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Entmündigung als Chance?

„Gefühle in Zeiten des Kapitalismus“ von Eva Illouz

Von: ROLAND H. WIEGENSTEIN - © Die Berliner Literaturkritik, 27.11.06

 

„Die vollends aufgeklärte Erde strahlt im Zeichen triumphalen Unheils“, so konstatiert es der berühmte zweite Satz der „Dialektik der Aufklärung“, die Max Horkheimer und Theodor W. Adorno im kalifornischen Exil schrieben, als Hitlers Armeen sich bereits auf dem Rückzug befanden und die Verheerungen sichtbar waren – nur ihr alle Phantasie übersteigendes Ausmaß lag noch im Dunkeln. Gleichwohl haben die beiden Philosophen gegen dies Unheil die herkulische Anstrengung gesetzt, in ihren „Fragmenten“ über diese in ihren Augen weithin gescheiterte Aufklärung aufzuklären. Der „herrschenden Praxis und ihren unentrinnbaren Alternativen“ hatten sie am Ende kaum mehr entgegenzusetzen als die Hoffnung, dass „Natur erinnert“ werde.

Den Erkenntnissen (und ihren historischen Prämissen), die die beiden Autoren ausbreiteten, ist in den mehr als sechzig Jahren, die seitdem vergangen sind, häufig widersprochen worden, ohne dass doch das - wie auch immer - fragile Fragen nach Hoffnung, das darin verborgen liegt, verstummt wäre. Der Text bleibt, als uneingelöster, auf der Tagesordnung einer Welt, die sich als global und eben ohne Alternative zu begreifen angewöhnt hat.

„Therapeutischer Kapitalismus“

Auch der (aus den vier „Adorno-Vorlesungen“ des Jahres 2004 hervorgegangene) Essay der in Jerusalem lebenden Kultursoziologin Eva Illouz „Gefühle in Zeiten des Kapitalismus“ trägt dazu bei, Alternativen wenigstens anzudeuten, nachdem sie zunächst in einem historischen Abriss auf Veränderungen eben dieses Kapitalismus' aufmerksam macht, die meist übersehen werden.

Eva Illouz weist nach, dass Freuds Psychoanalyse tiefgreifende Veränderungen der Arbeitswelt und der ihnen als Steuerungsinstrument zugrunde liegenden Mechanismen hervorgerufen hat. Die begreift Illouz als Übergang von einem allein auf Warenausstoß gerichteten Kapitalismus zu einem „therapeutischen“, indem „Emotionen“ als Wirkkräfte erkannt werden, die zu steuern wären und also ins Profitkalkül einbezogen werden müssten.

„Die Psychologen handelten als ‚Wissensspezialisten’, die Ideen und Methoden entwickelten, um die menschlichen Beziehungen zu verbessern und auf diese Weise die Wissensstrukturen und Bewusstseinsformen der Laien zu verändern. Darüber hinaus kam die Sprache der Psychologie den Interessen der Manager und Unternehmensbesitzer in besonderer Weise entgegen: Weil die Psychologen alle Probleme in die weiche Sprache von Emotion und Persönlichkeit kleideten, schienen sie nicht weniger zu versprechen, als die Mehrung der Profite, die Bekämpfung von Arbeiterunruhen, den friedlichen Ausgleich zwischen Managern und Arbeitern sowie die Neutralisierung der Klassenkämpfe.“ Dieser „emotionale Kapitalismus“, so Illouz, habe die entwickelte Welt und ihre Wahrnehmung vor allem in den Mittelschichten neu geordnet, indem er das „ökonomische Selbst emotionaler und die Emotionen instrumenteller machte.“

Stichwort Kommunikation

Genau darauf kam (und kommt es an): den dem Kapitalismus inhärenten Willen zu Wachstum und Profitmaximierung durch geeignete psychologische Praktiken zu unterstützen und die Reibungen zu vermindern, die aus den Emotionen und Ansprüchen der Individuen, der „Selbste“ entstehen. Man muss zugeben, dass dies weithin geglückt ist, ohne dass jedoch die diesem Prozess selbst eigenen Widersprüche damit zur Ruhe gebracht worden wären.

Das derzeit wieder durch alle publizistischen Gassen getriebene (sehr reale) Gespenst „Armut“ ist dafür nur ein Signal. Nur redet niemand mehr von Klassenkampf (auch Illouz nicht, die sich eher an Max Weber als an Karl Marx orientiert), aber genau besehen, läuft es doch auf diesen hinaus, nur dass die Psychologie mit ihrem immer feiner entwickeltem Instrumentarium auch diesen in ein „weiches“ Thema verwandelt hat.

Das Stichwort heißt: „Kommunikation“. Mit paradoxen Folgen: „In letzter Konsequenz heißt Kommunikation, die emotionale Kette aufzuheben oder aufzulösen, die uns an andere bindet. Gleichzeitig aber werden diese neutralen und rationalen Sprechmuster von einer sehr subjektivistischen Art der Legitimation eigener Empfindungen begleitet. Der Träger einer Emotion wird nämlich als letzte richterliche Instanz der eigenen Emotionen anerkannt.“

Der Prozess, in dem die „Anerkennung“ des eigenen Selbst davon abhängt, dass sie sprachlich artikuliert wird, „neutralisiert die emotionale Dynamik von Gefühlen wie Schuld, Scham oder Frustration und stattet sie, einmal ausgedrückt, doch mit eigener Geltung aus.“

Illouz kann diese komplizierte Sachlage innerhalb der Normen des „therapeutischen Zeitalters“ – auch mit Hilfe der Ansprüche und Erfahrungen des Feminismus, der das weibliche (weiche) Element psychologischer Fragestellungen hervorhebt - einleuchtend erklären; man wird misstrauischer gegenüber so manchen Fallen, die die Psychologie aufgestellt hat.

Es sind vor allem profane Texte, zum Beispiel die zahllosen Ratgeber für „Führungskräfte“ und die ihnen zugrunde liegenden empirischen Untersuchungen, die Illouz interessieren, drückt sich in ihnen doch aus, was Praxis ist.

Partnersuche in Zeiten des Internets

„Emotionale Intelligenz umfasst Fähigkeiten, die in fünf Bereiche eingeteilt werden können: Selbstempfinden; Emotionsmanagement; Selbstmotivation, Empathie und die Gestaltung von Beziehungen. Mit Hilfe des Begriffs der emotionalen Intelligenz konnten Eigenschaften der sozialen und kulturellen Welt gemessen werden, die sich durch den Einfluss der Psychologie massiv verändert hatten, sodass eine neue Klassifikatikon von Menschen möglich wurde.“ Eben darauf kommt es an: die Menschen als „Selbste“ in einem immer dichteren Netz solcher Messungen und Klassifikationen ruhig zu stellen.

In einem dritten Teil ihr Studie wendet sich Illouz, einigermaßen überraschend, der subjektiven Seite dieser Zurichtung zu und verwendet als Beispiel wieder eine Alltagserscheinung, die in den letzten Jahrzehnten, ausgehend von den USA, immer wichtiger geworden ist: der Partnersuche, die in Zeiten des Internets sich vornehmlich in den Chats und den Suchanzeigen von Singles finden lässt.

Sie untersucht die Standards und die in „Profilen“ vorgestanzten Selbst- und Fremdbeschreibungen, um herauszufinden, was noch in diesen als authentische Regung des Subjekts überlebt. „Die im Internet wirksame Vorstellungskraft setzt Phantasie frei, behindert aber romantische Gefühle. Diese Vorstellungskraft wird durch zwei Arten von Text ausgelöst, dem Photo und dem Profil, sowie jenen Kenntnissen über die andere Person, die verbal und rational sind, also auf Kategorien und Kognitionen und nicht auf den Sinnen beruhen.“ Und sie führt gerade deshalb notwendig zu Enttäuschungen. Die Ausschaltung des „coup de foudre“, jener sinnlichen Erfahrung, die vor aller Rationalität die Anziehungskraft eines präsumptiven Partners bestimmt, ist nur ein weiterer Beleg für die Psychologisierung jeder Regung, für die Macht des „therapeutischen Zeitalters“, das zum „Magma“ der gesellschaftlichen Bedeutungen geworden ist.

Das emotionale Selbst als öffentliches Thema

„Die Psychoanalyse entstand aus dem Rückzug des Selbst in die Privatsphäre und aus der Sättigung des Privaten mit Emotionen. In Verbindung mit der Produktivitätssprache der Unternehmen und der Kommodifizierung des Selbstseins im Bereich der psychischen Gesundheit war die Psychologie dafür verantwortlich, aus dem emotionalen Selbst einen öffentlichen Text und eine öffentliche Inszenierung zu machen, aufgeführt an verschiedenen sozialen Orten, etwa in intimen Beziehungen, im Unternehmen, in Selbsthilfegruppen, in Talkshows und im Internet. Die Transformation der Öffentlichkeit in eine Arena der Zurschaustellung von Privatheit, Emotion und Intimität, die kennzeichnend war für die öffentliche Sphäre der letzten zwanzig Jahre, kann nicht angemessen verstanden werden, ohne zu würdigen, dass die Psychologie dazu beitrug, private Erfahrungen in öffentliche Diskussionen zu konvertieren… Es ist dieses fortschreitende Ineinandergehen der Ressourcen des Marktes und der Sprache des Selbst im 20. Jahrhundert, das ich ‚emotionalen Kapitalismus’ genannt habe.“

Was jedoch Adorno als totale Entmündigung des Subjekts galt, aus der es kein Entkommen gibt, betrachtet Illouz als Chance. In den Widersprüchen des Domestizierungssystems sieht sie Chancen, dem „Unheil“ zu entkommen. Ihr zufolge liegt „das kulturelle Hauptproblem in der Internet- und Psychologieära darin, dass ihm (dem Subjekt) dieses Hin und Her zwischen Strategie und Emotion nicht länger behagt.“ Wie diese Chance zu nutzen wäre, deutet die Autorin nur an. Zwar spricht sehr viel mehr dafür, dass der von ihr beschriebene Prozess „hyperrationale Idioten“ aus uns allen gemacht hat und macht, doch „Wenn Ideologie das ist, was uns mit Vergnügen im Inneren von Widersprüchen leben lässt, dann bin ich nicht sicher, ob die Ideologie des Kapitalismus das noch leisten kann.“ Was für eine Abschaffung eben dieses Kapitalismus spräche, die freilich nicht einmal am fernsten Horizont sichtbar ist.

Grenzen der Analyse

Ohnehin – und darin liegt die Grenze der Illouz’schen Analyse, trifft sie nur auf die verdinglichte Warenwelt der entwickelten Welt zu, und darin auf die Mittelschichten, aus deren Existenz die Autorin ihr Demonstrationsmaterial bezieht. Je weiter diese an Macht, Geld und prägendem Einfluss verlieren, je näher uns auch Gesellschaften kommen, die nach ganz anderen politischen und psychologischen Standards organisiert sind, desto weniger wirksam werden die Steuerungsmechanismen, die die Realität allein auf ihren Nutzen für diesen Kapitalismus hin organisieren. Hier liegt die Beschränkung von Illouz so anregender Studie, deren sie sich selbst durchaus bewusst ist. Sie handelt von Konditionierungen und Kodierungen des Selbst in unserem Breiten. Doch die Welt ist größer, eben „nicht vollends aufgeklärt“ und das „Unheil“ hat mehr Gesichter als die, die uns schrecken.

Literaturangaben:
ILLOUZ, EVA: Gefühle in Zeiten des Kapitalismus, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006. 170 Seiten, 14,80 €.

Weblink zum Verlag:

Roland H. Wiegenstein arbeitet als freier Literatur- und Kunstkritiker für dieses Literaturmagazin. Er lebt in Berlin und Italien


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