Ricardo Piglia gilt als einer der angesehensten zeitgenössischen Schriftsteller Argentiniens. Der Romancier und Kritiker lehrte bereits mehrmals als Gastdozent für Literatur und Film in Princeton und Harvard und wurde vor allem durch seine Romane "Künstliche Atmung" ("Respiración artificial") und "Abwesende Stadt" ("Ciudad ausente") berühmt. Sein kurzer Kriminalroman "Brennender Zaster" ("Plata quemada") wurde in Argentinien sogar erfolgreich verfilmt. Nun ist beim Wagenbach-Verlag eine Erzählung des 1941 in Buenos Aires geborenen Autors aus den Siebzigerjahren erschienen.
"Falscher Name", so der Titel des "kurzen Romans", ist ästhetisch und literaturgeschichtlich gesehen ein Kuriosum: Der Erzähler präsentiert eine von ihm ausfindig gemachte, bisher unveröffentlichte Erzählung des 1942 verstorbenen Roberto Arlt, genialer Altmeister der argentinischen Literatur und Autor von so berühmten Romanen wie "Die sieben Irren" ("Los siete locos"), dessen Verfilmung übrigens 1973 in Berlin mit dem silbernen Bären ausgezeichnet wurde.
"Piglia", so nennt sich der Erzähler, stößt durch Nachforschungen über die letzten Lebensmonate des hierzulande oft mit Brecht verglichenen Roberto Arlts auf ein Manuskript, welches den ersten Teil einer unveröffentlichten Erzählung mit dem Namen "Luba" enthält. Bis er jedoch die vollständige Version der Geschichte um einen Anarchisten und eine Prostituierte präsentieren kann, gerät er ans Kriminelle grenzende Machenschaften.
Unter die Lupe genommen
Warum ließ Arlt seine Erzählung nicht veröffentlichen? Welche Schuldgefühle plagen seinen Freund und engen Vertrauten Kostia (ein argentinischer Max Brod), dem Arlt sein Manuskript anvertraut hatte? Und welches Verbrechen begeht der Erzähler Piglia selbst, indem er "Luba" dem unwissenden Leser schließlich präsentiert? Zwischen diesen Fragen spinnt der Autor Piglia sein Netz, in dem sich postmoderne Theorien, Vorstellungen von Original und Fälschung und die Bewunderung für sein großes Vorbild Arlt nur so verfangen.
Der Autor Ricardo Piglia, selbst als Kritiker tätig und Herausgeber einer Werkausgabe Arlts, entwirft in der Plagiatgeschichte "Falscher Name" ein Bild des Literaturkritikers als Detektiv. Von einem Anhaltspunkt aus, hier dem Manuskript "Luba", setzt dieser seine Lupe an und macht so einen Mikrokosmos nach dem anderen sichtbar: die Entstehung eines Kunstwerks, das Leben eines sogenannten Anti-Schriftstellers, bis hin zu dem schäbigen Zimmer aus der Erzählung "Luba", in dem sich der Anarchist und die Prostituierte wie auf einer Bühne begegnen und sich gegenseitig zu retten versuchen.
Die Frage zu stellen, ob die uns von dem Erzähler "Piglia" präsentierte Kurzgeschichte Roberto Arlts wirklich existiert, wäre reichlich naiv und am Text, den der Autor Piglia uns vorsetzt, vorbeigelesen. Denn hier, wie so oft in der Literatur, geht es nicht um Wahrheit.
Alle sind Diebe
Vielmehr entwirft Piglia, ganz Literaturprofessor, ein geschickt verzerrtes Spiegelbild der argentinischen Literaturgeschichte und -produktion. In Argentinien, mehr als in anderen Ländern Südamerikas, bemühte man sich stets, "europäisch" zu schreiben. Gleichzeitig fühlte man sich jedoch in kulturellen Fragen als riesiges europäisches Hinterland, in das alle neuen Stilrichtungen und Theorien mit leichter Verspätung eintrafen. Somit hat das Kopieren angesehener Autoren, das Anspielen auf das Werk eines anderen – weggerückt von jeglicher postmoderner Theorie – eine lange Tradition. Jorge Luis Borges spielte mit dieser Literaturposition seines Landes. Piglia macht aus ihr, dreißig Jahre später, einen faszinierenden Krimi.
So trifft der Erzähler oder auch Detektiv Piglia dann höchstens auf eine Wahrheit, wenn man sie denn so nennen will, und zwar die, welche die Figur Kostia (übrigens eine wunderbare Verkörperung der Vorstellung Arlts vom "Gescheiterten Schriftsteller") betrunken herauslallt: "Wir sind doch alle Diebe."
Wenn der Meister selbst kopiert wird, nimmt er es übrigens mit Gelassenheit: Bei einem chilenischen Literaturwettbewerb reichte eine junge Teilnehmerin eine Kurzgeschichte ein, die sehr an eine Erzählung Piglias aus den Siebzigerjahren erinnerte – und gewann damit. In einem Interview, welches die Zeitschrift "Qué pasa" daraufhin mit Piglia führte, äußerte er sich folgendermaßen zu dem Fall: "Das Plagiat ist doch die unschuldigste Form der literarischen Verehrung."
Literaturangaben:
PIGLIA, RICARDO: Falscher Name. Ein kurzer Roman. Übersetzt aus dem argentinischen Spanisch von Sabine Giersberg. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2003. 101 S., €15,50.
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