BERLIN (BLK) – Die „FAZ“ bespricht Jan Philipp Reemtsmas neuste Studie „Vertrauen und Gewalt“. Darin erklärt der Verfasser sehr prägnant die Motive des Terrors. Die „SZ“ stellt Ulla Berkéwicz’ Buch „Überlebnis“ vor. Außerdem in der Presseschau: Otto E. Ehlers’ Reisebericht „Samoa. Perle der Südsee“, Sepp Malls Gedichtband „Wo ist dein Haus“ und Heere Heeresmas Erzählung „Ein Junge aus Amsterdam“.
„Frankfurter Allgemeine Zeitung“
Andreas Platthaus bespricht Jan Phillip Reemtsmas Studie „Vertrauen und Gewalt“ für die „FAZ“. Eine der zentralen Thesen des Autors sei die Frage, wie eine Gesellschaft, die „Gewaltexzesse“ wie das Dritte Reich miterlebt hat, den Glauben an sich selbst nicht verlieren konnte, schreibt der Rezensent. Dieses erfolge letztlich nur durch Abstufung der Gewalt zum Wahnsinn und der Integration des Terrors durch Ignoranz. Es sei „unfair“ Jan Philipp Reemtsmas Studie auf die Geschichte der Terrortaten zu beschränken, vielmehr sei dem Autor ein Meisterwerk der Begründung gelungen, welches an den Idealen der Gesellschaft rüttle.
Eberhard Rathgeb beschreibt in der „FAZ“ Bernard Stieglers Studie „Die Logik der Sorge“ als Alltagshilfe zum heutigen System. Das „Büchlein gegen die Psychomächte“ habe es in sich, meint der Rezensent. Der Autor beschreibe diesmal nicht den Arbeiter als tragischen Held der heutigen Gesellschaft, sondern den Konsumenten. Nur „aussteigen“ aus der Gemeinschaft solle jedoch keiner der Leser. „Die Verschwörung der Idioten“ produziere auch nur Idioten. Nach Ansicht des Rezensenten soll sich jeder Leser nach der Lektüre eine Frage stellen: „Leben nur Idioten systemkonform?“
Florian Borchmeyer stellt in der „FAZ“ den Lyrikband „Der Spiegel. Der öde Raum“ von Pere Gimferrer vor. Der Rezensent sieht die Erstveröffentlichung des Textes in katalan als Provokation. „Die Poesie ist ein System von drehbaren Spiegeln“, lautet eine der Aussagen des Dichters. Ohne Helden und ohne Handlungseinheit gelinge es Gimferrer trotzdem, einen „Initiationsweg“ für den Leser zu schaffen. Es sei gerade das „Nicht-Bezeichnen-Können“ in Gimferrers Lyrik, das den Horizont auf die politische Moderne ausweite.
Der Mensch sterbe nicht nur einmal, sondern ein zweites Mal, wenn er nach dem Tod vergessen werde, schreibt Heere Heeresma in seiner Erzählung „Ein Junge aus Amsterdam“. Jochen Schimmang rezensiert die Erzählung in der „FAZ“. Zu sehen, was sonst keiner sehe, sei das Privileg der Kindheit, schreibt Schimmang. Die Gedanken jedoch so „formbewusst“ und „sprachmächtig“ in eine Erzählung zu gießen, sei Heeresmas Können. „Dieses Buch ist aus Protest geschrieben“, verkündet der Autor. Nach Ansicht des Rezensenten ist das Buch „licht“ und „hoffnungsvoll“.
„Neue Zürcher Zeitung“
Nico Bleutge bespricht für die „NZZ“ Sepp Malls Gedichtband „Wo ist dein Haus“. Der Autor suche nach dem „heiteren Pulsschlag mitten im Einerlei“, meint Bleutge. Mall beschreibe in seiner Lyrik die „Schwebezustände“ zwischen Wirklichkeit und Ahnung, zwischen Halbschlaf und Phantasie. Der Rezensent lobt die richtige Mischung aus Nähe und Distanz. Mall drehe Schlüsselbegriffe wie „Herz“ und „Seele“ in eine neue Richtung und zeige damit dem Leser einen Abgrund auf.
„Süddeutsche Zeitung“
Die „SZ“ bespricht Ulla Berkéwicz’ Buch „Überlebnis“. Die Autorin ist die Frau des verstorbenen Verlegers Siegfried Unseld (1924-2002). Dessen Sterben beschreibt sie erst jetzt, mit dem Abstand einiger Jahre. Aufgebaut sei dieses Buch wie ein Requiem, schreibt die „SZ“. Der erste Satz handle vom Sterben eines jungen russischen Wunderheilers. Die Schilderung seines Sterbens solle einer der Höhepunkte des Buches sein. Im zweiten Satz liege Unseld auf der Intensivstation. Diese Szenerie werde als Vorhof zur Hölle geschildert. Schließlich könne ihr Mann noch einmal nach Hause. Dort beginne ein langes, peinvolles und „ekelerregendes“ Sterben. Berkéwicz’ Buch sei nicht bequem zu lesen, es befremde, aber es bewege auch, meint der Rezensent.
Ein Buch, das dem Leser die Seele Islands näher bringen solle, bespricht die „SZ“. Der Autor, Wolfgang Müller, bürge für den Wahrheitsgehalt des Bandes „Neues von der Elfenfront. Die Wahrheit über Island“. Müller genieße den Ruf eines großen Islandfreundes, schreibt die „SZ“. Hinterfragt würden allgemein bekannte Klischees und Fragen, die man sich allein so nie gestellt hätte. Schier unerschöpflich solle das Repertoire an Kuriosem, dieser Insel im Atlantik, sein. So gebe es dort zum Beispiel ein Museum für Säugetierpenise, eine Mäusefähre und einen „Papst aller Heiden“. Nicht zu vergessen sei die Existenz von Elfen, daran komme niemand vorbei, der mit den Bewohnern zu tun habe, schreibt die „SZ“.
Die „SZ“ bespricht Otto Ehrenfried Ehlers’ Reisebericht „Samoa. Perle der Südsee“. Es sei kaum zu glauben, wie unterhaltsam die Ausführungen eines chauvinistischen Snobs aus Hamburg sein können, urteilt die „SZ“. 1894 bricht Ehlers (1855-1895) auf zu den samoanischen Inseln. Zu dieser Zeit sei der pazifische Inselstaat sehr in Mode gewesen. Ehlers habe in seinen Beschreibungen bewusst Raum für Interpretationen gelassen, um den Weg Samoas in eine rein deutsche Kolonie zu ebenen. Sein Urteil über die Einwohner speise sich aus dem damals üblichen Hochmut und Rassismus der Europäer. Dennoch unterlege er dies mit herrlichen zu lesenden Bonmots, meint der Kritiker. Trotz der der starken chauvinistischen Tendenz sei dieses Buch äußerst amüsant geschrieben. (dan/lea/sat)
Literaturangaben:
BERKÉWICZ, ULLA: Überlebnis. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 139 S., 14,80 €.
EHLERS, OTTO E.: Samoa. Perle der Südsee. Lilienfeld Verlag, Düsseldorf 2008. 188 S., 19,90 €.
GIMFERRER, PERE: Der Spiegel. Der öde Raum. Gedichte. Zweisprachige Ausgabe. Aus dem Katalanischen von Axel Sanjosé. Edition Lyrik Kabinett. Hanser Verlag, München 2007. 144 S., 14,90 €.
HEERESMA, HEERE: Ein Junge aus Amsterdam. Aus dem Niederländischen von Marianne Holberg. Ammann Verlag, Zürich 2008. 152 S., 19,90 €.
MALL, SEPP: Wo ist dein Haus. Gedichte. Haymon-Verlag, Innsbruck 2007. 74 S., Fr. 21.60.
MÜLLER, WOLFGANG: Neues von der Elfenfront. Die Wahrheit über Island. edition suhrkamp 2511. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 308 S., 11 €.
REEMTSMA, JAN PHILIPP: Vertrauen und Gewalt. Versuch über eine besondere Konstellation der Moderne. Hamburger Edition, Hamburg 2008. 576 S., 30 €.
STIEGLER, BERNARD: Die Logik der Sorge. Verlust der Aufklärung durch Technik und Medien. edition unseld, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 191 S., 10 €.
Presseschau vom 2. Mai 2008
Rezension im Original
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