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Schwindelerregend gewöhnlich – Florescus „Zaira“

Das Schweizer Wunderkind Catalin Dorian Florescu enttäuscht mit seinem neuen Werk

© Die Berliner Literaturkritik, 07.10.08

 

Und immer wieder Rumänien. Der Schweizer Psychologe und Schriftsteller Catalin Dorian Florescu kommt von seiner Heimat nicht los, einer Heimat, die er vor 26 Jahren verließ. Und in vielen seiner Romane und Texte kehren die Helden seiner Geschichten in diese Heimat zurück, auf der Suche nach sich selbst, nach Identität, nach Wahrheit, nach Leben. Es ist, als ließe er seine Romanfiguren an seiner statt in die alte Heimat reisen. Und auch sein neuer Roman „Zaira“ spielt zu großen Teilen in Rumänien, zunächst im faschistischen, dann im kommunistischen.

Florescu ist als engagierter Geschichtenerzähler noch in der Lage, sich zu wundern und zu bewundern. Er schwelgt und schweift gern, dringt vom Hundertsten auch noch ins Tausendste vor und lässt dabei eine Welt entstehen, die wehmütig macht. Eindrucksvoll bewies er dieses erzählerische Naturtalent in seinem Debütroman „Wunderzeit“, der von einem kulturell kosmopolitischen Wunschleben zwischen Rumänien, Italien, Frankreich und den USA erzählt und für den er 2002 den Chamisso-Förderpreis der Bayerischen Akademie erhielt. Kaum weniger erfolgreich war sein Folgeroman „Der kurze Weg nach Hause“, der gemeinsam mit seinem Debüt mit dem Anna-Seghers-Literaturpreis ausgezeichnet wurde. Darin lässt er, stellvertretend für seine Leserschaft,  zwei Freunde den wilden Osten erkunden und stürzt beide in eine wahre Sinnkrise.

In seinem aktuellen Roman erzählt die Protagonistin Zaira ihr Leben, retrospektiv und doch so, als würde sie es noch einmal durchleben. Zaira Izvoreanu ist die Tochter rumänischer Großgrundbesitzer. Die angestellten Bauern erhalten weder zu viel noch zu wenig von ihren Dienstherren und kümmern sich geradezu rührend um die aufgeweckte Zaira, deren Aufmerksamkeit nichts entgeht. Noch am Ende ihres Lebens kann sie sich an die Details des vor Jahrzehnten verlassenen Hofes erinnern: „Ich bin oft um das Haus geschlichen, kenne jeden Riss, kenne seinen Verfall, so gut wie meinen eigenen. … Ich weiß, wie es riecht, wie es von den Wänden troff, wo Schimmelpilz wächst.“ Bis zum Sturz des Königs und der Regierungsübernahme durch die faschistischen „Eisernen Garden“ verlebt sie eine Kindheit, die man wohl am besten als gut behütet bezeichnen kann.

Doch das jähe Ende dieser Kindheit setzte ein, als die ersten Züge an ihr vorbeifuhren, aus denen dutzende Hände ragten („Ganz still war es, nur Hände, so viele Hände überall.“). Nur wenige Romanseiten später sind es die Kommunisten, die nach dem russischen Sieg über die Deutschen in den Hof einfallen und die Besitzer vor aller Augen demütigend enteignen. Zaira wird klar, wie irrelevant ideologischer Inhalt angesichts der Macht ist, die von ihm ausgehen kann. Mitläufer gibt es immer, entscheidender aber ist die Mehrzahl der lethargisch-ängstlichen Duckmäuser. „In diesem Land haben alle den Kopf eingezogen, vorher vor denen von rechts, jetzt vor denen von links.“ Zairas Familie verlässt die bedrückende Atmosphäre des ehemaligen Besitzes und zieht vom Land in die anonyme Großstadt Bukarest. Und damit beginnt die größere Reise durch das Leben der Zaira Izvoreanu, die sie über das von Unruhen durchschüttelte Prag bis nach Washington führen wird.

Doch leider liegt gerade hier die Schwäche des Romans. Was könnte man aus solch einem Lebensweg alles machen. Eine tour de force durch ein halbes euro-amerikanisches Jahrhundert wäre möglich. Ein Roman entlang der Linien des Kalten Krieges, ein Roman des Widerstands und des Aufbegehrens, der Vernunft und der Menschlichkeit. Bedauerlicherweise kommt es kaum dazu. Die großen Fragen des Kalten Krieges nach der Berechtigung des Kommunismus oder der Legitimität des amerikanischen Größenwahns werden nur am Rande erörtert. Natürlich bleibt die metaphorische Kritik am Kommunismus nicht aus, doch es fehlt dabei an Raffinesse, Tiefe und Biss. Seine sonst so sprachgewaltigen und packenden Sätze entfalten in „Zaira“ nicht die Wirkung, die man von Florescu gewohnt ist.

Der Roman orientiert sich an dem maximal durchschnittlichen Lebensweg von Zaira. Nach der Flucht vom Land in die Stadt muss sie sich zunächst mit dem aus den Kriegswirren zurückkehrenden Vater arrangieren, wird dann an der rumänischen Schauspielschule angenommen, bricht die Ausbildung jedoch für Paul ab, einem von drei Männern, die in ihrem Leben als Partner eine Rolle spielen. Stattdessen wird sie nun Puppenspielerin – eine der berühmtesten in Rumänien sogar. Es folgt Traian, die große Liebe ihres Lebens, die an seiner Liebe zum Alkohol zerbricht, ihr aber mit Ioana eine heimliche Tochter hinterlässt. Über Umwege folgt schließlich Robert, der dritte Partner im Bunde, mit dem sie schließlich nach Amerika fliehen wird, über Prag, wo der demokratische Frühling mit jäher Waffengewalt beendet wird. In Amerika, ganz einfallsreich, folgt der Aufstieg von der Tellerwäscherin zur … nun gut, nicht ganz zur Millionärin – das wäre auch zuviel des Guten – sondern zur äußerst erfolgreichen Barmanagerin. Doch hinter dem Schein des Wohlstands verbirgt sich die private Katastrophe, als sie erfährt, dass Robert seit Jahren eine Affäre mit ihrer Tochter Ioana hat. Und mit dieser privaten Niederlage kehrt sie als Amerikanerin nach Rumänien zurück.

Diese Reise durch ein Leben, gespickt mit einigen amüsanten Anekdoten und dramoletten Geschichtchen, kann den Leser nicht einfangen. Es langweilt geradezu, wie sich die einzelnen Schicksalsstunden in Zairas Leben fast identisch permanent wiederholen. Man möchte ihr beinahe zurufen, die Blindheit vor der ständigen Wiederkehr des Laufs der Dinge abzulegen. Aber sinnlos. Dieser Roman ist eine Erzählung über das Hinterherlaufen: hinter den Menschen, Träumen und Zielen und Ängsten – ja, eigentlich hinter dem Leben. Ebenso wie Zaira dem Leben hinterherläuft, läuft sie auch vor ihm weg. Und damit repräsentiert sie ironischerweise sinnbildlich den Roman. Auch der läuft seinem Anspruch ebenso hinterher, wie er aus Trivialität vor ihm davonläuft. Dem einstigen Chamisso- und Seghers-Preisträger Catalin Dorian Florescu gelingt es nicht, das Geschehen der großen Welt des Kalten Krieges und des zum Himmel schreienden Kommunismus in Rumänien in die kleine Welt der Zaira Izvoreanu zu packen. Und so geht es dem Buch wie den im Kommunismus lebenden Menschen: „Wir wussten alle, wie es war, in einem Käfig voller Narren zu leben, ohne aufzufallen. Das ging am besten, wenn man selber ein Narr war“, resümiert Zaira rückblickend ihre Zeit in Rumänien. Und so wie der Narr im Käfig geht das aktuelle Buch Florescus in einer mit durchschnittlichen Neuerscheinungen vollgepackten Bücherwelt unter, weil es selbst nicht mehr als mittelmäßig ist. Allein der Name des Autors, der auf mehr hoffen ließe, reicht nicht aus, um dem mit gewöhnlichem Gut vollgestopften Narrenkäfig in die Bestsellerlisten zu entkommen.

Von Thomas Hummitzsch

Literaturangaben:
FLORESCU, CATALIN DORIAN: Zaira. Verlag C.H. Beck, München 2008. 477 S., 19,90 €.

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