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Wer genau hinschaut, hat was zu staunen: Die Putten Venedigs

Rainer Hoffmanns Führer zu den Putten Venedigs

Von: DR. JOS SCHNURER - © Die Berliner Literaturkritik, 09.11.07

 

Besucher von kulturellen Stätten, denen der Ruf von Geschichte, Kultur, Mystik und Schaustellung voraus eilt, erleben gelegentlich Momente des Staunens, wenn sie auf „Übersehbares“ aufmerksam werden, an denen die Fremden unaufmerksam vorbei laufen oder sie gar nicht wahr nehmen. Es sind nicht selten die kleinen Dinge, die man übersieht, auf die selbst der Fremdenführer nicht aufmerksam macht und die meist auch nicht in den Reiseführern verzeichnet sind.

Hier soll die Rede sein von den Putten von Venedig. Aber über Venedig, werden Sie, wie bereits Goethe, entrüstet sagen, ist doch schon alles gesagt und gedruckt. Mitnichten! Selbst der vermeintliche Venedig-Kenner wird erstaunt ein Buch in die Hand nehmen, das 2007 im Böhlau-Verlag heraus gekommen ist. Der kenntnisreiche Kunsthistoriker Rainer Hoffmann will keine „Putten-Zählung“ in seinem reich illustrierten Band vornehmen, sondern liefert eine faszinierende „Putten-Erzählung“. Denn: Putten sind in Venedig überall! Meist aber als Beiwerk, nicht selten als Staffage auf Gemälden berühmter Meister, als Stuck-, Holz-, Steinwerk und aus Bronze, als christlich motivierte wie als heidnisch-martialische Figuren und Darstellungen; sogar in Form einer Porta dei Putti. In Kirchen, Museen, Palazzi, Scuole, an Brücken, in Gärten, Treppenhäusern und auf Friedhöfen. Und der Betrachter nimmt sie selten als eigenständiges Kunst- und Zierwerk wahr.

Keine andere Stadt in der Welt kann deshalb für sich in Anspruch nehmen, ein Stadt-Staat der Putten zu sein, wie die città miracolosissima. So kommt denn der Autor auch zu der beinahe erschöpft wirkenden Aussage: Putten sind zahllos wie die Sterne. Und weil Putten „Grenz-Gänger“ sind, diesseitig-jenseitige Zwischenwesen, transzendierend und frivol, Eroten und Unschuldsbildnisse, albern wirkend und vornehm, possierlich und gravitätisch, lachend und weinend, betend und schimpfend, gefühlvoll und statisch, musizierend, spielend und arbeitend, in Kindes-, Knaben-, Mädchen- und Neutren-Gestalten. „Venezia ist der Putten Heimat“, kann man da nur mit Rainer Hoffmann ausrufen.

Der Putten-Liebhaber gliedert das Buch in zwei Bereiche. Den ersten Teil nennt er „Nach Amors Bilde“ und den zweiten „Die Putten von Venedig“. Da geht es um „Aller Götter und Menschen Zier“, mit Eros, dem ewig jungen Gott der Liebe und den Eroten zu aller Menschen heidnischen und christlichen Zeiten. Dann wurden die Putten zu Engeln und Heilsverkünder, aber auch irgendwie menschlich. Diese erste Hinführung zur Mystik der „Puttologie“ ist gleichzeitig eine kulturelle Schau und eine Auseinandersetzung mit Figuren und Bildern, die zu Verkündern einer alltagstauglichen Frömmigkeit werden.

Der Venedigbesucher wird, das Buch in der Hand, dabei Entdeckungen machen, die Geschichte in einer anderen, vielfach „nackten“ Betrachtungsweise zeigen: Selbstbewusst, manchmal exhibitionistisch, aber immer heiter und unschuldig in der vollen Leiblichkeit der (Selbst)Darstellung. Manchmal drängt sich die „ganze Putten-Herrlichkeit“ dem Betrachter direkt auf, in Augenhöhe. Manchmal aber ist er gezwungen, sich zu bücken oder in den Himmel zu schauen, über, was in Venedig ja die normale Gangart ist, Treppen zu steigen, Museen, Kirchen und Paläste aufzusuchen, um die „Amoretten-Fülle“ zu betrachten.

Dabei ist vielleicht die „Putten-Führung“ auch eine Möglichkeit, sowohl den Meistern wie Tintoretto, Veronese, Donnatello und den vielen anderen, die in und für Venedig gemalt und modelliert haben, als auch den vielen unbekannteren Malern und Bildhauern ins Gemüt zu schauen und ihrem „Spiel mit Sein und Schein“ nachzuspüren. Die kluge und für den Betrachter hilfreiche Gliederung der Suche nach den Putten in Venedig – In der Engel Ordnungen, Via triumphalis, Die Lagune als Olymp, Zeichen und Wunder, Wenn Gott für uns ist, Mit Maria und Jesus, In des Himmels Herrlichkeit – machen das Buch zu einem Kunstband der besonderen Art. Ein Buch, das so recht dazu geeignet ist, die Serenissima neu zu entdecken, auch wenn man meint, die Lagunenstadt zu kennen.

Literaturangaben:
HOFFMANN, RAINER: Im Himmel wie auf Erden. Die Putten von Venedig. Böhlau Verlag, Köln / Weimar / Wien 2007. 287 S., 34,90 €.

Verlag

Dr. Jos Schnurer (Jg. 1934) ist Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim


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