alt, kein junger Mann mehr), dem ständigen Geldmangel, den Wohnungsproblemen; das alles formuliert in makelloser, überredender Prosa. Unselds Antwort, kaum zwei Wochen später, ist sehr typisch für die Art, mit welcher der Verleger sich kümmert: „Lieber Herr Koeppen, - als ich Ihren Brief vom 18. August las, dachte ich, welch ein Brief, welch ein Dokument, welch ein Schreiber. Ich sah Ihre Situation, die Sie so schilderten, wie das in einem ‚Roman’ nie möglich wäre, und war doch ratlos. Ich folgte gespannt den Wendungen dieser Tragödie ohne Katharsis, ohne sie begreifen zu können, ich spürte die Verzweiflung, Ihre Verzweiflung, ohne einen Sinn zu sehen. Seitdem ich Ihren Brief las, verfolgten mich seine Worte und Begebenheiten … Sie haben Schwierigkeiten beim Schreiben von Literatur, weil Sie diese Literatur in einer Hautnähe erleben, die Ihrem Schreiben keinen Atem läßt. Und hier kann Ihnen niemand helfen, kein Freund, kein Kollege, kein Mäzen. Ja, alle Hilfe verstellt Ihnen nur die Erkenntnis der Situation. Nur Sie können sich am eigenen Schopfe herausziehen. Und nur indem Sie aus Ihrer Riesenschwäche ein Problem machen, dessen Subjektivität durch Besessenheit und Ausschließlichkeit ins Objektive und Rezipierbare umschlägt. Sie müssen sich selber schreiben. Sie müssen sich umgraben mit eigenem Wort. Ihr Brief zeigt mir, dass Sie Sich vertrauen können. Sie sind stärker, als Sie wissen!“

Faszinierende Zauberei

Bald darauf verweist er Koeppen an einen guten Nervenarzt, der gleichzeitig Suhrkamp-Autor ist – und zahlt weiter, auch die aufgehäuften Schulden. Ein Jahr später – mehrere Ablieferungstermine sind verstrichen – heißt es bei Koeppen: „Bei alledem arbeite ich weiter und bilde mir ein, das Buch in vier bis sechs Wochen zu haben. Sie glauben es nicht. Ich verstehe Sie. Auch das könnte ein Ansporn sein … Ich will nicht untergehen und nicht aufgeben. Aber das glauben Sie mir nicht mehr.“ Und wenn es Unseld auch schwer fällt zu glauben, er gibt nicht auf. Und so geht das weiter, bei häufigen Begegnungen, die der Verleger ermöglicht, mit kleinen und größeren Krisen, die nie heillos werden; nach dem Vertragsabschluss, der Suhrkamp sämtliche Rechte Koeppens überträgt, im vertraulichen Du, das der achtzehn Jahre Ältere vorschlägt. Es bleibt eine Beziehung zwischen dem Verleger, den sein Beruf zwingt, auf Resultate zu dringen, geschäftlichen Dinge nicht außer Acht zu lassen, der dennoch diese Freundschaft höher achtet, als einen möglichen Profit und seinem Autor, der verspricht, neue Pläne macht, sie offenbar, wie nicht nur Unseld, sondern auch andere es vielfach erfahren haben, bei einem guten Essen, einen teuren Wein so faszinierend und überzeugend auszubreiten weiß, dass die Zuhörer wähnen müssen, es könne nur Wochen, im schlimmsten Fall Monate dauern, bis sie sich zur Realität eines bedeutenden Buches mausern. Koeppen muss – auch das geht aus vielen Briefen hervor - ein Equilibrist des Wortes und ein listiger Schelm gewesen sein, der zaubern und verzaubern konnte. Solche Scharaden waren seine Spezialität. Unseld hat nie etwas gegen die „Brotarbeiten“ eingewendet, sie manchmal auch angeregt, auch wenn er Koeppen dann meist beschwor, die große Sache nicht aus den Augen zu verlieren. Er setzte Anreize, bezahlte weite Reisen, ließ Vor- oder Nachworte zu Büchern des Verlags schreiben – er hat wirklich alles getan, um Koeppens Schreibblockade zu lösen. So wie er es auch, zehn Jahre lang, mit Uwe Johnson gehalten hat, als der nach dem dritten Band der „Jahrestage“ solch eine Blockade hatte. Doch der vierte Band ist erschienen, während wir es bei Koeppen mit einem Scheitern zu tun haben, das Unseld fast vierzig Jahre lang begleitete. Dieser Briefwechsel ist unter anderem das Zeugnis einer humanen Achtung vor dem literarischen Schaffen, das ihresgleichen sucht.

Der Literatur liebende Bücherfabrikant

Es ist auch lebendiges Porträt des geistigen Lebens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Koeppen war ein wacher, interessierter Beobachter, den seine Depressionen, seine Zaubertricks nicht daran hinderten, sich für vieles zu interessieren: literarische und politische Entwicklungen, andere Autoren, die weitgreifenden Verlagspläne Unselds, die man damals zurecht als „Suhrkamp-Kultur“ rühmte. Daran hatte Koeppen Anteil: Er gab Ratschläge, machte Vorschläge, ließ sich ausführlich über die 68er Revolte im Verlag unterrichten, die Unseld mit Umsicht abgewiesen hat. Und immer wieder kommen die desolaten finanziellen Verhältnisse Koeppens ins Spiel, die sein Verleger in den letzten Jahrzehnten einfach hinnahm, er half aus, wo es nur ging. Derweil druckte er alle früheren Bücher nach, sorgte dafür, dass sein Autor im Gespräch blieb. „Die Tendenz eines Verlags wie Suhrkamp wird ja nicht so sehr von uns, die wir den Verlag machen, sondern vielmehr von den Autoren bestimmt, die jene Bücher schreiben, die wir verlegen.“ Das verlangt auch, dass der Verleger sich persönlich um seine schwierigsten Autoren kümmert, sie immer wieder besucht, ermuntert, ihnen gute Arbeitsbedingungen schafft, unter Umständen auch selbst als Lektor tätig wird. So kann er den „aus der Bahn geworfenen Egoisten“ als Freund halten und am Ende doch all das, was der, jenseits der Schimäre „Roman“ schreibt, sammeln und in immer neuen Ausgaben unters Lesevolk bringen. In einer Zeitungsumfrage hat Koeppen 1989 Unselds Rolle definiert: „Er schrieb mir am Anfang, wir werden durch dick und dünn zusammenhalten. Sicher, ich habe ihn wohl  manchmal enttäuscht, dick und dünn, aber wir blieben gut miteinander; wenn verspätet meine Arbeit ins Haus kam, las er sie als erster, sogleich und ohne Zorn, rief an oder kam sogar nach München, um über die Erscheinungsweise des Buchs zu sprechen. Ganz und gar kein Bücherfabrikant, es kam ein Leser, ein Liebhaber der Literatur und Förderer des Schriftstellers, an den er glaubte.“ Noch im August 1995, als der in einem Pflegeheim lebende, seine Umwelt nur noch selten als Personen erkennende Koeppen (Unseld hatte es bei einem Besuch zuvor erfahren), so etwas wie einen „lichten Moment“ hatte, der ihn der Demenz entwand, schrieb er seinen letzten Brief: „Ich werde dieses Buch und auch andere Bücher fertig schreiben. Lasse mich das schreiben, störe mich nicht.“

Rätselhaftes zum Wiederlesen

Ein tragisches Schicksal? Gewiss. Ein vergebliches Leben? Gewiss nicht. Die Briefe der beiden, voller Literatur und zuweilen selbst Literatur (und wie gute – von beiden Schreibern!) sind auch eine Art Denkmal für einen Umgang mit Literatur und Schriftstellern, der heutzutage fast wie eine ferne Sage anmutet.

Am Ende seines Reisebuchs „Nach Russland und anderswohin“, steht ein kurzes, rätselhaftes Prosastück „Landung in Eden“: Der Ich-Erzähler sitzt in einem Bombenflugzeug, umkreist die Erde und wartet auf den Einsatzbefehl mit dem Codewort „Zebaoth“. Es kommt nie – bis er es sich selbst und damit die Bombe freigibt. „Ich habe das Wort Zebaoth allein für mich gesprochen. Der Feind wird mir mit seinem Wort Zebaoth antworten, und mein Kommandant wird Zebaoth, Zebaoth über Kontinente, Meere und Wolken in mein Ohr brüllen. Wo ich nun lande, ist Eden. Niemand spricht mehr von Zebaoth. Im Paradies wohnen keine Menschen.“ Eine Untergangsphantasie aus dem Jahr 1973.

Das Paradies ist fern und auf der Erde wohnen immer noch Menschen, die diesem Wolfgang Koeppen, der 2006 hundert Jahre alt geworden wäre, zuhören und prüfen können, was denn von diesem Autor, ins neue Jahrhundert hinüber zu bringen ist: die Romane, die eine bestimmte Epoche im Brennglas luzider Prosa zu Asche brannten, die Reisebücher, die auf Fremdes aufmerksam machten, als man noch lieber zu Hause blieb (oder bleiben musste), die zärtlichen, gescheiten Reflexionen über seine Brüder, die anderen Autoren, die gegen die Zeit lebten, das fiktive Porträt einer „Jugend“, die sich so nur im Kopf dessen abspielte, der darüber schrieb. Wir sollten Koeppen wieder lesen. Die Herausgeber haben nahezu jeden Brief annotiert. Sie geben nützliche Hinweise und Erklärungen, zuweilen auch nickelige, (so wenn sie etwa ein Zitat aus einem Buch nicht nach dessen Originalverlag Hanser, sondern einem Zweitdruck ausweisen), sie erläutern die Umstände von Begegnungen und Reisen, flechten einige Indiskretionen ein (etwa über Unselds Fastenkuren), auf die man gern verzichtet hätte. Man muss nicht unbedingt alles wissen. Gleichwohl sollte man auch ihnen dankbar sein, die Ausgabe des Briefwechsels genügt weithin philologischen Ansprüchen.

Literaturangaben:
ESTERMANN, ALFRED/SCHOPF, WOLFGANG (Hrsg.): „Ich bitte um ein Wort …“ Der Briefwechsel Wolfgang Koeppen - Siegfried Unseld. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006. 548 S., 24,80 €.

Weblink:

Roland H. Wiegenstein arbeitet als freier Literatur- und Kunstkritiker für dieses Literaturmagazin. Er lebt in Berlin und Italien


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