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Oskar Schindler – Held ohne Moral?

Jetzt entdeckt: Der Judenretter war auch nur ein Mensch

Von: HOLGER BÖTHLING - © Die Berliner Literaturkritik, 14.11.05

 

Zwei Dinge vorweg: Oskar Schindler hatte zweifellos ein bewegtes Leben. Und ein Engel war der Judenretter gewiss nicht. Der 1908 in Zwittau geborene Sudetendeutsche liebte schnelle Autos, den Alkohol und die Frauen. Er war Mitglied der NSDAP und spionierte Ende der 1930er Jahre für die deutsche Abwehr in der Tschechoslowakei. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs ging er als Glücksritter nach Krakau, wo er eine bankrotte jüdische Emaillewarenfabrik übernahm. Schindler machte nicht nur viel Geld, sondern sich auch mit den Nazi-Größen vor Ort gemein. Unter dem Eindruck der bestialischen Aktionen der SS im besetzten Polen wurde er erst allmählich zu einem Helfer der Juden. Seine Beziehung zu dem Massenmörder Amon Göth, dem Lagerkommandanten des KZ P³aszów, nutzte Schindler, um seinen Betrieb in ein KZ-Nebenlager umzuwandeln. Dort und später, nach der Verlagerung der Rüstungsabteilung nach Brünnlitz, fanden 1100 jüdische Arbeiter bis zuletzt Schutz vor der NS-Vernichtungsmaschinerie. Nach Kriegsende ging Schindler, der sein gesamtes Vermögen in die Rettung der Juden investiert hatte, nach Bayern. 1949 wanderte er mit seiner Frau Emilie nach Argentinien aus, wo sie erfolglos zunächst eine Hühner-, später eine Pelztierfarm betrieben. 1957 kehrte Schindler allein nach Deutschland zurück, bemühte sich um Lastenausgleich und neue Geschäfte, die allesamt scheiterten. Mittellos und nur von „seinen Schindlerjuden“ unermüdlich unterstützt starb Oskar Schindler am 9. Oktober 1974 in Hildesheim. Zwölf Jahre zuvor war er von Yad Vashem als „Gerechter der Nationen“ geehrt worden.

Soweit der kurze biografische Abriss. Angesichts dieses Lebens, das sich liest wie ein Roman, gerät auch David M. Crowe ins Fabulieren. Sein Monumentalwerk „Oskar Schindler – Die Biographie“ umfasst gewaltige 856 Seiten und hat als „historisch fundierte Studie über Schindlers Leben und Taten“ den Anspruch „ultimativ“ zu sein. Für Crowe präsentierten Thomas Keneallys Roman „Schindlers Ark“ (1982) und Steven Spielbergs darauf basierender Film „Schindlers Liste“ (1993) den Lebemann nämlich nicht „zwiespältig“ genug. Sieben Jahre hat der amerikanische Historiker an seinem Buch gearbeitet, bereiste die Tschechische Republik, Polen, Deutschland, Israel, Argentinien und die USA, wo er zahlreiche Archive sichtete, bisher unbekannte Dokumente auswertete und mit Hunderten von Zeitzeugen sprach. Doch trotz des immensen Aufwands fällt das Ergebnis enttäuschend aus.

Konstruierte Zusammenhänge

Die schiere Menge an Quellenmaterial ist Crowe offenbar über den Kopf gewachsen. Er breitet jedes noch so winzige Detail aus und verliert darüber den Blick für das Wesentliche. Seine Akribie mündet in einer pedantischen Darstellungsweise, die keinen Erkenntnisgewinn bringt und allzu oft auf Kosten der Lesbarkeit geht. Einem festen Schema folgend werden ständig allgemeinhistorische Ausführungen und Exkurse eingeschoben: Seitenlangen Referaten aus der Literatur folgt jeweils ein kurzer nebulöser Absatz, der darlegen soll, was das alles mit der Person Oskar Schindler zu tun haben könnte. Ein mutigeres Lektorat hätte das 850-Seiten-Werk sicherlich von einigem Ballast befreien können, indem viele Details aus dem Haupttext in den Anmerkungsapparat versetzt oder ganz dem Rotstift geopfert worden wären. So verliert der Leser in dem verwirrenden Gewimmel aus Namen und Daten ziemlich schnell den Überblick. Schwerer wiegt jedoch, dass Crowes Ambition, das Heldenprofil Schindlers zu revidieren, ihn auf spekulative Abwege führt. Wo er keine Belege für seine Annahmen findet, konstruiert er Zusammenhänge über Behauptungen und Mutmaßungen, die er dann als Fakten verkauft. Für einen Historiker ist so eine Arbeitsweise schlicht unseriös.

Oskar Schindler kundschaftete für die deutsche Abwehr das tschechische Eisenbahnnetz aus. Außerdem soll er, nach Emilies Erinnerung, eine polnische Uniform besorgt haben, die die NS-Propaganda beim fingierten Angriff auf den deutschen Sender Gleiwitz benutzt hat, um den Überfall auf Polen zu rechtfertigen. Crowe reicht das aber noch nicht. „Möglicherweise“, schreibt er, „hat er größere Mengen polnischer Uniformen, Waffen und Zigaretten in seiner Wohnung gelagert.“ In diesem Stil geht es weiter. Hat Schindler lediglich das gewöhnliche oder das Goldene NSDAP-Abzeichen, vielleicht sogar das Goldene Ehrenabzeichen oder gar die Blutorden-Medaille der NSDAP getragen? Crowe diskutiert diese Frage ausführlich, kommt aber zu keinem Ergebnis. Hätte er herausgefunden, dass Schindler ein „Alter Kämpfer“ der NS-Bewegung gewesen ist, wäre das tatsächlich eine sensationelle Entdeckung gewesen. Aber das hat er nicht. Schindler ist nach bisherigen Erkenntnissen erst 1939 der Partei beigetreten. Crowes Methode sorgt lediglich für die Verbreitung unterschwelliger Vermutungen.

Im Bemühen, den Schindler-Mythos zu entzaubern, schafft Crowe neue Legenden. Er schreibt Schindler zu einem Helden der Nazis und „Spion hohen Kalibers“ hoch (das Zitat stammt freilich aus einem Bericht der tschechoslowakischen Geheimpolizei, den Crowe unkommentiert zitiert). Ohnehin war für ihn Schindlers Geldgier, nicht dessen Patriotismus das Motiv für die Abwehrarbeit. Vom Opportunismus seines Helden bitterlich enttäuscht, will Crowe ihm auch noch seine Verdienste streitig machen. Dass Schindler die berühmten Listen zwar nicht eigenhändig anfertigte, ist lange bekannt. Dass er mit ihnen jedoch „überhaupt nichts“ zu tun hatte, ist eine nachweislich falsche Behauptung. Doch Crowe erteilt sich selbst die Absolution dafür, in den kniffligen Fragen etwas mehr aus seinen Quellen herauszuholen, als diese eigentlich hergeben. Schließlich sei Schindler nie vollständig ins Zivil- und Geschäftsleben zurückgekehrt: „Wer einmal für einen Geheimdienst gearbeitet hat, hat sich für immer der Geheimhaltung verschworen.“ Crowe widmet sich also mit Vorliebe der Interpretation.

Kein „Guter Mensch von Brünnlitz“?

Und worin liegen seine spektakulären neuen Erkenntnisse? Sie beziehen sich ausschließlich auf Spielbergs Film: Die Figur des Itzhak Stern bei Spielberg entspricht nicht der Realität, sondern ist aus drei Personen zusammengesetzt. Auch die Episode mit dem Mädchen im roten Mantel haben Keneally und Spielberg „frei erfunden“. Der amerikanische Regisseur und der australische Schriftsteller haben sich also in ihren Werken dramaturgische Freiheiten herausgenommen. Ist diese wenig überraschende Feststellung alles? Leider ja. Ansonsten stellt Crowe zahlreiche weitere Spekulationen an, die belegen sollen, dass Schindler ein vergnügungssüchtiger Bonvivant, ein „leichtsinniger Mann von zwielichtigem Charakter“ und „zweifelhafter Moral“ war. „Schindler war kein Engel und hatte gewiß Fehler“ – das ist die Quintessenz aus Crowes Buch, die mantraartig wiederholt wird (wie es überhaupt viele Doppelungen in der Erzählung gibt). Dabei hatte Schindler dies selbst immer eingestanden: „Weit entfernt bin ich davon ein Heiliger zu sein, habe als maßloser Mensch viel mehr Fehler als der große Durchschnitt derer, die so sehr gesittet durchs Leben schreiten“, schrieb er einmal über sich.

Crowe geht es darum, die moralische Integrität Schindlers anzuzweifeln, um damit auch die Rettung der Juden in ein anderes Licht zu rücken. Schindlers „ursprüngliche Beziehung zu den Juden“ sei „das Geschäft“ gewesen. Schließlich waren diese die billigsten Arbeiter. Die anständige Behandlung der Juden, so liest man, „könnte rein wirtschaftliche Gründe gehabt haben, denn ein anständig behandelter Arbeiter ist produktiver als ein geknechteter“. Das Motiv zur Judenrettung sei „ebenso wirtschaftlicher wie moralischer Natur“, zumindest „keineswegs rein humanitärer Natur“ gewesen. Später wird die Rettung bei Crowe dann gar zu einem „Wunder“ (hatte da etwa Jahwe seine Finger im Spiel?). Für den Autor ist es zudem „kein Zufall“, dass der opportunistische Kriegsgewinnler Schindler „sich nach dem Desaster von Stalingrad immer energischer um Hilfe für Juden bemühte“. Schließlich musste ja an die Nachkriegszeit gedacht werden, in der Schindler unbescholten davonkommen und weiter profitieren wollte.

Vieldeutige Bemerkungen und breit ausgeführte Vorwürfe, die ohne definitive Antwort im Raum stehen gelassen werden, ziehen sich wie ein roter Faden durch das Buch. Hat Schindler in seiner Krakauer Anfangszeit Juden misshandelt oder von der SS misshandeln lassen? „Ich denke, ja“, sagt Crowe und zitiert als Nicht-Beleg einen Schindlerjuden, der sich das „vorstellen könne“. Schindler habe schließlich ein Vermögen machen wollen. „Wenn er, der erklärte Glücksritter, dafür ein paar Juden demütigen und schlagen mußte, wer kann mit Sicherheit sagen, daß er es nicht getan hätte?“ Über Schindlers problematische, aber für die Rettung seiner Juden notwendige Nähe zu dem Lagerkommandanten Göth heißt es, dass diese „noch andere Grundlagen“ gehabt habe, als „das rein Geschäftlich-Pragmatische“. Genüsslich schildert Crowe die „wüsten Orgien“ in Göths Villa, zu denen Schindler „häufig Schnaps und Frauen“ mitgebracht habe. Die kurz darauf gestellte Frage, ob Schindler zum Schutze seiner Arbeiter wirklich so weit gehen musste, „Göths Nähe und Freundschaft“ zu suchen, bleibt in diesem Zusammenhang eine rhetorische.

Oder der Fall Madritsch. Der Wiener Julius Madritsch war ebenfalls Fabrikleiter in Krakau und behandelte seine Juden ordentlich. Im Unterschied zu Schindler war er aber kein Frauenheld und „bei den Nazis nicht in seinem Element“. Da er rechtzeitig flüchtete, verlor er sein Vermögen nicht und blieb auch nach dem Krieg wohlhabend. Yad Vashem wurde in den 1950er Jahren auf die beiden Fabrikbesitzer aufmerksam. Crowe meint nun, dass Schindler eifersüchtig auf Madritsch gewesen sei und ihn deshalb schlecht gemacht habe. „Daß er die Aufmerksamkeit plötzlich mit Julius Madritsch, einem erfolgreichen Mann von untadeligem Charakter, teilen mußte, war wohl mehr, als er ertragen konnte.“ Man werde die Vermutung nicht los, meint Crowe, dass es Schindler „unbehaglich war, das Rampenlicht mit einem Mann teilen zu müssen, den einige Schindlerjuden ihm gleichstellten.“ Dass Schindler sich nach dem Krieg nichts aus Ehrentiteln machte, sei natürlich zu bezweifeln.

Obwohl es selbst für Crowe „kaum vorstellbar“ ist, dass Schindler in Argentinien, wohin auch viele SS-Angehörige mit Hilfe der Organisation ODESSA geflüchtet waren, Kontakt zu Nazis hatte, beeilt er sich, nachzuschieben, dass dies jedoch „nicht auszuschließen“ sei. So zeichnet der Historiker in großen Teilen seiner Arbeit ein nach Skandaleffekten heischendes Bild von Oskar Schindler, dass mehr auf dessen charakterliche Mängel und die Nähe zu den Tätern als auf seine Rettungstaten und die Nähe zu den Opfern abzielt. In Crowes „Schlußgedanken“ liest sich das dann allerdings ganz anders. Dort ist nun plötzlich Schindlers zuvor immer abgeschwächte moralische Entwicklung primär, sein Heldentum „einzigartig“. „Ich denke“, schreibt Crowe am Ende konziliant, „Schindler war tief in seinem Herzen ein grundanständiger Mensch – trotz seiner Trunksucht und seinen Frauengeschichten“.

Schlammschlacht um die Deutungshoheit

Ein besonders ärgerliches Kapitel in dem Buch ist die Darstellung von Emilie Schindler und ihrer langjährigen Begleiterin und Biografin, der argentinischen Journalistin Erika Rosenberg. Seit 1990, also Jahre vor Spielbergs Filmerfolg, hatte Rosenberg begonnen, die verarmte und zurückgezogen bei Buenos Aires lebende Schindler-Witwe zu interviewen. Aus diesen Gesprächen ist die sehr persönliche Autobiografie „In Schindlers Schatten“ (1997) hervorgegangen, aus der David M. Crowe in seinem Werk ausgiebig zitiert – obwohl er den Erinnerungen der damals Mittachtzigerin nach eigenen Angaben misstraut. Rosenberg möchte mit ihren Büchern dokumentieren, dass Emilie, die zeitlebens im Schatten ihres berühmten Mannes gestanden habe, bei der Rettung der Juden keine unbedeutende Nebendarstellerin war, sondern gleichwertig an Oskars Seite agierte. David Crowe meint dagegen, dass Emilie in Krakau „eher eine Randfigur“ gewesen sei und erst in Brünnlitz begonnen habe, Juden zu helfen. Erst nach Spielbergs Film habe sie sich um Anerkennung und Entschädigung bemüht. Hinter den von Emilie erhobenen finanziellen Forderungen vermutet Crowe eine treibende Kraft: Erika Rosenberg. Zwar habe Oskar seine Frau 1957 allein, mit einem Haufen Schulden in Argentinien zurückgelassen und ist nie zu ihr zurückgekehrt. Doch sei es Emilie in Argentinien gar nicht so schlecht gegangen, wie Rosenberg behaupte. Sie habe nur, genau wie ihr Mann, nie mit Geld umgehen können.

Beiden – Rosenberg wie Crowe – fehlt in ihren Büchern der für eine objektive Darstellung nötige Abstand, den allerdings nun der amerikanische Wissenschaftler für sich reklamiert. Rosenberg, eine in Buenos Aires geborene Tochter deutscher Juden, deren Eltern 1936 vor den Nazis nach Argentinien geflohen sind, sieht in den Schindlers „unbesungene Helden“, deren Geschichte sie als „Sprachrohr“ Emilies in der Welt verbreiten wolle. Die Charakterschwächen von Oskar und Emilie spielen für sie angesichts der einzigartigen Rettung von über 1100 Juden keine Rolle. Während also Crowe Schindlers moralische Verfehlungen nicht entschuldigen kann, verzeiht Rosenberg Crowe deren Betonung nicht. Sie glaubt, dass man über den Holocaust nur schreiben könne, wenn man Teil dieser Geschichte sei. Nicht Schindler, sondern Crowe sei ein Opportunist. Der Amerikaner versuche, mit seinem Buch eine Kontroverse zu entfachen, indem er das Heldenprofil Schindlers zerstöre.

Dass Oskar posthum durch Keneallys Roman und Spielbergs Film zu großem Ruhm kam, ärgerte seine betrogene und vergessene Ehefrau (zu den Schlussaufnahmen von „Schindlers Liste“ lud Spielberg „sie und ihren Gatten“ als von Oskar Schindler „Gerettete“ ein!). Als die „Stuttgarter Zeitung“ 1999 eine Artikelserie aus dem Nachlass Oskar Schindlers veröffentlichte, der in einem Koffer auf dem Dachboden seiner letzten Freundin in Hildesheim gefunden wurde, klagten Emilie und Rosenberg wegen Verletzung der Urheberrechte. Die Klage wurde zurückgewiesen. Doch machte die Zeitung Emilie als Geste des guten Willens ein Geschenk von 25.000 DM. „Vermutlich“, schreibt Crowe nun, „ging das Geld direkt an Erika Rosenberg.“ Eine schwerwiegende Anschuldigung, die erneut nur auf einer Mutmaßung des Autors basiert. Mit Rosenberg selbst hat Crowe nämlich nie gesprochen. Crowe unterstellt, dass es der Journalistin bei der Klage in Wirklichkeit darum gegangen sei, dass ihre Dokumentensammlung „Ich, Oskar Schindler“ (2000) nach der Veröffentlichung der Artikelserie nicht mehr zum „Bestseller“ werden konnte.

Doch damit nicht genug. Die Beziehung Rosenbergs zu Emilie gründete laut Crowe auf reinem Opportunismus, ihr sei es nur um Geld gegangen. Rosenberg habe sich Interviews mit Emilie bezahlen lassen und diese zu ihrer Kritik an Spielberg getrieben. Gegen den Rat der Ärzte habe sie die 93jährige im Juli 2001 zurück nach Deutschland gebracht, wo die Witwe Oskar Schindlers am 6. Oktober 2001 verstarb. Crowe vermutet hinter alledem nur die Profitgier Rosenbergs. Ihr neues Buch, „Ich, Emilie Schindler“ (2001), eine überarbeitete Fassung von Emilies Autobiografie, habe sie kurz darauf auf der Frankfurter Buchmesse vorstellen wollen. Welche Belege führt Crowe an? Sämtliche Anschuldigungen stammen aus Gesprächen mit Dritten, mithin vom Hörensagen. Um Differenzierungen geht es dem Historiker in diesem Kapitel in keinster Weise. Er suggeriert, dass Rosenberg Emilies Alleinerbin sei und Spielberg deshalb nach Emilies Tod auf die Zahlung von fünf Prozent Gewinnbeteiligung an „Schindlers Liste“ verklagt habe. Abgesehen vom diffusen Wahrheitsgehalt dieser Aussage hat Crowe Emilies Testament offenbar nicht gelesen oder dessen Inhalt schlichtweg unterschlagen. In Wirklichkeit ist es nämlich auf fünf gleichberechtigte Erben ausgestellt, von denen Rosenberg nur eine ist.

Viele Fragen offen

Man muss sich als Leser schon fragen, was einen Gelehrten wie Crowe dazu treibt, derart unsauber vorzugehen. Besonders das letzte Kapitel verleiht seiner Schindler-Biografie einen faden Beigeschmack. Für eine seriöse geschichtswissenschaftliche Arbeit enthält das Buch zu viele Mutmaßungen und persönliche Werturteile. Als Unterhaltungslektüre für ein Massenpublikum taugt das ausgedehnte und zuweilen etwas sperrige Werk – abgesehen von seinen operettenhaften Passagen – ebenso wenig. Aus den vielen von Crowe zusammengetragenen Erinnerungen, Aussagen und Berichten ergibt sich selten ein kongruentes Bild, zu vieles ist weiterhin mit Fragezeichen versehen. So legt man nach Lektüre der 700 Seiten Text diese „ultimative“ Biografie enttäuscht zur Seite. Frei nach Brecht: Der Leser sieht betroffen, die Buchdeckel zu und (so) viele Fragen offen.

Mehr: Mutter Courage (Nachricht)

Literaturangaben:
CROWE, DAVID M.: Oskar Schindler - Die Biographie. Übersetzt aus dem Englischen von Klaus Binder und Bernd Leineweber. Eichborn Berlin Verlag, Berlin 2005. 856 S., 34,90 €.
ROSENBERG, ERIKA (Hg.): Ich, Emilie Schindler. Erinnerungen einer Unbeugsamen. Herbig Verlag, München 2001. 232 S., 9,95 €.
ROSENBERG, ERIKA (Hg.): Ich, Oskar Schindler. Die persönlichen Aufzeichnungen, Briefe und Dokumente. Herbig Verlag, München 2000. 448 S., 9,95 €.
SCHINDLER, EMILIE: In Schindlers Schatten. Emilie Schindler erzählt ihre Geschichte, aufgeschrieben von Erika Rosenberg. Übersetzt aus dem Spanischen von Elisabeth Brilke. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 1997. 176 S., 8,90 €.

Holger Böthling arbeitet als freier Journalist und Buchkritiker in Berlin


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