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Iris Hanika über Liebe, Sex und Berlin

Iris Hanika: Finalistin des Deutschen Buchpreises

© Die Berliner Literaturkritik, 14.10.08

 

Von Thomas Borchert

Sie und er begegnen sich in einer heißen Kreuzberger August-Nacht, verlassen drei Tage nicht das Bett und haben die folgende Woche leider ganz verschiedene Vorstellungen von der großen Liebe. Wie beide nach zehn Tagen an einem „schönen Vormittag im September“ beim Spaziergang in der Berliner Luisenstadt doch zueinander finden, erzählt mit Wärme, Witz und kühlem Blick für die stolpernde Hilflosigkeit ihrer Helden Iris Hanika in „Treffen sich zwei“.

Sie heißt Senta, hat die Vierzig gerade überquert, erkennt den Mann ihres Lebens an seinen schönen grünen Augen und lässt sich im schlimmsten Liebeskummer volllaufen. Ehe sie dem Angebeteten in der Kneipe schreiend die eigene Orgasmuslosigkeit vorwirft, spuken ihr im Kopf Zitatfetzen aus Bob Dylans „Like A Rolling Stone“ („Now you don`t seem so proud“) und Heinrich von Kleists „Penthesilea“ herum: „Denn steig ich jetzt in meinen Busen nieder, Gleich einem Schacht, und grabe, kalt wie Erz, Mir ein vernichtendes Gefühl empor.“ Thomas, 46, ist ganz anders und analysiert nicht nur beruflich Computersysteme: „Ich liebe dich: Diesen Satz hatte er bisher nur als Aufforderung gehört, ‚ich dich auch’ zu antworten, was er stets verweigert hatte.“

Klar, dass das eigentlich nicht funktionieren kann. Meistens sehr gut funktionieren die erzählerischen Ideen Hanikas, selbst Berlinerin und Mitte 40, zum Thema Liebe, und warum wir alle so hilflos dabei sind. Sie lässt Senta und Thomas pausenlos Sex miteinander haben, ohne ihn je mit einem Wort direkt beschreiben zu müssen. Sie kann das Elend der endlosen gegenseitigen Missverständnisse und des einsamen Liebesleidens komisch und doch mit Ernst beschreiben. Und findet schöne Sätze auch für erfüllte Augenblicke: „Die Erinnerung, die ihr im Körper saß, entspannte sie, und sie fasste Mut.“

Dabei müssen einem die Protagonisten durchaus nicht immer sympathisch sein. Singles, über 40, und immer noch kleben beide an Existenzformen, die man eher jüngeren Jahrgängen zuschreiben würde. Die abgebrochene Geisteswissenschaftlerin hält sich mit einem komplett inhaltslosen Job als Galerie-Assistentin über Wasser. Den endlosen und alles andere in den Schatten stellenden Kampf um die große Liebe bewältigt sie vorzugsweise mit Heulen.

Das hat man auch schon oft gelesen (oder erlebt), aber vielleicht noch nicht als witzige kleinen Parodie auf eine überaus ernste Nobelpreisträgerin: „Zum Auftakt ein Anstich in Jelinekscher Manier: Die Wasser fließen unaufhaltsam aus der Frau heraus, denn wo ein Damm gebrochen ist, da ist kein Halten mehr.“ Solche Ideen und einige hinreißend originelle Szenen zwischen Senta und Thomas entschädigen reichlich für ein hin und wieder doch irritierendes Hangeln am Rand der Plattitüde („Zwei Leiber, denen die Verbindung zueinander, zu überhaupt einem anderen Leib geglückt ist.“) und einem Anflug von klaustrophobischer Grundstimmung in der Zweiergeschichte.

Ob ihr sehr vorsichtiges Happy-End wirklich eins ist, muss oder kann der Leser selbst entscheiden. Schon für die ersten Tage hat Hanika ihren verliebten Helden einen Satz ins Stammbuch geschrieben, den in diesem Zusammenhang keiner so richtig gerne liest: „Jetzt fing die Arbeit an.“

Literaturangaben:
HANIKA, IRIS: Treffen sich zwei. Droschl, Graz / Wien 2008, 238 S., 19 €.

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