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Zwischen Romantik und Abstraktion – Ein Ausstellungskatalog zu Tim Eitel

Die Bilder Eitels verweigern sich erzählbaren Geschichten und fixieren Zustände

Von: ROLAND H. WIEGENSTEIN - © Die Berliner Literaturkritik, 15.07.08

 

Tim Eitel, 1971 in Leonberg geboren, heute in Berlin und New York ansässig, wird der Einfachheit halber jener „Leipziger Schule“ zugerechnet, die dank der Neugier von Sammlern und Museen auf neue Seherfahrungen „aus dem Osten“ und einiger cleverer Kunsthändler die „Kunstszene“ mit ihren Rätselbildern okkupiert hat und am Markt hohe Preise erzielt. Doch diese Einordnung ist nicht nur aus geografischen Gründen irrig. Die „Leipziger“ (an ihrer Spitze Neo Rauch, der es – mit wenig überzeugenden Bildern – bis ins New Yorker Metropolitan Museum gebracht hat), arbeiten sich mit ihren surrealen Bildern an den Vorgängern ab, die einem (im Zweifelsfalle sozialistischen) „Realismus“ huldigten und spielen als Farce nach, was sie in ihrer Jugend zu sich nahmen. Tim Eitel steht in einer anderen Tradition. Er kennt die „Westkunst“ auch in ihren nicht gegenständlichen Formen und zollt ihr immer wieder in großen leeren Flächen Tribut, jener Kunst, die nach dem Kriege als die einzige „moderne“ übriggeblieben zu sein schien. Das ist lange vorbei, die Popart hat sich aufs Neue daran gemacht, die „Realität“ zu entdecken – nicht selten ebenfalls als Farce.

Eitel ist aus anderem Holz. Er hat sich aus den jüngst vergangenen „Epochen“ geholt, was ihm nützlich dünkt, macht Anleihen etwa bei Hopper, Alex Katz und Paul Thek, aber auch bei Gerhard Richter und den Künstlern des „Trash“, verwandelt trostlose, stillgestellte „nature mortes“ in etwas ihm Angemessenes. Er gibt Barnett Newmans (1905-1970) kabbalistischen Streifenbildern mit ihren scharfen Kanten eine räumliche Dimension, lässt sie zu kalten Lichtschneisen ins Nirgendwo werden, fügt Schlagschatten hinzu und bedient sich der „romantischen“ Konfigurationen eines Caspar David Friedrich, die er ebenso einem Kältetest unterzieht – bis in die Farben. So entsteht eine Collagekunst, die die Figuren und Gegenstände verfremdet, so dass von den aufs Wesentliche reduzierten Bildfindungen etwas wie Gefahr ausgeht: die Gefahr der totalen Isolation, in der menschliche Figuren nur wie Signale aus einer Welt erscheinen, die zum technokratischen Dschungel geworden ist. Oft sind seine Bilder so dunkel, dass man in der Reproduktion kaum noch etwas erkennen kann, obwohl doch der bei Hatje Cantz jüngst erschienene Katalog – für Ausstellungen Eitels in Tübingen, Odense und Kiel – unter dem Titel „Die Bewohner“ gut gedruckt ist. Immerhin fünfundvierzig große und kleine Bilder (alle längst in Privatbesitz und einigen öffentlichen Sammlungen), gemalt seit 2004, sind in diesem Katalog versammelt, dessen kurzer Text von Dörte Zbikowski sich angenehm zurückhaltend gibt.

Eitels Bilder: sie machen etwa die auf einen Supermarkt-Karren gepackte Habe eines Obdachlosen zum Thema oder eine Bootsfahrt junger Leute, von der man nicht weiß, ob sie auf einem unterirdischen Fluss stattfindet oder vielleicht doch in einem mit Wasser gefüllten Raum; sie zeigen seltsam beziehungslos nebeneinander stehende „Paare und Passanten“, die dem Beschauer den Rücken zukehren (wer erinnerte sich nicht an Oelzes ein Weltende erwartende Figuren?), lassen eine weiße Wolke über einer Hauskulisse dräuen, oder setzen einen Hubschrauber mit stillstehendem Rotor vor zwei waagerecht geteilte graue Flächen – und gehen stets auf Distanz, bleiben bei sich. Selbst wenn er die akribische Darstellung einer nur wenig von der gesehenen Wirklichkeit abweichenden Figurenmalerei zugunsten summarischer, fast naiv wirkender Formen verlässt, bleibt da ein (großer) Rest von Unauflösbarem. Genau das macht die Faszination dieser Bilder aus – sie verweigern sich erzählbaren Geschichten, fixieren Zustände. Wäre da nicht der romantische Impuls, man könnte an eine Welt nach dem Kältetod glauben.

Eitel hat aus dem, was er gefunden hat: in der Wirklichkeit wie in der Kunst vor ihm, eine distinkte eigene „Sicht“ entwickelt, einen Stil – und manchmal auch nur eine Manier. Das ist eine Kopfkunst von hohem ästhetischen Reiz. Auch so etwas braucht der Markt.

Ausstellungen: Kunsthalle Tübingen 1.3.-1.6.2008; Kunsthallen Brandts, Odense 3.7.-31.8.2008; Kunsthalle zu Kiel 20.9.-23.11.2008.

Literaturangaben:
EITEL, TIM: Die Bewohner. Katalog zur Ausstellung: Kunsthalle Tübingen, 2008, Kunsthallen Brandts, Odense, 2008 und Kunsthalle zu Kiel, 2008. Herausgegeben von Martin Hellmold und Dirk Luckow. Texte von Dörte Zbikowski. Verlag Hatje Cantz, Ostfildern 2008. 96 S. mit 80 Farbabbildungen, 22 €.

Verlag

Roland H. Wiegenstein arbeitet als freier Literatur- und Kunstkritiker für dieses Literaturmagazin. Er lebt in Berlin und Italien


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