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„Einarmiger Pianist“: Oliver Sacks’ Geschichten über Musik und Gehirn

Mit seinem Buch „Zeit des Erwachens“ ist Sacks weltberühmt geworden

© Die Berliner Literaturkritik, 04.06.08

 

Von Nada Weigelt

Mit seinem Buch „Zeit des Erwachens“ ist der amerikanische Neurologe und Schriftsteller Oliver Sacks weltberühmt geworden. Die anrührenden Fallgeschichten über Menschen, die seit Jahrzehnten durch die Schlafkrankheit wie eingefroren sind und durch ein neues Medikament vorübergehend zum Leben erwachen, haben unzählige Leser bewegt. Den gleichnamigen preisgekrönten Film von 1990 mit Robert De Niro und Robin Williams sahen allein in Deutschland mehr als 800.000 Zuschauer.

In seinem neuen Buch „Der einarmige Pianist“, das am 2. Juni 2008 im Rowohlt Verlag erschien, führt Sacks seine Leser in die Welt der Musik. Einfühlsam, sensibel und klug schildert der 74-Jährige die geheimnisvollen Wechselwirkungen zwischen dem menschlichen Gehirn und der Musik. Er beschreibt ihre Fähigkeit, Menschen zu berühren, aber auch zu verstören, ihnen Kraft zu geben, aber auch, sie aus dem Takt zu bringen. „Musik ist als einzige Kunst völlig abstrakt und zugleich zutiefst emotional“, sagt der Autor.

Wie in seinen insgesamt neun Büchern zuvor (darunter: „Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte“, 1985), leben die Geschichten von den Menschen, die Sacks schildert. Meist sind es seine Patienten, die er in den über 40 Jahren an der neurologischen Klinik des Albert Einstein College in New York betreute, aber es sind auch Familienmitglieder, Freunde und „alte Bekannte“ aus früheren Werken. So unterschiedlich ihre Schicksale sind, traurig oder lustig, misslich oder skurril – immer wieder macht er deutlich, wie nah das Normale und das angeblich Unnormale zusammenliegen.

So begegnen wir einem Musiker, der atonale Werke komponiert und plötzlich musikalische Halluzinationen bekommt – er hat nur noch Weihnachts- und Wiegenlieder im Kopf. Wir begegnen einem Jungen, der mit seinem absoluten Gehör noch das Niesen des Vaters als hohes G identifiziert und einer Frau, die Musik nur wie das Klappern von Pfannen und Töpfen hört. Auch Sigmund Freud und der Schriftsteller Vladimir Nabokov hatten kein Gefühl für Töne, und der Revolutionär Che Guevara war taub für Rhythmen: „Man konnte ihn Mambo tanzen sehen, während das Orchester einen Tango spielte.“

Seinen deutschen Titel hat das Buch – im englischen Original „Musicophilia“ – von dem Kapitel über den österreichischen Pianisten Paul Wittgenstein (1887-1961), der im Ersten Weltkrieg seinen rechten Arm verlor, aber zeitlebens ein Phantomgefühl für seine Finger behielt. Er setzte seine Karriere als einarmiger Klaviervirtuose fort, seit 1938 in den USA. Große Komponisten wie Paul Hindemith, Benjamin Britten und Maurice Ravel schrieben Stücke für ihn, die heute häufig von zweihändigen Pianisten gespielt werden.

Sacks, der inzwischen eine Sonderprofessur an der Columbia Universität in New York hat, erzählt diese Geschichten in einem lockeren, unterhaltsamen Ton. Schwierigere wissenschaftliche Erklärungen werden in die Fußnoten verbannt, ein gründlicher Anhang gibt Hinweise auf die Quellen. „Sacks gelingt es, neurologische Fälle in menschlich anrührende Geschichten zu verwandeln“, befand die „New York Times“.

Literaturangaben:
SACKS, OLIVER: Der einarmige Pianist. Über Musik und das Gehirn. Übersetzt von Hainer Klober. Rowohlt Verlag, Reinbek 2008. 400 S., 19,90 €.

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