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Der liebe Gott als Totschlagargument

Wolfram Weimers Abhandlung „Credo. Warum die Rückkehr der Religion gut ist“

© Die Berliner Literaturkritik, 10.11.06

 

Die Verlagsanzeige der DVA für das Büchlein „Credo. Warum die Rückkehr der Religion gut ist“ des „Cicero“-Chefredakteurs Wolfram Weimer verspricht eine „provokante Streitschrift über den Nutzen der Religion für unsere Gesellschaft“ und „ein mutiges Plädoyer für klassisch konservative Werte“. Und weiter: „Das 21. Jahrhundert wird ein Zeitalter der Religion. Gott kehrt zurück. ... Er kommt mitten hinein in den politischen Raum.... Dabei schien Gott schon mausetot. ... Die postmodernen Wohlstandsgesellschaften spülten sogar die kulturellen Restbestände des Christentums aus dem Bewusstsein einer geistig zerstreuten Zeit.“

Der Gott der Christenheit

Man möchte so gern streiten in dieser Mainstream-geglätteten Republik! Aber diese Streitschrift ist schon im Ansatz falsch. In der Politik der Bundesrepublik sind christliche Überzeugungen immer von Bedeutung gewesen. Weiß der Autor nicht, was das „C“ in CDU/CSU bedeutet? Kennt er die großen Grundsatzdebatten nicht? Ist Johannes Rau schon vergessen? Rita Süßmuth? Heiner Geißler? Wolfgang Thierse? Aber es fallen auf den ersten Blick noch weitere Reflexionsdefizite auf. Interessanterweise erwähnt Weimer Gott kaum. Da, wo er es tut, offenbart sich eine gewisse Schizophrenie. Einmal ist niedlich vom „lieben Gott“ die Rede, dann von der „definitiven Wahrheit“ und dann vom notwendigen „Kampf“ gegen Ungläubige. Der Gott der Christenheit gibt sich eigentlich etwas anders – sofern man Äußerungen von Kirchenvertretern trauen darf.

Die nächste Frage ist, in welcher Form sich Weimer Gott in die Politik zurück wünscht, wenn er zum Beweis seiner These der Gottlosigkeit ausgerechnet eine Statistik zitiert, aus der hervor geht, dass zwei Drittel aller Europäer auch heute religiös sind. Die Erklärung ist einfach. Der Autor schließt von der Trennung von Staat und Kirche auf die Unterdrückung der Religion und folgert aus dieser Unterdrückung die Entstehung der totalitären Ideologien des 20. Jahrhunderts. „Die kulturelle und intellektuelle Pervertierung des Fortschrittsglaubens in entgöttlichten, radikal-diesseitigen Ideologien beendete (...) den Säkularisierungsprozess, weil dieser seine moralische Integrität verloren hatte.“ Kommunismus und Faschismus wären also ohne die Trennung von Staat und Kirche nie passiert.

Ein Totschlagargument

Dieses Totschlagargument macht dann in der Tat die Aufhebung der Trennung von Staat und Kirche zwingend notwendig – wenn es denn zuträfe. Von der zweifelhaften Rolle der christlichen Kirchen im Dritten Reich findet sich keine Spur und auch kein Hinweis auf den christlichen Ursprung des Antisemitismus. Dass Hitlers Deutschland in einer an Hans Jonas’ Überlegungen anknüpfenden Arbeit von Harald Strohm zur Gnosis auch gut begründet als „perfektester und brutalster Gottesstaat“ bezeichnet wurde, scheint unbekannt.

Weimer behauptet, inzwischen sei „der ‚Kampf gegen Ungläubige’ ein Identitätsstifter von relativistischen Freiheitsgesellschaften“ geworden. Seine Bibel ist Huntingtons „Clash of Civilizations“. Für Huntington steht außer Frage, dass das Christentum die überlegene Religion ist. Sein deutscher Jünger ist zwar Katholik, hat aber offenbar eine große Affinität zum amerikanischen protestantischen Fundamentalismus, dessen Grundsätze bis hin zur Ablehnung der Evolutionstheorie die Streitschrift wie ein roter Faden durchziehen.

Unerwähnte Tatsachen

Amerika wird pathetisch gefeiert. Schon der Kalte Krieg sei ein religiöser Krieg gewesen. „Amerika verkörperte eine religiös aufgeladene politische Kultur mit Strahlkraft, selbst als Europa in existenzialistischen Selbstzweifeln und in tiefer Ironie versank. (...) Amerika trug die Re-Missionierung bereits als Blaupause in die Welt zurück, als alle noch auf die Trümmer der europäischen Säkularisierung starrten.“ Spätestens hier beginnt man sich zu fragen, an wen oder was der Autor denn nun tatsächlich glaubt. Denkt er wirklich über Gott in der Welt nach?

Der weit überragende Teil der im vergangenen Jahrhundert christlich missionierten Menschen auf dieser Erde lebt in Afrika und Lateinamerika, was Weimer aber ebenso unerwähnt lässt wie die Unterstützung der Kirchen für die dortigen Freiheitsbewegungen im Kampf gegen oftmals von den USA gestützte Diktaturen. Die Gleichung, Religiosität bedeute Konservatismus, geht so pauschal, wie die Streitschrift behauptet, überhaupt nicht auf.

Im Grunde hat Weimer gar kein Interesse an den komplexen Hintergründen der weltweit seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts untersuchten Zunahme religiöser Bindung. Eine neuere Harvard-Studie notiert z.B. für Deutschland zwar eine Zunahme der Bedeutung von Gott und Religion in den vergangenen zehn Jahren, zugleich aber bei sämtlichen anderen Indikatoren für Religiosität wie Verhalten und Bewahrung religiöser Werte einen signifikanten Rückgang.

Definitionssache

Vielleicht hätte Weimer sich doch am Anfang seiner Überlegungen mit ein paar banalen Definitionen befassen sollen, um den Eindruck zu vermeiden, er verstehe eigentlich gar nichts von seinem Thema. Die von zahlreichen Neologismen im Stile von „Re-Missionierung“, „Re-Theologisierung“; „Lahmhaftigkeit“ usw. geprägte Sprache umgeht die klare Begriffsbestimmung. Was meint er überhaupt mit Religion? Nur das Christentum? Was mit Moderne? Verwendet er Agnostizismus und Atheismus als Synonyme für Säkularisierung?

Was hält er vom Verfassungsgrundsatz der Glaubensfreiheit, was überhaupt vom Verfassungsstaat? Muss man seinen Befunden entnehmen, dass die Verfassung ohne ethische Grundierung auskommt? Wer sind die ungläubigen Feinde, gegen die es zu kämpfen gilt? Mal sind es die Kommunisten, mal die Muslime, die wenige Seiten vorher noch von den USA „re-theologisiert“ worden waren. Was machte sie wieder zu „Gottlosen“? Der Abfall von den USA? Wie ist in diesem Kontext das Argument der Islamisten, die USA seien die Gottlosen, zu bewerten? Viele Fragen, alle offen.

Gleichermaßen naiv, weltfremd und aggressiv

Dafür verrät Weimer seine Ideen zur „Re-Kultivierung“ der vom „kollektiven Kultur- und Niveauverlust (...) durch die areligöse Bildung“ gezeichneten „Masse“. „Zwar wird es kein Zurück hinter den zersetzenden Selbstzweifel der modernen Kunst geben.“ Aber: „Vielleicht hören morgen die albernen Kunsthappenings von Scheinprovokationen provokations-unfähiger (sic!) Gesellschaften ebenso auf wie die Selbstfindungsromane zeitgenössischer Schriftsteller, und es beginnen wieder große Neu-Erzählungen der ältesten Legenden, Dramen, Mythen und Heilsgeschichten unserer Kultur (...)“ Das ist gleichermaßen naiv, weltfremd und aggressiv. Florian Illies vom Cicero-Schwesterblatt „Monopol“ dürfte sich über solche Ausführungen scheckig lachen und bei Bazon Brock ein Essay zum Thema „Entartung revisited“ in Auftrag geben.

Wie die Kultur seiner re-missionierten Welt dann aussieht, kann der Autor schon mancherorts entdecken: „Die wieder in Mode gekommene kirchliche Trauung ist so ein Gewinn für die Alltagskultur. Ihre Feier, von der festlichen Orgelmusik bis zum Blumenschmuck, von der Kleider- bis zur Tischordnung, zeigt, wie das Comeback der Religion unmittelbaren Kulturgewinn erzeugt. Das gleiche kann man bei Taufen und Beerdigungen erleben, bei Weihnachts- oder Osterfesten, bei Wallfahrten oder Chorgesängen.“

Reine Religionsromantik

Gerade diese Rückkehr zu religiösen Riten wird von Pastoren und Priestern äußerst kritisch betrachtet, weil sie in den meisten Fällen nicht vom Bedürfnis nach dem Segen Gottes geleitet ist, sondern reine Religionsromantik – um einmal an Karl Barth zu erinnern. Nach dieser Art der Ekstase lassen sich die meisten Protagonisten anschließend in den Kirchen nicht mehr blicken. Und dann beobachtet der Autor scharf: „Je vitaler das religiöse Bewusstsein der Bevölkerung, desto reicher die kulturelle Ausprägung. Es hat daher seinen Grund, warum das Urlauben in Bayern interessanter ist als in Sachsen-Anhalt.“

Weimer gehört zum zugereisten Potsdamer Neubürgertum, das sich solche Verachtung leisten zu können glaubt. Die steilen Thesen des Brandenburger Innenministers Schönbohm über die moralische Verwahrlosung der DDR-Bevölkerung lassen schön grüßen und mit ihnen die umstrittene rechts-konservative Studienstiftung Weikersheim mit ihrer unklaren Abgrenzung zum Rechtsextremismus. Man ahnt, welch stolze Vorurteile an den pseudo-intellektuellen Stammtischen der Möchtegern-Elite kursieren. Es wäre interessant, zu erforschen, inwiefern sich hier neo-feudalistische Mentalitäten ausbilden. Dass Sachsen-Anhalt über mehr Welt-Kulturerbe-Stätten verfügt als Bayern, sei nur am Rande erwähnt. Auch die 1000 km lange Straße der Romanik könnte einem gläubigen Christen mit kulturellen Interessen geläufig sein. Von Sachsen-Anhalt ging die Christianisierung des gesamten ost-elbischen Raumes aus.

Klassischer Konservatismus und kleinbürgerliche Großmannssucht

Am besten ist, man legt dieses schaurige Traktat ganz schnell weg und reinigt seinen Geist bei der Lektüre von Jürgen Habermas’ Rede „Glauben und Wissen“, die er anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2001 hielt. „Eine sich selbst dementierende Vernunft gerät leicht in Versuchung, sich die Autorität und den Gestus eines entkernten, anonym gewordenen Sakralen bloß auszuleihen.“

Oder man lese das Interview, das Bischof Wolfgang Huber den Herausgebern der Reihe „Deutsche Zustände“ anlässlich des Berichts über die wachsende Menschenfeindlichkeit religiöser Menschen gab. „Die Wiederkehr von Religion ist nicht nur etwas, worüber man sich freuen kann.“ Wenn man etwas Reflektiertes über Religion und Politik lesen möchte, sollte man zu „Intoleranz. Vom Unglück unserer Zeit“ des jesuitisch sozialisierten Heiner Geißler greifen. Der kann trefflich streiten, Gedanken zu Ende denken und Perspektiven für gelebtes Christentum eröffnen. Vergleicht man Weimers abfällige Plattitüden mit Heiner Geißlers pointierter Angriffslust, erkennt man dann auch die feinen Unterschiede zwischen klassischem Konservatismus und kleinbürgerlicher Großmannssucht wie Religiosität und Bigotterie.

Von Dr. Sabine Pamperrien

Dr. Sabine Pamperrien arbeitet als freie Journalistin und Drehbuchautorin in Berlin.

Literaturangaben:
WEIMER, WOLFRAM: Credo. Warum die Rückkehr der Religion gut ist. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2006. 78 S., 9,90 €.

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