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Bundesweit einmaliges Online-Übersetzungsprojekt

Der Lyriker Norbert Hummelt übersetzt T.S. Eliots Gedicht „The Waste Land“ im „virtuellen Literaturhaus Bremen“

© Die Berliner Literaturkritik, 08.11.07

 

BREMEN (BLK) – Seit dem 7. September 2007 läuft ein bundesweit einmaliges Online-Übersetzungsprojekt mit dem Berliner Lyriker Norbert Hummelt. Initiiert vom Literaturhaus Bremen erarbeitet der 45-Jährige bis Anfang Dezember eine neue Übersetzung von Thomas Stearns Eliots Gedicht „The Waste Land“ (1922). Die Übersetzung ist Stück für Stück online „im virtuellen Literaturhaus Bremen“ einzusehen.

Hummelt ist in diesem Jahr ein Preisträger der „Bremer Netzresidenz“, die das virtuelle Literaturhaus Bremen zum ersten Mal und in Zusammenarbeit mit der Bernd und Eva Hockemeyer Stiftung für herausragende literarische Online-Projekte vergibt.

Jeden Freitag stellt Norbert Hummelt abgeschlossene und überarbeitete Passagen seiner Übersetzung online und bietet damit ein Forum für Diskussionen und Textarbeit. Jeder kann an dem virtuellen Austausch teilnehmen. Kommentare sind ebenso erwünscht wie Verbesserungen, eigene Varianten, Fortschreibungen und Links. Ziel ist es, den Prozess der Übersetzung transparent zu machen und ihn durch den Austausch zwischen dem Übersetzer und seinen Lesern zu bereichern. Inzwischen hat sich eine angeregte Diskussion daraus entwickelt.

Norbert Hummelt stellt sich im Forum der Diskussion, beantwortet Beiträge und kommentiert die Übersetzungen der teilnehmenden Community. Allerdings sei die Resonanz nicht so rege, bedauert er. Bislang stammten die Beiträge fast ausschließlich von jungen Autoren, die er aus seiner Zeit als Dozent am Leipziger Literaturinstitut kennt – zum Beispiel Sandra Trojan oder Lars Reyer. „Die professionellen Übersetzer halten sich bislang ebenso zurück wie die Anglisten, was ich schade finde.“

Möglicherweise wird neben Hummelts „The Waste-Land“-Übersetzung eine weitere entstehen, die sich aus den Vorschlägen der Diskussionsteilnehmer zusammensetzt. Auch vollständige Versionen sind eine Option. Zuvor trifft er sich ebenfalls im Rahmen des Projektes am 8. November in Bremen mit Übersetzern, um auf einem gemeinsamen Workshop an der Übersetzung zu arbeiten.

In Deutschland hat es ein solches Projekt noch nicht gegeben. Bisher hat nach Auskunft von Heike Müller vom Literaturhaus Bremen noch kein Übersetzer hierzulande seine Arbeit online präsentiert und zur Diskussion gestellt. Für Norbert Hummelt besteht der Reiz besonders im vorgegebenen Zeitdruck, „dass also der Text Woche für Woche wie ein Fortsetzungsroman entsteht und nach drei Monaten vorläufig fertig ist“.

Das 433 Zeilen lange Gedicht „The Waste Land“ (Das wüste Land) hat der anglo-amerikanische Literatur-Nobelpreisträger des Jahres 1948, T.S. Eliot (1888-1965), seinem Kollegen Ezra Pound gewidmet. Der hat ihm auch bei der Überarbeitung des Textes geholfen, der sich um die Entfremdung des Menschen in der Moderne dreht. Eliot hat darin eine Vielzahl poetischer und religiöser Quellen eingearbeitet: Unter anderem finden sich konkrete Bezüge zur Bibel, Werken William Shakespeares und der Musik Richard Wagners. In der Wirkungsgeschichte zählt „The Waste Land“ zu den bedeutendsten und einflussreichsten Werken des 20. Jahrhunderts.

Für Hummelt ist der Stoff nicht neu: Bereits im Wintersemester 2003/04 gab er als Lehrender am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig ein Übersetzungs-Seminar zu „The Waste Land“. Einige der damaligen Studierenden beteiligen sich jetzt auch an der aktuellen Online-Diskussion. Was Hummelt an diesem Gedicht besonders reizt? „Eliots ,The Waste Land' ist aus meiner Sicht das bedeutendste Gedicht des 20. Jahrhunderts, oder sagen wir es so: unter den Gedichten des 20. Jahrhunderts, die zu mir sprechen.“

Er ist von dem Text fasziniert, der ihn nicht loslässt. Eine der wunderbarsten Stellen der ihm bekannten Lyrik sei die frustrierende Liebesszene in „The Fire Sermon“ (Die Brandparole), dem dritten von fünf Teilen des Gedichts. Dem Anspruch an die eigene Textarbeit setzt er an dieser Stelle Grenzen: „Das ist in keiner Übersetzung zu erreichen, soviel steht fest.“ Nichtsdestotrotz ist er hoch motiviert und schätzt die Übersetzung als die intensivste Form der Lektüre.

Ein weiterer Grund, sich gerade diesem Gedicht zu widmen, ist Hummelts Ärger über die Übersetzung von Eva Hesse, die 1964 im Suhrkamp Verlag erschien. „Zum Haareraufen“ findet er ihre „Mischung aus Verquastheit und Besserwisserei. Die ältere [Übersetzung] von Ernst Robert Curtius ist wesentlich besser, bietet die bei weitem verlässlichere Orientierung. Aber sie ist eben alt, und Übersetzungen altern schneller als die Originale.“

Der Berliner Lyriker selbst hat sich als Autor und Herausgeber (unter anderem die Lyrik-Edition 200o und das Jahrbuch der Lyrik 2006) bundesweit längst einen Namen im Literaturbetrieb gemacht. Zuletzt erschien im Frühjahr 2007 im Luchterhand Literaturverlag sein Gedichtband „Totentanz“. Auch als Lyrik-Übersetzer ist er kein Unbekannter. So publizierte Luchterhand 2005 seine Neu-Übersetzung „William Butler Yeats: Die Gedichte“. Auch mit T.S. Eliot hat er auf diesem Wege bereits Bekanntschaft geschlossen: Hummelts Übersetzung der „Four Quartets“ ist 2006 im Schreibheft 66 erschienen. Eine Arbeit, die sich über einen Zeitraum von zehn Jahren erstreckte. Darüber hinaus hat er zahlreiche Essays und Radio-Features zur Geschichte der Dichtung verfasst und ist Redakteur der Zeitschrift TEXT + KRITIK.

Für seine Gedichte wurde Norbert Hummelt vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Rolf-Dieter-Brinkmann-Preis der Stadt Köln, dem Mondseer Lyrikpreis und dem New York-Stipendium des Deutschen Literaturfonds. Die mit 2000 Euro dotierte Bremer Netzresidenz 2007 ist die aktuellste Auszeichnung, die ihm zuteil wurde. Prämiert werden Schriftsteller, deren literarischen Projekte die technischen Möglichkeiten des Internets kreativ und innovativ ausloten. „Die Netzprojekte sollen literarische Prozesse für ein Publikum transparent machen und für eine Teilnahme öffnen“, erklärt das Literaturhaus Bremen. Ein Merkmal, dass das Wesen des Übersetzungsprojektes von „The Waste Land“ konstituiert.

„Das Gedicht gilt als einer der Schlüsseltexte des 20. Jahrhunderts“, wie es in der Begründung der Jury heißt. „Von heute aus betrachtet, wirken der vielstimmige Kanon und die Weite des Wissenshorizontes fast wie eine poetische Vorwegnahme des Internet-Zeitalters. Nimmt man hinzu, dass „The Waste Land“ mit einem umfangreichen Anmerkungsteil erschien, so wird deutlich, dass Eliot bereits 1922 die Vernetzung eines literarischen Textes mit dem gesamten Wissensfundus der Kulturen ins Auge fasste.“ In dem Projekt sieht die Jury eine Arbeit, „die eine angemessene Aktualisierung jener poetischen Verfahren bieten könnte, mit denen Eliot die moderne Dichtung revolutionierte“.

Hummelt teilt sich den diesjährigen Preis mit dem Autor Benjamin Lauterbach. Der hat das Schreibprojekt „Weltwohnen“ ins Leben gerufen, das sich der Möglichkeiten globaler Vernetzung bedient. Sprache und Orte sollen via Internet sinnlich erfahrbar gemacht werden. Das Projekt ist ebenfalls offen für alle Interessierten.

Literaturangaben:
ELIOT, T.S.: Das wüste Land. Englisch und deutsch. Aus dem Englischen von Ernst Robert Curtius. Mit einem Vorwort von Hans Egon Holthusen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1975. 112 S., 10,80 €.

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