Werbung

Werbung

Werbung

Von Winter zu Winter – Reinhard Kaiser-Mühleckers Debütroman

Der hochbegabte Autor erzählt ohne Land und Provinzlertum denunzierende Elemente

Von: ALEXANDER KLUY - © Die Berliner Literaturkritik, 15.05.08

 

Was war am Anfang?

„Ganz am Anfang standen einzelne lange, mit Eis überzogene Grashalme aus einer harten Schneedecke hervor, und kein Wind konnte sie bewegen.“ Was wird am Ende sein? Wieder Winter, Schnee, gefrorene Erde, ein Wald, Bäume mit dürren Zweigen, kein Licht mehr und ein Mann auf dem Weg in den Tod.

Über vier Jahreszeiten und schätzungsweise genauso viele Jahre erstreckt sich Reinhard Kaiser-Mühleckers Roman, der im bäuerlichen Österreich, genauer gesagt: in Oberösterreich, angesiedelt ist. Die nächst größere Stadt ist Linz. Doch Linz ist dem Protagonisten schon zu groß, zu naturfern. Der 1982 geborene Kaiser-Mühlecker kennt diesen Landstrich gut, wuchs er doch auf dem Bauernhof seiner Eltern im oberösterreichischen Flecken Eberstalzell auf. Später ging er nach Wien und studierte dort neben Landwirtschaft auch Geschichte und Internationale Entwicklung. Was er mit seiner ersten buchlangen Veröffentlichung – davor publizierte er in kleinen und mittelgroßen Literaturzeitschriften – vorlegt, zeigt eine ganz erstaunliche Reife. Und ein ausgeprägtes Gefühl für Sprache, für Unausgesprochenes und fürs Verstummen.

Die Hauptfigur ist ein Mann, Bauer und Hoferbe, der endlich geheiratet hat. „Meine Frau war zu mir gezogen. Sie kam nicht aus der Gegend, sondern von weiter her, und diese Umgebung hier war ihr noch recht neu und unbekannt. Sie war zu mir gezogen, und da, ganz am Anfang, war alles noch so einfach.“ Doch schon hier, auf der zweiten Seite, täuscht sich der Ich-Erzähler. Denn einfach ist hier kaum etwas, auch wenn das Leben überschaubar ist und den Jahreszeiten und den bäuerlichen Regeln und Tätigkeiten folgt. Der nicht allzu große Hof ist in keiner guten wirtschaftlichen Verfassung. Der Ich-Erzähler bewirtschaftet ihn nahezu allein, die Mutter ist gebrechlich, der Vater ein anwesender Abwesender, der schwer krank im einstigen Gästezimmer auf dem Krankenbett, konkreter: auf dem Sterbebett liegt. Aus der Zweisamkeit des Paares entwickelt sich Schritt für Schritt, Monat für Monat eine zunehmende Fremdheit, ein gegenseitiges Sichmissverstehen und Zurückgestoßenfühlen. Zum Unverständnis gesellt sich eine defizitäre Kommunikation.

Doch es ist nicht die Frau, obschon es der immer unzuverlässiger und undurchdringlicher werdende Ich-Erzähler an ihr und ihrer Sehnsucht nach allem Städtischen festmacht – eine zu deutliche Szene, der die sich zum Bruch summierenden Fissuren der Beziehung nachzeichnet, spielt beispielsweise auf einem Dach in einem Wiener Innenstadtbezirk –, der dies verschuldet. Sondern es ist der Mann, der es tut, der dies wahrnimmt, ohne Änderungen einzuleiten. Ohne sich zu ändern. Oder darüber reden zu können. Seine anfangs nüchtern anmutenden Observationen verhüllen nur mühsam einen Kern, dass er ein falsches Leben führt. Es war bereits ungewöhnlich, dass er, der Hoferbe, sich einst sechs Monate auf Wanderschaft durch Österreich begab, um anderes zu sehen als den engen Horizont des Dorfes, abgezirkelt zwischen werktäglicher Arbeit und sonntäglichem Kirchgang. Einen anderen Ausweg für Verzweifelte als den Selbstmord gibt es hier nicht, wie etwa für den verwitweten und vereinsamten Nachbarn, den der Protagonist als Freund einstuft und der doch ein Fremder bleibt.

Der hochbegabte Reinhard Kaiser-Mühlecker, der im Hoffmann und Campe Verlag nicht zuletzt dank der starken Empfehlung des Autors Anselm Stadler – einst auch debütierend mit Berichten aus der abgelegenen Provinz – veröffentlicht, erzählt dies ohne Land und Provinzlertum denunzierende Elemente, ohne jedes Rasen gegen mutmaßlich prä- oder postnazistisch, bigott katholisch-verspießertes Österreichertum à la Thomas Bernhard oder Elfriede Jelinek. Und er erzählt in einem leicht sperrigen Duktus, der das Eckige, Harte, Widerständige, das latent Ersehnte und Zerbrechende eindringlich und präzise wiederzugeben vermag.

Literaturangaben:
KAISER-MÜHLECKER, REINHARD: Der lange Gang über die Stationen. Roman. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg, 2008. 160 S., 16,95 €.

Verlag

Alexander Kluy arbeitet als freier Buchkritiker für dieses Literatur-Magazin


Bookmark and Share

BLK mit Google durchsuchen: