Veraltete Wörter haben so gut wie keine Lobby, klagt Bodo Mrozek. Womit er Recht hat. Wörter werden erfunden, übernommen, variiert, kombiniert, gestutzt und gebläht und irgendwann verschwinden sie wieder, oftmals unbemerkt. Nicht jedem Wort muss man nachtrauern, vielen allerdings schon. Diesen lieb gewonnenen Wörtern hat der Journalist Mrozek nun ein Buch gewidmet, das „Lexikon der bedrohten Wörter“.
Man sollte viel öfter ablappen
Mrozek ist also ein Lobbyist in Sachen Wortschutz und sein Lexikon ist ihm dabei eine überzeugende Argumentationshilfe. Es ist eine wahre Fundgrube sprachlicher Perlen, bei denen sofort einsichtig wird, dass sie nicht der Vergessenheit oder der Verdrängung anheim fallen dürfen. Klar, dass man sich für den Schutz des Bückeisens, des Aftermieters, der Lotterbuben oder der Latüchten stark macht. Und Tätigkeiten wie ablappen oder dünken sollte man ruhig auch so benennen. Auf das Affenfett hingegen kann man zumindest kulinarisch bestens verzichten, handelt es sich doch hierbei um ein aus der Mangelwirtschaft der DDR entstandenes, durch allerlei Beigaben gestrecktes Fleischersatzprodukt. Während das Wort im Osten noch einigermaßen bekannt ist, ist es im Westen der Republik schon so gut wie tot, weil es dort nie gelebt hat.
Allein schon wegen des Eintrags über die sagenhafte Duttengretel lohnt der Kauf des Buchs. Die Brüder Grimm haben den schönen Begriff dem Volk vom Maul abgeschaut und wollten ihn für die Nachwelt in ihrem Wörterbuch erhalten. Leider kamen diesem Anliegen im 20. Jahrhundert gewisse, durch die Emanzipationsbewegung hervorgerufene Sprachzwänge dazwischen. Eine solchermaßen bezeichnete Person ist in der Definition Mrozeks übrigens ein „obenherum überproportional wohl geformtes Frauenzimmer“.
Sag beim Abschied leise Tschüssikowski
Vom Aussterben bedroht ist jedoch nicht nur altes Wortgut, sondern sind auch Modebegriffe, deren Verfallsdatum langsam überschritten ist. Erinnert sich noch wer an den Neufünfländer, zündet noch wer Kanonaden auf den Besserwessi, will sich noch jemand mit einer Schimanskijacke schmücken? Und dass die Mobilfunkgeneration nicht mehr weiß, was man mit einer Wählscheibe anfangen soll, ist auch verständlich. Mit der Aufnahme dieser zweifelsohne dem Untergang geweihten Begriffe konterkariert der Sprachschützer Mrozek jedoch teilweise seinen Anspruch. An ihrem Erhalt ist sicher nicht jeder, auch Mrozek nicht, ernstlich interessiert. Überdies setzt der Autor einige Wörter ganz offen dem Spott aus, obwohl er doch ein „Alphabet des Artenschutzes“ vorgelegt haben will. So diffamiert er die Beziehungskiste als „Dümmstdeutsch“ oder hält Gericht über Menschen, die mit dem Abschiedskalauer Tschüssikowski zu punkten versuchen. Mrozeks Hohn teilt man gerne, da er von gutem Geschmack zeugt, er hat allerdings nur bedingt etwas mit Artenschutz zu tun.
Rettet das Herrengedeck!
Auch an der Aufnahmewürdigkeit anderer Relikte darf gezweifelt werden. Stirbt die Tanzfläche tatsächlich aus – und setzt sich ihr Benutzer am Ende dem Verdacht der „Deutschtümelei“ aus? Und wenn es ein Wort gibt, das in den letzten Jahren eine Renaissance, auch jenseits der Klatschpresse, erfahren hat, dann doch wohl das Luder in all seinen Abarten. Überhaupt hätte man im etwas knapp gehaltenen Vorwort gerne mehr erfahren über Mrozeks Kriterien. Warum findet man das wunderbare Herrengedeck nicht im Lexikonteil? Obwohl sich der Verfasser bei seiner Abendgestaltung alle Mühe gibt, dieses bekömmliche Trinkermenü immer wieder zu propagieren, erntet er fast nur noch Schulterzucken von den terminologisch offensichtlich anders geschulten Bardamen und -herren. Weder Signifikat noch Signifikant des Herrengedecks dürfen jedoch im Orkus der Kulinarik verschwinden!
Wörterzoo im Internet
Die Kritik ist natürlich nicht gerecht, da ein solches Werk keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben darf und über die Schutzwürdigkeit immer gestritten werden kann. Außerdem begreift Mrozek seine Lobbyarbeit als gemeinnütziges Projekt, das mit diesem Lexikon noch lange nicht abgeschlossen ist. Im Internet hat der Wortschützer daher ein Reservat eingerichtet, wo man die aussterbenden Wörter begutachten kann. Wer bedrohte Begriffe vermisst, kann und soll diese auf www.bedrohte-woerter.de melden.
Gelegentlich schießt Mrozek über die wortwahrende Mission hinaus und zwar häufig dann, wenn er politisch wird. Die Vollbeschäftigung oder das Bewerbungsgespräch sind selbstredend noch lange nicht tot zu kriegen. Laut Mrozek sterben sie aber aus, weil es keine Vollbeschäftigung mehr geben wird und daher auch keine Bewerbungsgespräche mehr geführt werden. Findet letzteres, diese „zeitgemäße Nachfolge der heiligen Inquisition“ doch einmal statt, so Mrozek, nenne man das heute aus Verschleierungsgründen Assessmentcenter. Das wiederum stimmt leider. Dennoch hätte sich Mrozek die Ausflüge in die politische Satire sparen können, um ein reines Artenschutzlexikon vorzulegen.
Die Entschädigung, die man angesichts in Vergessenheit geratener Sprachschätze erhält, übersteigt jedoch bei weitem die gelegentlichen Irritationen. Das liegt nicht zuletzt an der Leichtigkeit, mit der er die oft äußerst witzigen Lexikoneinträge angegangen ist. Wo andernorts sprachpflegerische Herrenreiter mit dem Zeigefinger wedeln oder kulturpessimistische Lamentos über den Sprachverfall anstimmen, wirkt Wortschützer Mrozek zuförderst mit Witz und Ironie. Das kann seiner Lobbyarbeit nur gut tun.
Literaturangaben:
MROZEK, BODO: Lexikon der bedrohten Wörter. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2005. 220 S., 8,90 €