Von Ingo Senft-Werner
STUTTGART (BLK) – Sein Name zählt zu den wohlklingendsten der deutschen Militärhistorie: Manfred von Richthofen, genannt der Rote Baron. Etliche Geschichten ranken sich um das kurze Leben des erfolgreichsten Jagdfliegers im Ersten Weltkrieg. Sie erzählen von Ritterlichkeit und Edelmut und stehen damit im krassen Widerspruch zu den brutalen Gemetzeln des Krieges wie vor Verdun. Deshalb stellt sich immer wieder die Frage nach Dichtung und Wahrheit. 89 Jahre nach dem Tod des Fliegers hat der Historiker Joachim Castan jetzt Fakten und Fiktionen in seinem Buch „Der Rote Baron“ zusammengestellt. Im Untertitel verspricht er: „Die ganze Geschichte des Manfred von Richthofen.“
Castan beginnt mit dem gängigen Klischee: Richthofen in seiner Fokker auf der Jagd nach feindlichen Fliegern. Er stellt einen Engländer und nimmt ihn unter Beschuss. Als er sieht, dass dieser sich wegen einer Ladehemmung seines Maschinengewehrs nicht wehren kann, zwingt er ihn zur Landung und begrüßt den feindlichen Piloten mit Handschlag. Diese Szene ist unzählige Male erzählt und etliche Male verfilmt worden, davon mehrfach in Hollywood – und sie hat sich nach Recherchen des Historikers auch so abgespielt.
Doch Castan legt Wert drauf, dass sich Richthofen keinesfalls immer so verhielt. Seine 80 registrierten Abschüsse überlebten zwar etliche Gegner, aber dies war meist dem Glück geschuldet. Vor allem im letzten Kriegsjahr war der Rote Baron bekannt dafür, die Flugzeuge in Brand zu schießen, was für die Piloten einen grausamen Tod bedeutete. Mindestens zwei Mal, so die Recherchen des Historikers, hat von Richthofen auch kaltblütig marschierende Soldaten aus der Luft angegriffen. „Die Extrembelastungen des Luftkrieges“, so Castan, hatten aus ihm „eine grausame Kampfmaschine am Steuerknüppel“ gemacht.
Richthofens Erfolg führt Castan auf dessen Persönlichkeit zurück. Er bezeichnet ihn als „jung, elitär, ehrgeizig“. Bereits in seiner Jugend zählt für ihn vor allem die Jagd. Andere Leidenschaften sind ihm fremd. Frauen spielen in seinem Leben keine Rolle – trotz der großen Zahl der Bewunderinnen. Der Baron war sich selbst genug, „ein Mann ohne zwischenmenschliche Eigenschaften“.
Bei der Jagd jedoch hatte er die richtigen Instinkte, inklusive der Begabung, sich gut in Szene zu setzen. Mit dem Verzicht auf die Tarnfarbe und dem roten Anstrich seines Fliegers setzte er ein deutliches Signal für Freund und Feind. Für jeden Abschuss belohnte er sich selbst mit einem silbernen Becher und arbeitete gezielt darauf hin, die höchsten Orden zu erhalten. Nur bei seinem letzten Flug missachtete er die Jagdregeln und wurde wenige Monate vor Kriegsende im Alter von 25 Jahren selbst zum Opfer. Die genauen Umstände seines Todes sind – passend zum Mythos – bis heute nicht geklärt.
Castan schält in seinem detaillierten Werk, das zudem etliche, teilweise erstmals veröffentlichte Fotos zeigt, das Leben Richthofens aus dem wuchernden Heldenepos und der NS-Propaganda heraus. Dabei ist seine Bewunderung für die Leistungen des Fliegers spürbar, aber er verweist auch immer wieder auf die Brutalität des Krieges. Der Werdegang Richthofens erscheint im Licht von Castans Erläuterungen plausibel. Einzig am Ende des Buches schießt der Historiker mit einem psychologischen Exkurs zu Richthofens „Streben nach Anerkennung seiner Mutter“ ein wenig über das Ziel hinaus.
Literaturangaben:
CASTAN, JOACHIM: Der Rote Baron. Die ganze Geschichte des Manfred von Richthofen. Klett-Cotta, Stuttgart 2007. 359 S., 24.50 €.
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