Berlin (BLK) – Der „NZZ“ zufolge begrüßten die meisten Rezensenten überraschenderweise Ingo Schulzes Roman „Neue Leben“, für den er sich sieben Jahre Zeit genommen habe, mit Zustimmung, sogar mit Euphorie.
Im Mittelpunkt dieses „Wenderomans“ stehe Enrico Türmer, im Jahr des Mauerbaus in der DDR geboren und von der „NZZ“ als „Wendegewinnler“ bezeichnet. Türmer sympathisiere mit der Bürgerbewegung, gebe seine Arbeit am Theater auf, um sich an einem Wochenblatt zu beteiligen und später ein Anzeigenblättchen zu gründen, woraus sich ein ganzes Imperium ergebe. All das mache er weniger aus idealistischen, sondern einzig und allein aus kapitalistischen Motiven. Schulze erzähle Türmers Lebensgeschichte bis zum Juli 1990 – dem Zeitpunkt der Währungsunion – in Briefen adressiert an die Schwester Vera, an den Jugendfreund Johann und an die spätere Geliebte Nicoletta. Warum dies in Briefen geschehen muss, bleibt für die „NZZ“ ein Rätsel. Der „Herausgeber“ dieser Briefe, Ingo Schulze, begnüge sich nicht etwa damit, die Dokumente zu sortieren, sondern er versehe sie mit kritischen oder erklärenden Fußnoten. Damit versuche Ingo Schulze seinen Helden, den er selbst geschaffen hat, bloßzustellen und sich an dessen Unbeholfenheiten zu weiden. Doch schon bald gehe dieser „neunmalkluge Editor“ dem Leser auf die Nerven und untergrabe fundamental den Respekt gegenüber der Hauptfigur, die dieser unbedingt bedürfe.
Insgesamt bezeichnet die „NZZ“ Schulzes Roman als gescheitert. Obwohl sich die Handlung in einer aufregenden Zeit abspiele, entpuppe sich die formale Idee als „wenig plausibles“ Konstrukt, sogar als „Alibi für ausbleibende formale Anstrengung des Autors“. (lea/lcr)
Mehr: Die Wende in Briefen (Kurzmeldung)
Literaturangaben:
SCHULZE, INGO: Neue Leben. Die Jugend Enrico Türmers in Briefen und Prosa. Berlin-Verlag, Berlin 2005. 790 S., 22,- €.