Von Miriam Bandar
WIEN / PARIS (BLK) – Er war und ist ein Außenseiter. Die Werke des österreichischen Schriftstellers und Dramatikers Peter Handke erreichten nie ein Massenpublikum, sie wurden von Kritikern verrissen wie gelobt. Zurückgezogen lebt er in einer Pariser Vorstadt. Politisch steht er im Abseits, seitdem er öffentlich den jugoslawischen Ex-Diktator Slobodan Milosevic verteidigte. Dennoch ist Handke einer der bedeutendsten deutschsprachigen Autoren der Gegenwart. Am 6. Dezember (2007) feiert der einstige „junge Wilde“ der Literatur mit Schwermut in der Feder seinen 65. Geburtstag. „Als Kind wollte ich immer Melancholiker sein“, hat er vor einigen Monaten in einem Interview der „Weltwoche“ gesagt. „Ich wollte auf einem Stein sitzen und nie mehr aufstehen.“
Seine triste Kindheit und Jugend verbringt Handke in ärmlichen Verhältnissen in Griffen-Altmark in Kärnten. Die Mutter arbeitet als Stubenmädchen und Abwaschhilfe, der Mann an ihrer Seite trinkt und schlägt. Erst kurz vor seiner Matura (Abitur) erfährt Handke, dass der Gewalttäter nur sein Stiefvater ist. 1961 geht er zum Jurastudium nach Graz, das er abbricht, als der Suhrkamp Verlag 1965 sein Manuskript „Die Hornissen“ annimmt. Als sich die Mutter 1971 tötet, verarbeitet ihr Sohn dies in der Erzählung „Wunschloses Unglück“ literarisch.
In den 60er und 70er Jahren steigt Handke zum Rebellen der deutschen Literaturlandschaft auf. 1966 provoziert er in Frankfurt mit seinem Sprechstück „Publikumsbeschimpfung“, im selben Jahr erregt er die Kulturszene mit seiner Rede vor Mitgliedern der Gruppe 47, als der Neuling den etablierten Kollegen „Beschreibungsimpotenz“ vorwirft. Zu den großen Förderern Handkes gehören unter anderem der inzwischen gestorbene Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld und der Theatermacher Claus Peymann.
Anfangs lehnt sich der Österreicher in seinen Werken sprach- und gesellschaftskritisch gegen die herrschenden Systeme auf. Frühe Titel wie „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“, in dem es um den ehemaligen Torwart und entlassenen Monteur Josef Bloch geht, der zum Gelegenheitsmörder wird, gehören inzwischen zum klassischen Lesestoff eines Oberstufen-Deutschkurses.
In den 1980er Jahren verfällt Handke zunehmend einem poetisch-versöhnlichen Ton, den Kritiker teilweise als „priesterlichen Stil“ abtun. In seinem 2007 erschienenen Buch „Kali. Eine Vorwintergeschichte“ lässt er eine nur schemenhaft beschriebene Sängerin durch eine märchenhafte und gespenstische Welt gleiten, in der sie ein vermisstes Kind findet. Bald soll seine neue Erzählung „Samara“ erscheinen, die in einem Boot irgendwo auf dem Balkan spielt.
Mit seiner pro-serbischen Haltung im Balkan-Konflikt stellte sich Handke – der slowenische Wurzeln hat – in den vergangenen Jahren ins politische Abseits. Er verurteilte die Nato-Aktionen gegen Serbien als Verbrechen, beschrieb nach einer Reise in die Krisenregion lieber die „andersgelben Nudelnester“ oder den „walddunklen Honig“ als die Gräueltaten des Krieges und sprach im März 2006 bei der Beerdigung von Milosevic. „Er hat sich verrannt“, urteilte Günter Grass in einem „Zeit“-Interview. Handke habe schon immer die Neigung gehabt, mit den unsinnigsten Argumenten eine Gegenposition einzunehmen.
Im Sommer 2006 löste die geplante Vergabe des Heine-Preises der Stadt Düsseldorf an Handke wegen seiner Haltung Proteste und einen politischen Eklat aus. Eine bundesweite Debatte über Zensur folgte. Handke verzichtete daraufhin auf die Ehrung und versicherte, nie mehr Auszeichnungen anzunehmen. Bei dem als Reaktion auf die Debatte gestifteten Berliner Heinrich-Heine-Preise greift er dennoch zu und spendet die 50.000 Euro Dotierung einer serbischen Enklave.
Privat lebt der Schriftsteller zurückgezogen in Chaville bei Paris. Aus zwei Ehen mit Schauspielerinnen ist er Vater zweier Töchter, vor einigen Jahren scheiterte die Beziehung mit der deutschen Aktrice Katja Flint. Im vergangenen Sommer gab sich das einstige Enfant terrible der Literatur trieblos und altersmüde. Über seinen bevorstehenden 65. Geburtstag meinte Handke: „Ja man fühlt sich… Wie heißt das? Befristet. Das Alter macht doch zunehmend Bedenken. Ich weiß nicht, ob das so heiter wird, wie ich es mir vorgestellt habe.“
Die Österreichische Nationalbibliothek hat jetzt einen großen Teil von Handkes Vorlass – oder wie Robert Musil es genannt hätte Nachlasses zu Lebzeiten – erworben. Dazu zählen handschriftliche Werkmanuskripte, Notizen und Materialsammlungen. Die großen Romane „Mein Jahr in der Niemandsbucht“ und „Der Bildverlust oder durch die Sierra de Gredos“ sind in dem Bestand ebenso enthalten wie kürzere Prosaarbeiten. Auch die Theaterstücke „Die Fahrt im Einbaum“, „Zurüstungen für die Unsterblichkeit“, „Untertagblues“ und „Spuren der Verirrten“ finden sich neben Übersetzungen und essayistischen Arbeiten.
Literaturangaben:
HANDKE, PETER: Kali. Eine Vorwintergeschichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 160 S., 16,80 €.
---: Gestern unterwegs. Aufzeichnungen November 1987 bis Juli 1990. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 552 S., 15 €.
---: Leben ohne Poesie. Gedichte. Herausgegeben von Ulla Berkéwicz. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 240 S., 14 €. (erscheint am 8. Dezember 2007)
---: Mein Jahr in der Niemandsbucht. Ein Märchen aus den neuen Zeiten. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 628 S., 15 €.
---: Noch einmal für Thukydides. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 80 S.,11,80 €.
---: Don Juan (erzählt von ihm selbst). Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006. 158 S., 6,50 €.
---: Spuren der Verirrten. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006. 87 S., 14,80 €.
---: Der Bildverlust oder Durch die Sierra de Gredos. Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 758 S., 14,50 €.
---: Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt. Sonderausgabe (40 Jahre edition suhrkamp). Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 152 S., 6 €.
---: Der Untertagblues. Ein Stationendrama. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 77 S., 14,90 €.
---: Die linkshändige Frau. Erzählung. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002. 130 S., 7 €.
---: Die Angst des Tormanns beim Elfmeter. Erzählung. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main. 6 €. (=Suhrkamp Taschenbücher Nr. 27)
---: Der kurze Brief zum langen Abschied. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2001. 204 S., 7,50 €.
---: Die drei Versuche. Versuch über die Müdigkeit. Versuch über die Jukebox. Versuch über den geglückten Tag. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2001. 194 S., 10 €.
---: Wunschloses Unglück. Erzählung. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2001. 89 S., 6,50 €.
---: In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus. Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1999. 315 S., 10 €. (=Suhrkamp Taschenbücher Nr. 2946)
---: Unter Tränen fragend. Nachträgliche Aufzeichnungen von zwei Jugoslawien-Durchquerungen im Krieg, März und April 1999. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000. 157 S., 18,80 €.
---: Die Hornissen. Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1977. 276 S., 7,50 €. (Nachdruck/-produktion noch nicht erschienen)
---: Publikumsbeschimpfung und andere Sprechstücke. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1966. 95 S., 7 €.
HÖLLER, HANS: Peter Handke. Rowohlt Taschenbuch, Reinbek 2007. 160 S., 8,95 €.
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