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Die Nacherzählung einer Präsidentschaft

Bill Clintons Memoiren

© Die Berliner Literaturkritik, 22.06.04

 

NEW YORK (BLK) - Nach verschiedenen Reden Bill Clintons wisse man, dass er sowohl "wunderbar redegewandt und zu visionären Ansichten fähig" ist, als auch zu "betäubender, selbst beweihräuchernder Schwatzhaftigkeit". Bedauerlicherweise ähnle Clintons lang erwartete Autobiografie "My Life" eher dem zweiten Beispiel, schreibt Michiko Kakutani in "The New York Times" vom 20. Juni 2004.

Schlampig, selbstnachgiebig und ausdruckslos

"My Life" - welches insgesamt 957 Seiten umfasst - werde am Besten durch die Adjektive "schlampig", "selbstnachgiebig" und "ausdruckslos" charakterisiert. Clintons Buch sei insgesamt fast ein Spiegel seiner Präsidentschaft, meint der Rezensent, denn auch diese sei geprägt gewesen von "mangelnder Disziplin" und "großen Erwartungen, gepaart mit Selbstnachgiebigkeit und ungenügender Konzentration", die schließlich zu verschenkten Gelegenheiten geführt habe. Dem Buch fehle es schlichtweg an Fokus und Ordnung.

Es scheint, als habe Bill Clinton alle Voraussetzungen eine "fesselnde Autobiografie" zu schreiben: Sprachgewandtheit, Belesenheit und Charme. Und obwohl Dan Rather (welcher Clinton für "60 Minutes" interviewt hat) "My Life" mit den Memoiren Ulysses S. Grants vergleicht, kann der Rezensent kaum Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Werken feststellen. Grants Klassiker biete im Gegensatz zu Clintons Werk "schonungslose Aufrichtigkeit" und "historischen Durchblick". Dagegen seien Clintons Ausführungen eher mit einem "Mischmasch an Notizen, Marke Geständnis, Wahlrede oder Präsidentenarchiv" zu vergleichen.

Der Geist vergangener Reden

Es gebe zwar ein paar faszinierende Abschnitte - wie zum Beispiel über seine Bemühungen zum Friedensabkommen im Nahen Osten -, aber insgesamt liest sich "My Life" wie "eine chaotische Nachahmung all dessen, das Bill Clinton jemals erlebt hat und unbedingt aufschreiben wollte". So müsse sich der Leser endlose Litaneien über die verspeisten Mahlzeiten, die gehaltenen Reden und die gegrüßten Wähler des ehemaligen Präsidenten anhören.

Natürlich hat Clinton auch etwas zum Thema Monika Lewinsky zu sagen. So gebe er zu, dass seine Affäre mit der Praktikantin "unmoralisch und dumm" gewesen sei, verbringe jedoch weitaus mehr Zeit damit, über den Ermittler Kenneth W. Starr und die Presse herzuziehen. Ein zentrales Problem des Buches sieht der Rezensent darin, dass Clinton einerseits damit beschäftigt sei, sein politisches Erbe "zu zementieren", aber auf der anderen Seite die Karriere seiner Frau Hillary zu fördern versucht.

Von der Jugend in Arkansas

In der Beschreibung seiner Jugend in Arkansas sieht die "New York Times" den einzigen positiven Punkt der Autobiografie. Hier zeigt Clinton "emotionale Direktheit", lobt der Rezensent. Clinton berichte unter anderem über seinen trinkenden Stiefvater, durch den er schon früh gelernt habe, seinen eigenen Ärger vor anderen versteckt zu halten, um normal weiterleben zu können.

Alles in allem sei das Bild, das uns seine Autobiografie liefere nicht allzu weit entfernt von dem Bill Clinton, den wir bereits kennen, einem "unermüdlichen, getriebenen, jungenhaften, egozentrischen, optimistischen Selbst", urteilt der Kritiker. Clinton selbst habe einmal gesagt, dass er Charakterstärke nicht als Ziel, sondern als Weg betrachte. Ein guter Mensch zu werden, sei deshalb eines seiner Lebensziele. Der Meinung des Rezensenten ist zu entnehmen, dass er dieses Ziel noch nicht erreicht hat. "Über Bill Clintons Autobiografie berichtet man nur aus dem Grund, da er einmal Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika war", schreibt Michiko Kakutani resümierend. (gra/mir)

Literaturangaben:
CLINTON, BILL: My Life. Alfred A. Knopf, New York 2004. 957 S., 35 $.


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