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Ein verkanntes Genie?

Adolfo Bioy Casares' phantastischer Roman "Morels Erfindung"

Von: ALMUT SCHMIDT - © Die Berliner Literaturkritik, 15.10.03

 

Der argentinische Schriftsteller Adolfo Bioy Casares wurde lange Zeit vor allem als der langjährige Freund und Schriftstellerkollege des weitaus berühmteren Jorge Luis Borges wahrgenommen. Die beiden hatten sich 1932 im Haus der Verlegerin Victoria Ocampo in Buenos Aires kennen gelernt und seitdem mehrere Bücher zusammen herausgegeben. Adolfo Bioy Casares'  erster erfolgreicher Roman, "Morels Erfindung" ("La invención de Morel"), erschien 1940 mit einem Prolog von Borges, in dem dieser den Roman seines um ein paar Jahre jüngeren Freundes schlicht als "perfekt" bezeichnete.

"Morels Erfindung", ein in Tagebuchform geschriebener Roman, entwickelte sich zu einem Klassiker der phantastischen Literatur Argentiniens und blieb unter den zahlreichen Büchern Bioys das berühmteste. Was ebenfalls blieb, waren viele Fragen. Stand Bioy etwa Zeit seines Lebens nur im Schatten von Borges und setzte dies dem Bekanntheitsgrad seiner eigenen Bücher so zu?  Wer von den beiden Freunden war denn nun das eigentliche Genie – Bioy oder Borges? 

Vermutlich waren es beide. Überzeugen kann man sich davon bei der Lektüre der Neuübersetzung des südamerikanischen Klassikers von Gisbert Haefs, erschienen im Suhrkamp-Verlag und mit einem Nachwort versehen von René Strien. Der Prolog der ersten Ausgabe, der nach typisch borgesscher Manier eine kleine Reise durch die Literaturgeschichte unternimmt, um dann Adolfo Bioy Casares als Stifter eines neuen Genres in der spanischsprachigen Literatur zu loben (sicherlich etwas übertrieben), fehlt leider in dieser Ausgabe. Das Fehlen des Prologs bringt jedoch auch die Chance mit sich, sich dem auf H.G. Wells' "Die Insel des Dr. Moreau" basierendem Roman sowie seinem Autor unvoreingenommen und von Borges losgelöst zu nähern.

Ein zu lebenslänglicher Haft verurteilter politischer Gefangener rettet sich bei seiner Flucht auf eine anscheinend unbewohnte Insel vor der Küste Venezuelas. Auf der Insel befinden sich verlassene Gebäude und seltsame Maschinen, von denen nur klar ist, dass sie mit Hilfe der Gezeiten arbeiten. Ihr Zweck bleibt jedoch unergründbar. Der Flüchtling ist nicht lange ungestört, denn nach einiger Zeit tauchen wundersam altmodisch gekleidete Personen auf, welche die Gebäude der Insel zu bevölkern beginnen. Es handelt sich bei diesen Menschen anscheinend um Reisende. Der Häftling hält sie zunächst für Verfolger, dann verliebt er sich in eine der Personen, die ihn jedoch nicht zu beachten scheint. Angetrieben von seiner Liebe zu der fremden Frau namens Faustine versucht der Flüchtling immer wieder, Kontakt zu der Gruppe aufzunehmen, scheitert jedoch kläglich.

Im Zeitalter seiner Reproduzierbarkeit

Nach und nach kommt er hinter das Geheimnis dieser seltsamen Reisegruppe: sie alle sind Reproduktionen des Wissenschaftlers Morel, der sich selbst und seine Freunde mit Hilfe der von ihm entwickelten Maschinen verewigt hat. Die Personen, die der Flüchtling wahrnimmt, sind nur Projektionen eines in der Vergangenheit aufgenommenen Lebensausschnitts: lebendig wirkende Fotos. 

Der Verfolgte wird so zum Zeugen des Fortschrittwahns, des menschlichen Wunsches, sich zu verewigen und den schönen Augenblick für immer festzuhalten. Diesem Wahn begegnet er zunächst skeptisch. Nach und nach jedoch wird er der Idee Morels gegenüber aufgeschlossener, denn dessen Maschinen sind die einzige Möglichkeit für ihn, für immer im Gefühl der Glückseligkeit mit der geliebten Faustine zusammen zu sein. Dies funktioniert nur, indem er sich selbst zum Opfer der Technik macht. Die Falschheit und Gestelltheit dieses glücklichen Augenblicks mit Faustine, so argumentiert er in seinem Tagebuch sei in der projizierten Version nicht wahrnehmbar.

Dass sein Entschluss, sich von den Maschinen für die Ewigkeit "fotografieren" zu lassen, den Tod bedeutet, verliert durch die Liebe zu Faustine an Bedeutung. Das melancholische Festhalten am schönen Augenblick ist auch bei ihm stärker als das rationale Unterscheiden von Leben und Tod.

Jegliches Handeln ist unsinnig

Was am Anfang des Romans als eine fortschrittskritische, menschliche Ideen verachtende Vision anmutet, endet als ein Zugeständnis an die Melancholie sowie an die Unsinnigkeit eines hilflosen Ewigkeitswahns, der sich in der Fotografie, dem Film, der Kunst und der Literatur, kurz in jeglicher kultureller Handlung manifestiert. Durch dieses Zugeständnis an die Unsinnigkeit des Handelns erhält der Roman seine Menschlichkeit und seine Zeitlosigkeit, ohne auf die nötige Ironie zu verzichten.

Mit "Morels Erfindung" gewinnt ein phantastisches Genre durch die teilweise etwas umständliche und penible Konstruktion sowie durch die nüchterne Sprache Adolfo Bioy Casares' einen überraschenden Impuls.

Die neue deutsche Ausgabe lässt die Hoffnung aufkeimen, dass dieser exzellente Autor bald in einer kompletten Werkausgabe präsentiert wird; so kündigt es jedenfalls René Strien im Nachwort und unter "vorgehaltener Hand" an.

Literaturangaben:
BIOY CASARES, ADOLFO: Morels Erfindung. Übersetzt aus dem Spanischen von Gisbert Haefs. Mit einem Nachwort von René Strien. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003. 153 S., €19,90.

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Almut Schmidt schreibt als freie Journalistin für dieses Literatur-Magazin


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