Werbung

Werbung

Werbung

Revolution mit Rolex

Sachbuch-Presseschau vom 22. März 2004

© Die Berliner Literaturkritik, 22.03.04

 

BERLIN (BLK) – Die Sachbuch-Presseschau bietet heute sehr viel Quantität, ohne dass jedoch die Qualität zu kurz kommt. In der "SZ" wirft Ulrich Beck einen "kosmopolitischen Blick" auf das politische Projekt Europa; Cathrin Schütz kümmert sich um das Vorgehen der NATO gegen das damalige Jugoslawien im Kosovo-Konflikt. Außerdem gibt es ein Buch zur Kunstgeschichte an den Universitäten während des Nationalsozialismus. In der "FAZ" stechen zwei Fotobände hervor: Der eine blickt auf die Architekturgeschichte des Backsteines, der andere auf die Revolutionsführer Fidel Castro und Che Guevara. Bei den Wirtschaftssachbüchern sind zwei Neuerscheinungen zu verzeichnen. Jochen Röpke beschreibt das, was einen Unternehmer ausmacht, Thomas Schuler schaut auf den Aufstieg der Familie Mohn zu einem der mächtigsten deutschen Unternehmen ("Bertelsmann"). Der Briefwechsel der beiden Altertumshistoriker Theodor Mommsen ("Römische Geschichte") und Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff am Ende des 19. Jahrhunderts rundet gemeinsam mit einem Buch, das die Geschwisterproblematik beleuchtet, die heutige Presseschau ab.

"Süddeutsche Zeitung"

In seinem neuesten Buch "Der kosmopolitische Blick oder: Krieg ist Frieden" versuche sich Ulrich Beck in der Wiederherstellung einer alten Version, so der Kritiker der "SZ". Diese bilde die Kosmopolitisierung der EU ab. "Da die europäischen Werte säkular sind, sind sie auch an keine Religion gebunden", sei eines seiner anschaulichen Beispiele. So käme auch niemand auf die Idee, das katholische Bayern als undemokratisch einzustufen. Die europäische Idee harre einer Verwirklichung, solange das politische Projekt Europa "von einem christlichen Abendland zu einem religiösen Projekt umgewertet werde", pflichtet die "SZ" dem Gedanken bei.

Gerade in Deutschland herrsche ein bemerkenswerter Mangel an Diskussionsbereitschaft in Fragen über Krieg und Frieden, so der Rezensent der "SZ". Diesem Defizit versuche nun die Frankfurter Politologin Cathrin Schütz etwas entgegenzusetzen. So sei es ihr wichtig gewesen, mit ihrem Buch "Die Nato-Intervention in Jugoslawien. Hintergründe, Nebenwirkungen und Folgen" die Deutschen darauf hinzuweisen, dass ihre Beteiligung an den Luftangriffen in Jugoslawien nicht nur der erste Kriegseinsatz nach 1945 war. Sie sehe in diesen Geschehnissen rund um den Kosovo auch ein Exerzierfeld für Aktionen, die später im Nahen Osten zum Einsatz kommen sollten; ein Gedanke, der einem bange mache, schließt die "SZ" ab.

Die Kunstgeschichte wurde 1933 in Berlin, 1938 in Wien empfindlich in ihrem Nerv getroffen. Dennoch gab es auch in dieser Disziplin eine irritierende Kumpanei mit der neuen Weltanschauung. "Der Blick auf die Verstrickung der Humaniora in die Ideologie und Praxis des Nationalsozialismus" werde durch den von Jutta Held und Martin Papenbrock edierten Band "Kunstgeschichte an den Universitäten im Nationalsozialismus" durch Fallstudien in Lehre und Forschung belegt, so die "SZ". So mancher der führenden Vertreter der so genannten klassischen Bildung betrachtete diesen Prozess eher als Genesung denn als intellektuelle Entmachtung. Er wurde als Rückruf in die deutsche Wesentlichkeit begriffen.

"Frankfurter Allgemeine Zeitung"

Was eigentlich mache den Unternehmer aus? Dieser Frage widme sich der Marburger Ökonom Jochen Röpke in "Der lernende Unternehmer" und lege umfassend dar, welche Eigenschaften mit echtem Unternehmertum einherzugehen haben, klärt uns der Rezensent der "FAZ" auf. Seinem Buch liege die Idee zugrunde, dass Wettbewerb "Entdeckungsfahrten seien", die "in einem Prozess individueller Interaktion allmählich gefunden werden". Der Lehrbarkeit von Existenzgründung durch die Universitäten stehe er hingegen skeptisch gegenüber. Zu sehr sei die heutige Universität "von den Zuweisungen des Politiksystems abhängig", weiß die "FAZ" zu schätzen.

Der Journalist Thomas Schuler wird mit seiner Neuerscheinung "Die Mohns. Die Familie hinter Bertelsmann" in der "FAZ" als der erste unabhängige Autor beschrieben, der den Aufstieg der Mohns zu einer der mächtigsten deutschen Unternehmerfamilien in breiter und umfassender Form darstelle. Der Name Bertelsmann stehe denn auch für eine ganz besondere Form eines Familienunternehmens. So war das vom Konzern-Patriarchen immer wieder geäußerte Credo, dass ein Unternehmen über mehrere Generationen nur dann erfolgreich zu führen sei, wenn die Führungsleute "den Freiraum bekommen, selbst unternehmerisch zu handeln", so die "FAZ".

Die "FAZ" stellt den Briefwechsel der beiden Altertumshistoriker Theodor Mommsen (1817-1903) und Ulrich von Wilamowitz-Moellendorf (1848-1931) vor. Der eine war Spezialist für die Geschichte Roms, der andere für das antike Griechenland. Schon seit 1973 veröffentliche mit William M. Calder einer der weltweit besten Kenner der Classical Scholarship der letzten zwei Jahrhunderte einen Wilamowitz-Briefwechsel nach dem anderen. Zwar fehle dem Briefwechsel die "Würze einer Gelehrtenkorrespondenz" – politische und wissenschaftliche Bekenntnisse, methodologische und allgemeine Lebensweisheiten –, doch die Briefe illustrieren "den Höhepunkt der deutschen Altertumswissenschaft und ihre selbstverschuldete Aporie". Der "atemberaubend genaue Kommentar" lasse beides den Leser in aller Klarheit miterleben.

Der britische Architekt und Historiker James W.O. Campbell habe der reichverzweigten (Architektur-)Geschichte des Backsteines einen dicken Prachtband gewidmet, der maßgebliche Bauwerke bis in die Gegenwart versammele und nebenher die Industriegeschichte der Backsteinherstellung nachzeichne, so die "FAZ". Die Fotos von William Price machten das "Buch zu einem Augenschmaus für Gourmet und Gourmand" und entschädigten für gelegentliche Wiederholungen und skizzenhafte Passagen im informativen Text.

Mehr: Bollwerke aus Backstein

Marcel Rufo, Professor für Kinderpsychologie in Marseille, schreibe in seinem Buch "Geschwisterliebe – Geschwisterhaß", dass die Kindheit jede Geschwisterbeziehung entscheidend präge, so die "FAZ". Für Rufo ist jedes Geschwisterchen zunächst ein Rivale, sein Werk gleiche daher eher einem "psychoanalytisch geprägten Elternratgeber". Rufos Geschwisterchronik kranke ein wenig am typischen Dilemma des psychoanalytischen Blicks, der die späten Jahre des schwesterlichen und brüderlichen Zusammenlebens vernachlässige und den Eltern eine unmäßige Verantwortung aufbürde. Dennoch böten seine Fallbeispiele und Ratschläge hilfreiche Anregungen zur Erziehung.

Alberto Korda, eigentlich Alberto Díaz, hatte Anfang der fünfziger Jahre Erfolg mit Mode- und Werbeaufnahmen. Im Strudel der Revolution auf Kuba geriet er in den Tross von Fidel Castro und Che Guevara. So verwundert es nicht, dass immer wieder Castro und Guevara zum Zielobjekt seiner Linse werden, "die jungen Männer, denen Zukunftssucht und Selbstvertrauen, Mut und Geist auf Gesicht und Körper geschrieben stehen", so die "FAZ". Die Fotos in "Korda sieht Kuba" hätten diesen spezifischen Zauber der Bewegung, des Vitalismus, der nicht kaltlasse. Die Textpassagen Christophe Lovinys seien selbstsicher und klar, darüber hinaus enthalte das "sorgfältig aufgemachte Buch bisher unveröffentlichte Bilder". (wip/dag)

Literaturangaben:
BECK, ULRICH: Der kosmopolitische Blick oder: Krieg ist Frieden. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004. 272 S., 14,80 €.
CALDER III, WILLIAM M. / KIRSTEIN, ROBERT (Hrsg.): Aus dem Freund ein Sohn. Theodor Mommsen und Ulrich von Wilamowitz-Moellendorf. Briefwechsel 1872-1903. 2 Bände. Weidmann Verlag, Hildesheim 2003. 763 S., 3 Abb., 118 €.
CAMPBELL, JAMES / PRYCE, WILLIAM: Backstein. Eine Architekturgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Aus dem Englischen von Rita Seuß. Knesebeck Verlag, München 2003. 320 S., 600 Farb-Abb., 58 €.
HELD, JUTTA / PAPENBROCK, MARTIN (Hrsg.): Kunstgeschichte an den Universitäten im Nationalsozialismus. Jahrbuch der Guernica-Gesellschaft 5/2003. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2003. 248 S., 22,50 €.
LOVINY, CHRISTOPHE (Hrsg.): Korda sieht Kuba. Texte von Christophe Loviny und Allesandra Silvestri-Lévy. Verlag Antje Kunstmann, München 2003. 156 S., zahlreiche Fotografien, 24,90 €.
RÖPKE, JOCHEN: Der lernende Unternehmer. Zur Evolution und Konstruktion unternehmerischer Kompetenz. Marburger Förderzentrum für Existenzgründer aus der Universität, Marburg 2003. 333 S., 39,90 €.
RUFO, MARCEL: Geschwisterliebe – Geschwisterhaß. Die prägendste Beziehung unserer Kindheit. Aus dem Französischen von Elsbeth Ranke, Piper Verlag, München 2004. 249 S., 18,90 €.
SCHULER, THOMAS: Die Mohns. Die Familie hinter Bertelsmann. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2004. 24,90 €.
SCHÜTZ, CATHRIN: Die Nato-Intervention in Jugoslawien. Hintergründe, Nebenwirkungen und Folgen. Braumüller, Wien 2003. 165 S., 32,90 €.

Zur Belletristik-Presseschau:

Zu den Presseschauen vom Freitag:


Bookmark and Share

BLK mit Google durchsuchen: