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Auf gute Nachbarschaft: Uwe Johnson und das Ehepaar Grass im Briefwechsel

Der Briefwechsel zwischen Uwe Johnson, Günter und Anna Grass

Von: ROLAND H. WIEGENSTEIN - © Die Berliner Literaturkritik, 15.11.07

 

„Liebe Nachbarin:

Bis vorgestern hatten wir rein nichts zu melden, denn wir taten täglich zur gleichen Zeit, was wir am Tage davor taten; und wenn uns nicht die Hitze drückte kam ein Schnupfen des Weges, so dass wir etwas benommen auf der schattigen Straßenseite liefen, Grippewolken im Gehirn“

So gemütlich beginnt Uwe Johnson im Juli 1964 einen Brief an Anna Grass, aber dann gibt es doch etwas: eine Tatarenmeldung, die nämlich, Wolf Dietrich Schnurre sei gestorben. Johnson stellt sie richtig und erzählt auch, wie es dazu kam: Literatenklüngel. Um dann wieder in den vertrauten Ton zu wechseln. Es gibt in dem nun veröffentlichten Briefwechsel zwischen Johnson, Anna und Günter Grass manche solcher unbeschwerten Briefe; die gute Nachbarschaft, die Johnson und Grass in der Niedstraße im idyllischen Berlin-Friedenau hielten (dieser im eigenen Haus, jener im Dachatelier im Haus daneben) brauchte die briefliche Verständigung nur, wenn einer der Korrespondenten auf Reisen war, sonst genügten die gemeinsamen Frühstücke am Sonntagmorgen.

Es war eine schwierige Freundschaft – wie alle, die Johnson pflegte und oft aufkündigte, wenn auch nur der Schatten eines Missverständnisses auf sie fiel.

Sie hatten viel miteinander zu schaffen: zum Beispiel in der „Gruppe 47“ und anderwärts. 1962, kurz nach ihrer Begegnung, engagierten sie sich, gemeinsam mit Ingeborg Bachmann, Martin Walser und anderen für eine internationale Literaturzeitschrift, deren deutsche Redaktion Johnson übernehmen sollte. Das Projekt scheiterte an Divergenzen zwischen den deutschen und französischen Herausgebern. 1964 unternahmen sie den pittoresken Versuch, das lokale „Spandauer Volksblatt“ als Gegengewicht zur in Berlin allgegenwärtige Springer-Presse hochzurüsten: sie warben neue Autoren an, Grass verkaufte die Zeitung in einer Werbeaktion auf dem Kurfürstendamm und Johnson sorgte per Fahrrad für Nachschub. Das Experiment ging naturgemäß schief.

1965 stellte Johnson eine ebenso kenntnisreiche wie eigenwillige Bücherliste für Bundeswehrbibliotheken zusammen, Grass wollte die Bücher mit den Einnahmen aus seinen Wahlkampfaustritten für die Bundeswehr kaufen und sie einzelnen Standorten spenden. Der Briefwechsel, der sich häufig mit solchen Fragen befasst, wirft interessante Schlaglichter auf die literarische Szene der sechziger und siebziger Jahre in Deutschland. Literaturkritische Diskussionen zwischen den Partnern fehlen, schon Grass beiläufige Bemerkung, man müsse Johnsons Texte nur mit den nötigen Satzzeichen versehen (mit denen dieser geizte), dann würden sie viel leichter lesbar, verstimmte diesen nachhaltig, genauso wie ihn Grass ausuferndes Engagement für die SPD irritierte. („Keine Partei bietet augenblicklich richtige Lösungen an, die ich akzeptieren kann. Mich stört eine unklare Verbindung“ – so Johnson in einem Interview 1966). An der Freundschaft der beiden änderte das nichts. So hat Grass den Nachbarn in der Affäre um die „Kommune I“, die sich 1967 während Johnsons Amerikaaufenthalt in dessen Wohnung eingenistet hatte, nachdrücklich und hilfreich unterstützt.

Neben den einverständigen (und den divergierenden) Meinungen und Haltungen waren es immer die beiden Familien, die sie einander nahe brachten, dafür sind Anna Grass Briefe an Johnson ein schönes, beredtes Zeugnis.

Eine der letzten Äußerungen Johnsons vor seinem Tod im Februar 1984 war eine Postkarte, auf der er dem Freund dazu gratulierte, dass „Die Blechtrommel“ auf Polnisch erschienen war. Grass hat mehrfach schriftlich und in Gedenkreden den Verstorbenen auf eine Weise gewürdigt, die Literarisches so auszudrücken wusste, dass das Persönliche kenntlich wurde.

Der Herausgeber Arno Barnert hat in einem Anhang „Materialien“ zusammengestellt, die die Zeitumstände der (im Einzelnen kurz annotierten) Briefe erklären. Seit Johnsons Tod sind inzwischen fast vierundzwanzig Jahre vergangen, da ist dergleichen ebenso hilfreich wie eine dankenswert ausführliche Zeittafel. Ein paar gut ausgesuchte Fotos tun ein Übrigens. Auf einigen sieht man sogar einen lächelnden Johnson. Zeitgenossen haben ihn selten so gesehen, obwohl doch sein zuweilen kauziger mecklenburgischer Humor unüberlesbar in seinem Werk aufgehoben ist.

Literaturangaben:
JOHNSON, UWE / GRASS, ANNA / GRASS, GÜNTER: Der Briefwechsel. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007, 232 S., 22,80 €.

Verlag

Roland H. Wiegenstein arbeitet als freier Literatur- und Kunstkritiker für dieses Literaturmagazin. Er lebt in Berlin und Italien


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