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Mutter Courage

Emilie Schindler wurde lange vergessen

Von: HOLGER BÖTHLING - © Die Berliner Literaturkritik, 25.10.05

 

BERLIN (BLK) – Draußen nieselte es, doch im Jüdischen Museum verbreitete Erika Rosenberg auf Einladung der Friedrich Naumann Stiftung, der Stiftung Jüdisches Museum Berlin und der Literaturhandlung Berlin am Montag Abend eine wohlige Wärme. Einfühlsam berichtete die argentinische Journalistin über das Leben Emilie Schindlers, der Witwe von Oskar Schindler, die zeitlebens im Schatten ihres berühmten Mannes gestanden hatte. Als „Sprachrohr“ von Emilie wolle sie nicht ruhen, die Geschichte dieser außergewöhnlichen Frau in der Welt zu verbreiten, erklärte Rosenberg zu Beginn. Sie stellte klar, dass der Anteil der vor vier Jahren verstorbenen Emilie an der Rettung von 1200 Juden vor den Nazis nicht minder groß alsder ihres Gatten war.

Erika Rosenberg traf Emilie zuerst 1990 in San Vicente bei Buenos Aires, um ein Interview mit ihr zu führen. Das Unterfangen erwies sich zunächst als schwierig: „Fragen Sie bloß nichts über den Schindler“, hatte Emilie sie gleich beim ersten Treffen gebeten. Erst allmählich konnte die Journalistin das Vertrauen der alten, zurückgezogen lebenden Dame gewinnen. Sie besuchte Emilie nun wöchentlich und führte Gespräche mit ihr. Aus den über 70 Stunden Interviewmaterial ging eine Autobiografie hervor, die 1997 unter dem Titel „In Schindlers Schatten“ auf Deutsch erschien. Im Jahr 2001 legte Erika Rosenberg mit „Ich, Emilie Schindler“ eine überarbeitete Fassung von Emilies Lebenserinnerungen vor.

Eine vergessene Frau

Als sie Emilies Heim in San Vicente zum ersten Mal betrat, war Erika Rosenberg erschrocken über das „ganz armselige Haus“ mit den kahlen Wänden, in dem die alte Frau völlig vereinsamt leben musste. Trotz dieser unwürdigen Verhältnisse habe Emilie auf sie sofort die Aura einer unbesungenen Heldin ausgestrahlt, erklärte Erika Rosenberg in ihrem Vortrag. 1949 war Emilie mit ihrem Mann aus Deutschland nach Argentinien ausgewandert, wo sie auf einer Farm zunächst Hühner, später Pelztiere züchteten. Doch das Geschäft lief nicht, und so fuhr Oskar 1957 zurück nach Deutschland, um sich um sein Lastenausgleichsverfahren zu kümmern. Zu seiner Frau, die er mit einem Haufen Schulden in Argentinien zurückließ, kehrte er nie wieder zurück.

Während mit Thomas Keneallys Roman „Schindler’s Ark“ (1982) und Steven Spielbergs Film „Schindlers Liste“ (1993) aus Oskar Schindler posthum ein Held gemacht wurde, hatte man Emilie vollkommen vergessen. Als ihr Mann 1974 in Hildesheim verstarb, wurde sie nicht benachrichtigt. „Der Personenstand des Verstorbenen ist unbekannt“, stand auf der Sterbeurkunde. Emile erfuhr von dem Tod ihres Ehemannes erst durch einen Freund in Argentinien. Noch schlimmer kam es im Mai 1993, als Steven Spielberg für die Schlussaufnahmen seines Films Schindlerjuden nach Jerusalem an das Grab Oskars bat. Auch Emilie bekam einen Brief von Spielbergs Büro. Darin lud der Regisseur „sie und ihren Gatten“ (sic.) als von Oskar Schindler „Gerettete“ ein. Offenbar hatte Spielberg weder Ahnung davon, wer sie war, noch von ihren Verdiensten an der Seite ihres Mannes gehört.

Emilie wurde erst spät für ihren Einsatz geehrt. Aus Oskar Schindler sollte in den USA ein Held gemacht werden, „weil er ein Mann war“, glaubt Erika Rosenberg. Emilie dagegen war eine „vergessene Frau“. Während Oskar Schindler und Steven Spielberg das Bundesverdienstkreuz erster Klasse bekamen, wurde Emilie nur der Orden zweiter Klasse verliehen. Dabei wäre die Rettung der 1200 Juden ohne ihre Hilfe unmöglich gewesen. Unter Einsatz ihres Lebens besorgte Emilie Lebensmittel und Medikamente für Schindlers jüdische Arbeiter. In Brünnlitz baute sie ein kleines Lazarett auf, in dem sie Juden pflegte, die sie vorher mehr tot als lebendig in die Fabrik aufgenommen und so vor dem sicheren Erschießungstod bewahrt hatte. „Hinter jedem großen Mann steht eine große Frau“, sagte Rosenberg am Montag und erntete großen Applaus des Publikums.

Interview mit Erika Rosenberg

Im Anschuss an ihren Vortrag hatte dieses Literatur-Magazin Gelegenheit, ein Gespräch mit Erika Rosenberg zu führen. Hintergrund war die neue Schindler-Biografie von David M. Crowe, in der Oskar und Emilie Schindler sowie deren Biografin Rosenberg zum Teil massive Vorwürfe gemacht werden. Als sie den Namen Crowe hörte, verzog Frau Rosenberg das Gesicht. Die Anschuldigungen des amerikanischen Historikers haben ihr zugesetzt, sie sei davon sogar krank geworden. Während des Gesprächs bemühte sie sich dann sichtlich, ruhig Auskunft zu geben.

 

BLK: Frau Rosenberg, David Crowe schreibt in seinem Buch, dass Oskar Schindlers ursprüngliche Basis der Beziehungen zu seinen Juden das Geschäft gewesen sei. Nicht in erster Linie moralische, sondern wirtschaftliche und opportunistische Motive seien für die gute Behandlung und Rettung der Juden verantwortlich gewesen. Diese seien die billigsten Arbeitskräfte und als anständig behandelte Arbeiter produktiver als geknechtete gewesen.

Rosenberg: Entschuldigung, aber das stimmt überhaupt nicht. Oskar Schindler musste 7,50 Reichsmark zahlen, die nicht an die Juden gingen, sondern an die SS.

BLK: Aber in Relation zu den Arbeitslöhnen, die Schindler Polen oder Deutschen zahlen musste, war das doch ein geringer Betrag?

Rosenberg: Drehen wir die Sache doch einmal um: Wenn Oskar Schindler polnische oder andere Arbeiter angenommen hätte, hätte er die Juden gerettet oder retten können? Nein, natürlich nicht. Zurzeit gibt es eine Vorliebe dafür, Menschen schlecht zu machen, die sich nicht mehr wehren können, weil sie nicht mehr am Leben sind. Wenn wir schon über Opportunismus reden: Der größte Opportunist hier ist Crowe, weil er eine Revision über eine Geschichte machen will, wirklich ohne Pardon. Ich denke nicht wie eine Amerikanerin, sondern halb wie eine Europäerin, halb wie eine Argentinierin. Und ich denke, posthum ist Oskar Schindler ein unbesungener Held. Warum? Weil er im Endeffekt 1200 Menschen gerettet hat. Ich sage Menschen, nicht Juden, weil die Religion keine Rolle spielte. Sein Weg, wie er diese Menschen gerettet hat, interessiert nicht so sehr. Dass Oskar Schindler ein moralisch zwielichtiger Charakter war, dass er zwei uneheliche Kinder hatte, ist unwichtig. Und dass Emilie Schindler eine verbitterte Frau und gierig nach Geld war, ist hier auch nicht wichtig. Wenn Crowe nur diese Werte ans Licht bringen will, was bleibt dann von der ganzen Schindlergeschichte? Was bleibt von den deutschen unbesungenen Helden? Wenn Deutschland nicht mehr den Helden Oskar Schindler hat, was hat man dann? Nur noch lauter Nazis.

BLK: An der Erstellung der berühmten Liste habe Schindler laut Crowe gar keinen Anteil gehabt, da er zur Zeit der Abfertigung in Gestapo-Haft gesessen habe. Der wahre Autor sei Marcel Goldberg gewesen, ein berüchtigter und korrupter jüdischer KZ-Helfer.

Rosenberg: Es stimmt, als ich damals für meine Bücher recherchiert habe, bin ich darauf gestoßen, dass Marcel Goldberg Geld für die Erstellung der Liste einkassiert hat. Als der Krieg zu Ende war, ist er nach Argentinien ausgewandert, wo er mit seiner Frau und seiner Schwester in Belgrado lebte. Er war ein wohlhabender Mensch und hat Oskar Schindler einmal besucht. Doch Schindler hat sich geweigert, ihm die Hand zu geben. Ich habe die Kopie eines von Oskar Schindler selbst geschriebenen Briefes, der das bezeugt. Als Marcel Goldberg starb, an einem Herzinfarkt am Sabbat, wurde er zunächst auf dem jüdischen Friedhof beerdigt. Aber nach einem anonymen Anruf einige Monate später, der die Friedhofsbehörden über die Verbrechen Goldbergs in Polen und den Umständen der Erstellung der Liste aufklärte, wurde er an die Mauer des Friedhofs und damit an einen unehrenhaften Platz versetzt. Das kann ich belegen.

BLK: Kommen wir zu Emilie. War sie bei der Emaillefabrik in Krakau wirklich eher eine Randfigur und wurde erst in Brünnlitz für die Juden aktiv?

Rosenberg: Das stimmt überhaupt nicht. Ich habe 400 Kassetten mit Interviews, die ich Ihnen zur Verfügung stellen kann. Es gibt zwei Schindlerjuden, Francisco Wichter, der in Argentinien lebt und einen Franzosen, der bei Paris lebt. Die beiden habe ich interviewt, und sie konnten sich ganz gut an Emilie schon vor Brünnlitz erinnern.

BLK: Warum zeichnet David Crowe Ihrer Meinung nach dieses Bild von Oskar und Emilie Schindler?

Rosenberg: Also, ich weiß es wirklich nicht, warum er das tut. Ich glaube, damit verfolgt er die Absicht, eine Kontroverse zu entfachen. Ich denke, er ist einfach zu spät an diese Geschichte gekommen. Wenn er dasselbe wieder schreiben würde, dann hätte er nicht mehr viel zu berichten. Im Grunde genommen schreibt er dasselbe, was ich und Keneally geschrieben haben. Nur mit anderen Nuancen. Er präsentiert die Geschichte ein bisschen anders und denkt, seine Biografie sei ultimativ. Für mich existiert die Geschichte nur von Schindler als Retter. Mehr ist nicht wichtig.

BLK: Haben Sie mittlerweile mit David Crowe persönlich sprechen können?

Rosenberg: Nein. Und er hat mich auch nicht kontaktieren wollen. Er schreibt so schreckliche Sachen über meine Person. Das soll er belegen! Wissen Sie, er nennt mich die Erbin von Emilie Schindler. Doch in Wirklichkeit gibt es fünf Erben: die jüdische Loge B’nai B’rith, Traude Ferrari, die Nichte Schindlers, die zwei Betreuer von Emilie in Argentinien und mich. Warum nennt Crowe nur mich als Erbin?

 

Tatsächlich lautet das Testament von Emilie Schindler gleichberechtigt auf die fünf von Erika Rosenberg genannten Erben. Das Schriftstück legte die Journalistin diesem Literatur-Magazin vor. Um die Vorwürfe Crowes zu entkräften, Rosenberg sei es in ihrer Beziehung zu Emilie nur um Geld gegangen, nannte die Journalistin weitere Zeugen. Unter anderem nahm Dr. Hendrik Groth, stellvertretender WAZ-Chefredakteur und früherer dpa-Korrespondent in Argentinien, zugunsten von Frau Rosenberg Stellung. Dieses Dokument liegt diesem Magazin ebenfalls vor.

Die Schindlergeschichte scheint offenbar so unglaublich, dass sie bis heute viele Menschen – im Guten wie im Schlechten – anzieht. „Vater Courage“ wurde Oskar Schindler von seinen Juden genannt. Wer über das Schicksal und die Verdienste von Emilie, der Frau in seinem Schatten mehr erfahren wollte, hatte am Montag Abend im Jüdischen Museum eine vorzügliche Gelegenheit dazu.

Literaturangaben:
CROWE, DAVID M.: Oskar Schindler - Die Biographie. Übersetzt aus dem Englischen von Klaus Binder und Bernd Leineweber. Eichborn Berlin Verlag, Berlin 2005. 856 S., 34,90 €.
ROSENBERG, ERIKA (Hg.): Ich, Oskar Schindler. Die persönlichen Aufzeichnungen, Briefe und Dokumente. Herbig Verlag, München 2000. 448 S., 9,95 €.
ROSENBERG, ERIKA (Hg.): Ich, Emilie Schindler. Erinnerungen einer Unbeugsamen. Herbig Verlag, München 2001. 232 S., 9,95 €.
SCHINDLER, EMILIE: In Schindlers Schatten. Emilie Schindler erzählt ihre Geschichte, aufgeschrieben von Erika Rosenberg. Übersetzt aus dem Spanischen von Elisabeth Brilke. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 1997. 176 S., 8,90 €.

Holger Böthling arbeitet als freier Journalist und Buchkritiker in Berlin


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