Schon ein Blick auf die Titel der poetischen Splitter des neuen Bandes von Adrian Kasnitz reicht: Hier geht es zwar nicht um’s Ganze (soll es wohl auch nicht gehen), sondern um das Repertoire. Auch ein argloses Reinblättern hinterlässt schnell den Eindruck, dass hier jemand Reibungsflächen sucht. Nicht nur in Alltagsszenerien, wie die drei Abteilungen innere sicherheit, friendly fire und feindliche übernahme vermuten lassen. Den Dingen, die die Großstadttristesse erst so richtig sämig machen, ist die Folie der Auseinandersetzung mit den Vorläufern vorgeschaltet.
Von Heine bis Brinkmann
Teils wird dieses Verfahren expliziert, etwa in Form von Motti. An einigen Stellen wirkt das zwar gelungen, aber ausgerechnet der Anfang nimmt den Leser eher nicht für sich ein: Ein leichter Mottofetischismus hat sich da des Autos, oder des Lektors, oder beider bemächtigt: Erst gilt es, ein sperriges Fauser-Zitat zu schultern, das für die gesamte erste Abteilung reichen soll – und kaum aufgeladen, geht die Beladung weiter; Heine soll es sein; aus der Harzreise stammen die ersten beiden Zeilen der letzen Strophe des Eingangsgedichts: Lebet wohl, ihr glatten Säle, / Glatte Herren, glatte Frauen! Mit diesem schweren Marschgepäck wandert der Leser dann weiter (zwar nicht auf die Berge, von denen aus auf uns niedergeschaut wird, aber) in Brinkmanns Westwärts-Vorwort hinein.
Wenn man schließlich den Titel berücksichtigt, unter den Kasnitz dieses Poem „hartzreise“ gestellt hat, kommt man nicht darum herum, die goldenen Biermannworte auszurufen: „Schmücke Dich mit fremden Federn / Bade dich in Nonsensbädern / Aber dichte nie Gedachte.“
Wer den Band mit diesen Worten aus den Händen legt, lässt sich aber sicher vieles Geglückte entgehen, das sich darin findet. Denn eines kann man Kasnitz nicht vorwerfen: Geschwätzigkeit. Und auch Bedeutungskitsch wird fast immer kundig vermieden. Das folgende Gedicht „am bankomat“ ist eine wunderbare Adaption von Enzensbergers Automaten. Hier geht es aber nicht nur um die gewissenlose tumbe Quartzerei, sondern um ein kunstvoll zertrümmertes Bild alltäglichen Wahnsinns:
(…)
aus dem bankomat fallen scheine, deine gunst & dei
ne blütenfrische. das papier ist rein, jeder mag es
wie du dich bewegst von boutique zu boutique. kauf dir was
schönes, ein kind, wie es in der werbung lacht, weil der wunsch
einfach zu begleichen war mit der goldenen karte.
ein chip, der deine daten trägt, deine maße. dein slip
wird er feucht beim anblick der flakons?
(…)
Sparsam und gekonnt
Geschickter (weil sparsamer) Einsatz von Mitteln wird hier offensichtlich gekonnt eingesetzt. Die Überblendungen überzeugen, die passenden Worte sind treffsicher angeordnet. Übertroffen wird dieses famose Bilderineinandergeschiebe nur noch an Stellen, wo es gelingt, dem Leser unterschwellig die Verfahren der Konstruktion unterzujubeln, ohne dabei zu fußnotig daherzukommen. Kasnitz schafft das in „abschied vom nemax“, das hier in voller Kürze wiedergegeben sein soll:
ein lauer lombard weht über
anzeigetafeln. für hemdsärmlige
eine prießnitzkur. eine krawatte
geknotet zur schlinge. Fieber
geheuchelte rekonvaleszenz, ein
insider-fluch. die hände klammern
und fingerzeige fahren durch die luft
zunächst hysterisch, dann schon baisse.
man sieht sich wieder vor gericht.
Drei Worte, „anzeigetafeln“, „prießnitzkur“, „fingerzeige“ reichen, um eine Ad-Spectatores-Ebene einzuziehen, die nicht übersehen werden kann. Der gerade eben angeführte Text zeigt aber noch eine weitere Qualität auf, die auch einige andere Texte des Bändchens auszeichnet: die des Gestischen; wenn selbst dem stummsten Leser auffällt, dass hier etwas laut gelesen sein will, dass es hier auf Rezitation angelegt wurde. Das klingt zunächst banal – jedes Gedicht, so die weit verbreitete irrige Meinung, lege es doch darauf an, gelesen und weniger gesehen zu werden.
In der Tat sollte ein Gedicht beide Eigenschaften in sich vereinen. Wo man diese audiovisuelle Ebene gar nicht mehr übergehen kann, da ist man in den besten Stücken Lyrik, die „innere sicherheit“ zu bieten hat. Es spricht für das Talent des Autors in Sachen Leserlenkung, wenn er erkennt, was in Hinblick auf des eben beschriebenen Kriterium sein bester Text, der schmackhafteste Köder des Bandes ist:
innere sicherheit
in den milchkaffeebars gedanken auf höhe
der feuilletons. in der getränkewahl die
demokratie. am steuer wenn das lokalradio
kleine nadelstiche in die kopfhaut befördert
beginnst du die privatwirtschaftliche jagd.
erwischst du sie, platzen die tauben auf.
später wird die innenstadt gekärchert.
ein nicht ablösbares KILL THE CLEAN
an der galeria-wand, wo du weihnachten.
Spröde-origineller Ton
Von künstlerproblematischen und halbseidenen Stoffen (Pandora, Paris Hilton, Zang Ziyi) und den Tristessemotiven (der Missvergnügte im Biernebel, wandelnde Ruinen der Stadt, ihre Luft, ihr Gegenteil, der Provinzennui, Provinz des Menschen, vertane Reisen), die innere sicherheit (auch) vom Titelgedicht aus bestimmen, kann man halten was man will. Beides wird jedenfalls in einem originell spröden Ton gehalten.
Daneben ist es das Changieren zwischen Wahrnehmungs-/ Dokumentationsskepsis – „(so als ob)“ in „pizza vongole“, vgl. z.B. Lyrikzeitung & Poetry News, # 4 /10a – entlang von Reizwörtern sowie ironischer Freude am poème trouvé („hartzreise“, „prießnitzkur“), was das Lesen dieses Bandes zum Vergnügen macht.
Von Konstantin Ames
Literaturangaben:
KASNITZ, ADRIAN: innere sicherheit. yedermann Verlag, München 2006. 126 S., 10 €.
Weblink zum Verlag: