Von Thomas Borchert
700.000 Fotos und Textseiten zu Ingmar Bergman habe er für dieses Buch durchgeackert, sagt der Fotograf Bengt Wanselius. Die gigantische Materialfülle zu Leben und Arbeit des Film- und Theaterregisseurs findet er leicht erklärlich: „Ingmar hat eben auch sein ganzes Leben komplett inszeniert.“ Wanselius war bis zum Tode des „besten Filmregisseurs aller Zeiten“ (dazu gekürt von Kollegen 1997 in Cannes) Bergmans persönlicher Fotograf. Zusammen mit dem Filmhistoriker Paul Duncan hat er jetzt einen Prachtband von sechs Kilo Eigengewicht über die Filmarbeit des Schweden zwischen „Die Hörige“ 1941 und dem letzten Kinofilm „Sarabande“ (2003) zusammengestellt.
Für Bergman-Freunde und Film-Freaks eine unerschöpfliche, allerdings auch nicht ganz billige Fundgrube mit Anspruch auf Vollständigkeit. 1.100 Bilder aus allen Filmen, dazu jede Menge bisher unbekannter Fotos vom Meister selbst bei den Dreharbeiten. Und erhellende Texte zu jedem seiner mehr als 40 Kino- und TV-Filme mit Interviews, Bergman-Texten oder Äußerungen anderer Beteiligter. Sie sind im 600-Seiten-Wälzer selbst auf Englisch abgedruckt, die deutsche Übersetzung ist in einem handlichen Textbuch beigefügt. Hinzu kommt eine DVD mit Filmen über die Filmarbeit des mehrfachen Oscar-Preisträgers und über sein berühmt gewordenes Domizil auf der kleinen Ostsee-Insel Fårö.
Hier kann man dem Meister sogar über die Schulter sehen, wie er in seinem berühmt gewordenen „Privatkino“ in der früheren Dorfschule selbst Filme anschaut. Die wirkliche Perle des „Bergman-Archives“ zwischen zwei Buchdeckeln sind passenderweise nicht bewegte Bilder, sondern Worte. Der Schauspieler Erland Josephsen über fünf Jahrzehnte Weggefährte des Regisseurs und schwer an Parkinson erkrankt, hat ein fantastisch lebendiges Vorwort über den Freund geliefert.
„Jetzt wollen wir, verflucht noch mal, in innigster Gemeinschaft die Einsamkeit des Menschen gestalten! Die Probe beginnt!“ lässt er Bergman seine Schauspieler anschnauzen und bei Bedarf auch schon mal mit einer gezielten Aggression zum Heulen bringen: „Das macht munter.“ Josephson benennt mit klarer und doch warmer Ironie Bergmans unersättlichen Hunger auf eigenen Erfolg. Der lässt ihn in schöner Harmonie mit einem klaren Blick auf menschliche Triebkräfte rastlos von Film zu Film eilen und auch mit 85 Jahren noch am Theater inszenieren: „Leben heißt Schmutz und Erniedrigung. Das bringt ihn in Stimmung.“
Bergman als faszinierende Schweden-Mischung aus Mephisto, fürsorglichem Onkel und begeistert herumspielendem Kind, dabei äußerst vital auch im Umgang mit seinen vielen schönen Schauspielerinnen, findet sich auf vielen Fotos in diesem Buch wieder. Den alternden Bergman habe er vor allem freundlich erlebt, berichtete Wanselius bei der Vorstellung seines Buches in Berlin. Die Lust an der Regie auch im eigenen Leben hat Bergman aber bis zu seinem Tod nicht verlassen. Und, soweit möglich, darüber hinaus: Für das eigene Begräbnis auf dem Inselfriedhof von Fårö hinterließ er genauso detaillierte Anweisungen wie für alle seine Filme.
Literaturangaben:
DUNCAN, PAUL/WANSELIUS, BENGT (Hrsg.): Das Ingmar Bergman Archiv. Taschen Verlag, Köln 2008. 592 S., 150 €.
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