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Die Möglichkeit der Hoffnung – William Faulkners „Licht im August“

Der Roman des Literaturnobelpreisträgers in neuer deutscher Übersetzung

Von: MONIKA THEES - © Die Berliner Literaturkritik, 06.06.08

 

„Lena sitzt am Straßenrand und beobachtet, wie das Fuhrwerk den Hügel zu ihr heraufklettert, und sie denkt: ‚Ich komme aus Alabama: ein schönes Stück. Den ganzen Weg von Alabama her, zu Fuß. Ein schönes Stück’“. Mit der schwangeren Lena Grove, die sich zu Fuß auf den Weg macht, um den Vater ihres ungeborenen Kindes zu finden, beginnt einer der größten Romane des 20. Jahrhunderts. Erstveröffentlicht in den USA 1932, bereits 1935 von Franz Fein ins Deutsche übertragen, wurde „Licht im August“ zum Meilenstein der literarischen Moderne und zum im deutschen Sprachraum am weitesten verbreiteten Werk William Faulkners. Jetzt hat es der Rowohlt Verlag in einer zeitgemäßen Neuübersetzung von Helmut Frielinghaus und Susanne Höbel vorgelegt.

„Licht im August“ setzt ein mit der Geschichte der Lena Grove, einer Gestalt von fast biblischer Einfalt, einer jungen Frau, die, verführt und verlassen von einem gewissen Lucas Burch, sich auf den Weg macht nach Jefferson. Ihr Weg kreuzt sich mit dem des Joe Christmas, eines Wanderarbeiters, halb Weißer, halb Schwarzer, der „zu Bewegung verdammt, getrieben vom Mut angestoßener und angespornter Verzweiflung“ unterwegs ist auf „tausend Straßen“. In Jefferson, Faulkners fiktiver Südstaaten-Kleinstadt (eines Abbilds der Stadt Oxford im Bundesstaat Mississippi), überschneiden sich beider Schicksalslinien. Lena wird ihr Kind gebären und schließlich weiterziehen nach Tennessee, Joe Christmas in einer unvergesslich grausamen Szene den Tod finden.

Sprachgewaltig, anspruchsvoll und sich fast jeder Deutung entziehend – so lautet allgemein das Urteil über „Licht im August“. William Faulkner unterbricht den Erzählfluss durch lange Rückblenden und Zeitsprünge, er wechselt häufig die Perspektive, verknüpft Handlungsstränge, verbindet disparate Episoden und Charaktere. Obwohl zugänglicher und konventioneller erzählt als „Schall und Wahn“ (1929), „Als ich im Sterben lag“ (1930) oder „Absalom, Absalom!“ (1936), bleibt das über 470 Seiten starke Werk bis heute rätselhaft, abgründig, in Partien zutiefst verstörend. Allein „Lena Grove verkörpert Vertrauen, Annahme des eigenen Schicksals und neues Leben“, schreibt Paul Ingendaay in seinem Nachwort. „Fast die ganze übrige Besetzung des Romans liegt danieder wie unter einem Fluch der Vergangenheit.“

So Joe Christmas, die zentrale Figur von „Licht im August“, ein 33-jähriger Einzelgänger, wahrscheinlich ein Mischling mit „Negerblut“. „[Er] wusste nicht, was er war“, äußerte Faulkner einmal im Gespräch, „er wusste, dass er niemals wissen würde, was er war. Seine einzige Rettung, um mit sich selbst leben zu können, war es, die Menschheit im Ganzen abzulehnen […].“ Eines Morgens taucht Christmas auf in Jefferson. Er sieht aus wie ein Tramp und auch wieder nicht wie ein Tramp. Seine Hose ist verschmutzt, aber aus gutem Serge, er trägt ein weißes Hemd und einen Schlips. Tagsüber arbeitet er im Sägewerk. Man hört, er wohne draußen in einem Schuppen bei der verwitweten Joanna Burden, einer Yankee und „Negerfreundin“, an den Samstagabenden stehe er in irgendwelchen Seitengassen und handle mit schwarzgebranntem Schnaps.

„Seine Tragödie bestand darin, nicht zu wissen und niemals erfahren zu können, was er war, und das ist für mich die tragischste Situation, in die ein Einzelner geraten kann“, so Faulkner. Christmas’ Zweifel an seiner Identität sind eng gekoppelt mit seinem Hass auf das Leben. Aber weder die Rückschau auf seine Kindheit – an einem Heiligabend ausgesetzt vom fanatisch-religiösen, irren Großvater, weil das Kind in „Unzucht und Schande“ gezeugt war, aufgezogen in einem Waisenheim, später adoptiert vom strenggläubig-sadistischen McEachern – noch eine wie immer bemühte Psychologie erklären seinen Lebensweg, der ihn, einen mutmaßlichen zweifachen Mörder, zwangsläufig und einer inneren Logik folgend ins Gefängnis von Jefferson und nach einer aussichtslosen Flucht vor das „blutige Schlachtermesser“ des Percy Grimm treibt.

Sex, Religion und Rasse – das sind die Zutaten des spannenden und titanisch großartigen „Licht im August“, wie manisch kreist William Faulkner um diese drei großen Themen, sie bestimmen als „dunkle“ Triebkräfte unsere Existenz, lasten auf ihr als Erbe der Vergangenheit. Doch welches Licht ist gemeint? Der Titel rief in ihm, wie Faulkner einmal sagte, eine bestimmte Erinnerung wach: „Im August gibt es um die Mitte des Monats herum ein paar Tage, wo man plötzlich den Vorgeschmack des Herbstes bekommt; es ist kühl, und das Licht hat eine besonders helle, strahlende Qualität […].“ Es öffne den Blick „in eine ältere Vergangenheit, in die alten, klassischen Zeiten, älter als unsere christliche Zivilisation“. Das düstere Faulknersche Universum öffnet einen Spaltbreit die Tür: In die krasse Darstellung von Bigotterie, Lebensflucht, Angst und Gewalttätigkeit mischt sich, mild und versöhnend, mit der Figur der Lena Grove die Möglichkeit der Hoffnung, einer neuen Humanität.

Faulkners hypotaktischer Stil gilt als schwer übersetzbar. Die jetzt vorliegende, durchweg gelungene Übertragung von Helmut Frielinghaus und Susanne Höbel eröffnet uns einen neuen Zugang zum literarischen Universum des William Faulkner: Yoknapatawpha County (2400 Quadratmeilen, 15 611 Einwohner). In siebzehn Büchern und zahlreichen Erzählungen hat der 1897 in New Albany, Miss., geborene William Cuthbert Falkner (erst später fügte er das „u“ in seinen Namen) sein fiktives Königreich auf Papier gebannt: von „Sartoris“ (1929), gewidmet seinem Freund und Förderer Sherwood Anderson, über die Snopes-Trilogie (1940-59) bis zu „Die Spitzbuben. Eine Erinnerung“ (1962), kurz vor seinem Tod am 17. Juni 1962. 1950 erhielt er den Nobelpreis für Literatur.

Faulkners Einfluss auf die Literatur der Nachkriegszeit war enorm. „Er wurde geehrt, geachtet, ja geliebt und ein bisschen auch als Rätsel bestaunt“, so Paul Ingendaay, irgendwann verstaubten seine Werke in den Regalen. Vierzig Jahre nach seinem Tod ist es an der Zeit, „Licht im August“ erneut zu lesen und Yoknapatawpha County wieder zu bereisen. Die Sprachkunst Faulkners, seine Modernität wie auch sein multiperspektivischer Stil entfalten einen kraftvollen Sog, dem sich auch der heutige Leser nicht entziehen kann, der einen vorwärtstreibt auf den Straßen Mississippis, der den Menschen zeigt als „perigrinus“ – unterwegs, heimatlos, auf der Suche nach der Vergangenheit wie der Zukunft. Wie sagt es doch Lena Grove: „Meine Güte. Man kommt ganz schön rum. Da sind wir erst vor zwei Monaten von Alabama gekommen, und jetzt ist das schon Tennessee.“

Literaturangaben:
FAULKNER, WILLIAM: Licht im August. Roman. Deutsch von Helmut Frielinghaus und Susanne Höbel. Mit einem Nachwort von Paul Ingendaay. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2008. 479 S., 19,90 €.

Verlag

Monika Thees ist Redakteurin dieses Literatur-Magazins


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