MÜNCHEN (BLK) – Der Carl Hanser Verlag stellt den neuen Roman „Die September von Schiras“ von Dalia Sofer vor.
„1981: Der Ayatollah Chomeini und seine Revolutionswächter haben die Herrschaft übernommen. Am helllichten Tag wird der Juwelier Isaac Amin in seinem Büro von zwei Bewaffneten abgeholt. Im Gefängnis erfährt er, wessen er sich schuldig gemacht hat: Er ist Jude und er ist reich. Während er gefoltert wird, versucht seine Frau, ganz auf sich gestellt, zu überleben…“ Spannend und eindringlich beschreibe Dalia Sofer, informiert der Verlag, wie die Umkehrung von Machtverhältnissen die Schicksale von Menschen bestimmen kann. Und sie erzähle auch, wie man überleben konnte im Iran „vor der Revolution“.
Dalia Sofer wurde 1972 im Iran geboren. Ihre Familie floh 1983 in die Vereinigten Staaten. Sie wohnt in New York City. (mül/wip)
Leseprobe:
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Als an einem warmen Teheraner Herbsttag um halb eins zwei Bewaffnete zu ihm ins Büro kommen, ist Isaac Amins erster Gedanke, daß er nun nicht wie versprochen mit seiner Frau und seiner Tochter zu Mittag essen kann.
„Bruder Amin?“ fragt der kleinere der beiden. Isaac nickt. Jetzt ist die Reihe also an ihm. Erst vor ein paar Monaten haben sie seinen Freund Kourosh Nassiri geholt, und seit einigen Wochen heißt es, Ali der Bäcker sei verschwunden. „Wir kommen im Auftrag der Revolutionswächter.“ Der Kleinere hält sein Gewehr auf Isaac gerichtet und geht auf ihn zu, mit Schritten, die zu lang sind für seine Beine. „Du bist verhaftet, Bruder.“
Isaac klappt die Bestandsliste, die er vor sich liegen hat, zu. Er schaut hinunter auf seinen Schreibtisch, auf die teilnahmslosen Gegenstände, die Zeugen dieses Ereignisses werden – verstreute Akten, ein metallener Briefbeschwerer, eine Schachtel Dunhill-Zigaretten, ein Kristallaschenbecher und eine Tasse Tee, frisch aufgegossen, in dem zwei Minze blätter schwimmen. Sein Kalender ist aufgeschlagen, und er starrt hin ein, auf das heutige Datum, 20.September 1981, seine gekritzelten Einträge – Hrn Nakamura wg. Perlen anrufen, Mittag essen zu Hause, Lieferung schwarze Opale aus Australien ca. 15 Uhr, Schuhe beim Schuster abholen –, Termine, von denen er nun keinen einhalten wird. Auf der Bildseite glänzt ein Foto des Hafis-Mausoleums in Schiras. Darunter steht: Stadt der Dichter und der Rosen.
„Dürfte ich Ihren Ausweis sehen?“ fragt Isaac.
„Ausweis?“ Ein kleines Lachen. »Sorg du dich nicht um Ausweise, Bruder.“
Der andere Mann, der bisher geschwiegen hat, macht ein paar Schritte nach vorn. „Du bist Bruder Amin, ist das korrekt?“
„Ja.“
„Dann komm mit.“
Noch ein Blick auf die Gewehre, auf den Stummelfinger des kleinen Mannes, der auf dem Abzug liegt, und er steht auf und steigt mit den beiden Männern die fünf Stockwerke seines Geschäftsgebäudes hinab, das seltsam verlassen wirkt. Am Morgen ist ihm zwar aufgefallen, daß nur neun seiner sechzehn Angestellten zur Arbeit erschienen sind, aber er hat sich nichts dabei gedacht; die Menschen sind unzuverlässig dieser Tage. Jetzt fragt er sich, wo sie alle stecken. Haben sie Bescheid gewußt?
Sie treten auf den Gehsteig hinaus. Sonne flutet ihm über Nacken und Rücken. Er fühlt sich sonderbar ruhig, wie betäubt, und hofft, daß er die Ruhe bewahren wird. Ein schwarzes Motorrad parkt am Bordstein, neben Isaacs poliertem smaragdgrünem Jaguar. Der kleine Mann schaut süffisant auf den schnittigen Wagen und besteigt das Motorrad, löst die Bremse, läßt den Motor an. Als nächster steigt Isaac auf, hinter ihm der zweite Mann. „Gut fest halten“, sagt er.
Isaac schlingt die Arme um den kleinen Mann, und der andere umfasst Isaacs Taille. So eng zwischen die bei den gepreßt, spürt er den knochigen Rücken des einen an seiner Brust und den Bauch des anderen am Rücken. Der talgige Geruch ungewaschener Haare sticht ihm in die Nase, und als er den Kopf zur Seite dreht, um gegen den Würgereiz Luft zu holen, steht da auf dem Gehsteig einer seiner Angestellten, Morteza, stocksteif wie ein Passant, der einem Leichenzug nachschaut.
Das Motorrad schlängelt sich durch die Autos im Stau, nutzt noch die schmalsten Lücken. Die Stadt gleitet an Isaac vor über; ihre Verwandlung ist jetzt in vollem Maße ersichtlich. Statt Kinoplakaten und Shampooreklamen bedecken riesige Bilder von Mullahs die Hauswände, Straßen, die einmal nach Königen benannt waren, bekennen sich nun zur Revolution, und anstelle der eleganten Männer und Frauen von früher sieht man nur mehr bärtige Schatten und schwarze Schleier. Von einem Straßenstand weht ihm der Duft von Kebabs und gerösteten Maiskolben entgegen, die er sich hier so oft gekauft hat; manchmal hat er auch für seine Angestellten noch zwei Dutzend Spieße mitgenommen, dann haben sich alle in der Küche darum versammelt und das zarte Lammfleisch mit Brotstücken vom Spieß gestreift, um es sich geräuschvoll schmecken zu lassen. Der Verkäufer, Blasebalg in der Hand, starrt wie vom Donner gerührt auf Isaac auf dem Motorrad. Isaac schaut zurück, aber der Fahrer beschleunigt das Tempo, und mit einemmal schwindelt ihn, und er kippt fast herunter. Er drückt sich fester an seinen Vordermann, verschränkt die Finger vor seinem Bauch.
Vor einem unscheinbaren grauen Gebäude halten sie an, steigen ab und gehen hinein. Die Revolutionswächter tauschen Grüße untereinander, und Isaac wird in einen Raum geführt, in dem es nach Schweiß und nach ungewaschenen Füßen riecht. Der Raum ist klein, vielleicht ein Fünftel seines Wohnzimmers, mit senfgelben Wänden. Man bringt ihn zu einer Bank, auf der bereits ein Dutzend Männer oder mehr sitzen. Isaac muß sich zwischen einen Mann mittleren Alters und einen sechzehn- oder siebzehnjährigen Jungen zwängen.
„Wie viele Leute wollen die hier denn noch hin quetschen?“ murmelt der Mann neben ihm wie zu sich selbst, aber so vernehmlich, dass Isaac ihn hören kann. Er trägt Schlafanzughosen und dazu Socken und Schuhe, bemerkt Isaac.
„Wie lange sind Sie schon hier?“ fragt er ihn, da sich die Feindseligkeit ja wohl kaum gegen ihn richtet.
„Ich weiß nicht genau“, sagt der Mann. „Sie sind mitten in der Nacht gekommen. Meine Frau war völlig aufgelöst. Sie wollte mir unbedingt noch ein Käsebrot machen, bevor ich gehe, ich weiß nicht, was sie sich gedacht hat. Sie hat mit zitternden Händen herumhantiert, den Käse geschnitten, ihn sogar noch mit Petersilie und Radieschen garniert. Als sie es mir geben wollte, hat einer der Revolutionswächter es ihr aus der Hand gerissen, es in drei, vier Bissen runtergeschlungen und gesagt: ‚Danke, Schwester. Woher wußtest du, daß ich am Verhungern bin?’“ Was der Mann erzählt, gibt Isaac das Gefühl, noch von Glück sagen zu können; wenigstens ist seiner Familie eine derartige Szene erspart geblieben. „Diese Bank ist Gift für meinen Rücken“, fährt der andere fort. „Und nicht mal zur Toilette lassen sie einen.“
Isaac lehnt den Kopf gegen die Wand. Welche Ironie des Schicksals, daß sie ihn ausgerechnet heute verhaftet haben, an dem Tag, an dem er Frau und Tochter wenigstens durch ein gemeinsames Mittagessen für sein seltenes Daheimsein entschädigen wollte. Die letzten Monate hat er das Haus immer schon im Morgen grauen verlassen, wenn die schneebedeckten Gipfel des Elburs im orange roten Dämmer langsam Konturen annahmen, wenn die Stadt gerade den Schlaf von sich ab zu schütteln begann und nur in vereinzelten Schlafzimmer- und Küchenfenstern bereits Lichter brannten. Und aus dem Büro zurückgekommen ist er erst, wenn das Geschirr vom Abendessen längst ab gewaschen und weggeräumt war und Shirin schon im Bett lag. Wenn er dann im Dunkeln die Treppe zu seiner zweistöckigen Villa hoch stieg, tönte ihm aus dem Wohnzimmer das Brummeln des Fernsehers entgegen, und Farnaz saß im seidenen Nachthemd davor, einen Cognac in der Hand, und ließ das Chaos der Abendnachrichten über sich hinwegspülen. Mit dem Cognac, erklärte sie – seinem in die Nase stechenden Duft, seiner Wärme –, seien die Nachrichten eher zu ertragen, und Isaac mochte nichts einwenden gegen diese neue Angewohnheit, die sie, so vermutete er, auch über seine häufigen Abwesenheiten hinwegtröstete. Meist blieb er ein Weilchen neben ihr stehen, seine Aktentasche eine Verlängerung seiner Hand – setzte sich nicht neben sie, ignorierte sie nicht, stand einfach nur da. Sie wechselten ein paar Worte, Bemerkungen über den Tag, über Shirin oder eine Explosion irgendwo, und dann zog er sich ins Schlafzimmer zurück, müde, und fand doch keinen Schlaf, und in die Dunkelheit sickerte das Gemurmel des Nachrichtensprechers. Wenn sie nur die Nachrichten abschalten würde, dachte er oft, einfach den Apparat ab schaltete und zu ihm käme, würde ihm wie der einfallen, wie er mit ihr reden könnte. Aber das Fernsehen mit seinen Bildern aufgewühlter Menschenmengen und brennender Kinos – Bildern eines Landes, das Straße um Straße dem Chaos anheimfiel – hatte seinen Platz eingenommen, lange bevor er sich in seine Arbeit geflüchtet, lange bevor sie sich dem Cognac zugewandt hatte.
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Literaturangaben:
SOFER, DALIA: Die September von Schiras. Übersetzt aus dem Englischen von Sabine Roth. Carl Hanser Verlag, München 2007. 336 S., 19,90 €.
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